Veröffentlicht: 18.06.2022. Rubrik: Unsortiert
Ein Traum auf der Domjüch
Es war einer dieser traumhaften Tage Anfang August, die ich so liebe und an denen ich so gerne einfach nur im Gras unter einem Baum liege. Unter einem Apfelbaum auf dem Gelände der alten Landesirrenanstalt Domjüch am Ortsrand von Neustrelitz und am Ufer des wunderschönen Domjüchsees . Der Wind kräuselte so angenehm um meine Nase, dass mir alsbald die Augen zufielen.
Plötzlich schüttelte mich jemand. Eine junge Frau in einem nicht ganz so sauberen Kittel, wirr bis auf die Schulter herunterhängenden Haaren und einem hübschen, fast mädchenhaften Gesicht schaute mich lächelnd an. In ihrer Hand hielt sie ein Püppchen,
„Tante Lotte, Tante Lotte, schau mal, wer hier liegt!“
Ich schaute mich um und sah eine ältere Frau in einer Schwesterntracht. „Ach Elschen, was siehst du denn da schon wieder? Aber Elschen hörte gar nicht hin. „Du siehst aber komisch aus! Komm, soll ich dir mal mein Zuhause zeigen?“ Ich rieb mir die Augen: Was war das?
Ich sah viele Menschen herumlaufen, manche sangen, andere wiederum träumten nur so vor sich hin. Und vor allem, die Gebäude der alten Irrenanstalt sahen aus wie neu gebaut. Viele bunte Tücher hingen aus den Fenstern. Aus der oberen Etage des Verwaltungsgebäudes sah ein alter, hagerer Mann aus dem Fenster. „Das ist unser Papa Serger“ verriet Elschen, als sie bemerkte, wie ich erstaunt zu ihm heraufblickte.
Plötzlich vernahm ich ein leises Schimpfen. „Wilhelm, du hast von mir nun schon zwei Notenblätter zum Bemalen bekommen, Mehr kann ich dir nicht geben, auch wenn du so schön malen kannst!“ Traurig ließ sich Wilhelm ins Gras fallen. Aber als er Elschen sah, lächelte er wieder.
„Welchen komischen Menschen hast du denn da kennengelernt?“ „Darf ich dir vorstellen, mein neuer Freund, der siebte Zwerg.“ Sie freute sich wie ein kleines Kind und warf ihr Püppchen lachend in die Luft.
„Wilhelm kann schön malen“ verriet mir Elschen, als wir ein Stück weitergingen. Elschen griff in die einzige Tasche ihres Kittels und holte ein abgegriffenes und mehrfach gefaltetes Blatt Papier hervor. „Schau, das hat er nur für mich gemalt.“ Und sie gab mir ihr Bild. Ich kannte das Motiv. Es war ein Bild vom Domjüchsee. Eine Ansicht, gemalt aus einem Fenster des Gebäudes Männer I. Tatsächlich, es war ein Bild unseres Wilhelm Müller, jenes begabten Schülers unseres Gymnasiums Carolinum mit der Gabe zum Zeichnen, der aber irgendwann hier in diese Anstalt kam.
„Gibst du mir mein Bild wieder?“ Elschen verzog ihr Gesicht, als wolle ihr jemand ihren Schatz wegnehmen. „Entschuldige bitte, ich finde es wunderschön“ Mit diesen Worten gab ich ihr die Zeichnung von Wilhelm zurück. Nur ich wusste, dass Wilhelm noch viele solche Bilder malen würde.
„Warum hängen hier eigentlich so viele bunte Tücher aus den Fenstern?“, fragte ich Elschen, nachdem sie die Zeichnung wieder in ihrer Kitteltasche gesteckt hatte. „Weißt du denn das nicht, wir haben doch morgen unser Entendankfest!“ Sie lächelte glücklich. Sie bemerkte nicht, dass ich ein wenig grinsen musste.
„Schau mal, wie viele Erdäpfel ich ausgebuddelt habe!“ Stolz hielt ein etwa 50-jähriger Mann mit grauen Haaren und schmutzigen Händen seinen Korb mit den geernteten Kartoffeln in die Höhe. Elschen klatschte in die Hände. Mir fiel allerdings ein Pfleger auf, der in seiner Nähe stand. Er kam mir irgendwie bekannt vor. War das nicht der Oberpfleger Fritz, den ich aus den Geschichten von der Domjüch kannte?
Aber Fritz sah mich nicht und lenkte schließlich den fleißigen Kartoffelsammler in Richtung Küche.
Elschen war inzwischen vorgelaufen und führte mich über eine kleine Treppe in den großen Tagesraum des Anstaltsgebäudes Frauen 1. Dieser war fast leer. Nur eine ältere Frau saß regungslos in der Ecke. „Das ist Hedwi“ rief Elschen „Sie ist meine Freundin, aber immer so traurig!“ Plötzlich sah Hedwi auf. Ihr Gesicht hellte sich auf und sie fing an zu lächeln. „Elschen, wie hast du das bloß gemacht, seit Monaten hat Hedwig nicht mehr gelacht?“
Erst jetzt merkte ich, dass uns die alte Schwester gefolgt war. „Ja, Hedwi freut sich, dass ich den siebten Zwerg gefunden habe!“ „Na, dann lass ich euch beide mal alleine.“ Die Schwester lächelte zufrieden und verließ den Saal.
Plötzlich spürte ich einen Stups von der Seite. „Papa, Papa, ich habe den siebten Zwerg gefunden. Er liegt hier faul in der Sonne und schläft!“ Erschrocken öffne ich meine Augen und schau mich um. Eine ganze Horde fröhlicher Kinder kommt auf mich zu. Die vielen bunten Tücher, die eben noch aus den Fenstern der alten Anstalt hingen, flatterten nun an den Bäumen im lauen Wind.
Ach ja, heute ist doch das Märchenfest auf der Domjüch und ich soll den siebten Zwerg bei Schneewittchen im Märchenkeller spielen. „Ja Kinder, ich komme doch schon, aber ein alter Zwerg wie ich muss doch auch mal Mittagsschlaf machen.“ Und Träume haben, ergänzte ich im Gedanken.
Es sollte ein wunderschöner Tag mit vielen fröhlichen Kindern auf dem Gelände der alten Irrenanstalt Domjüch bei Neustrelitz werden.