Veröffentlicht: 04.06.2022. Rubrik: Spannung
Kommissar Kuhlmann und das Gangsterpärchen
Kommissar Kuhlmann, der für seine Berufserfahrung und breite Allgemeinbildung berühmte Ermittler, genoss wieder einmal die Ferien an der kroatischen Adriaküste. Er beherrschte die Landessprache und interessierte sich auch für deren Grammatik mit ihren sieben Fällen.
Mit Ivan, dem Besitzer seiner Pension, unterhielt er sich gern. „Seit ein paar Monaten“, erzählte Ivan, „wird das ganze Land von einem Gangsterpärchen terrorisiert: Branka und Branko. Sozusagen Kroatiens Antwort auf Bonnie und Clyde. Allerdings ‚arbeiten‘ die beiden oft getrennt voneinander. Vor drei Tagen befragte die Polizei hier jemanden, weil sie vermutete, er müsse entweder Branka oder Branko gesehen haben. Doch er stritt dies ab. Wohl aus purer Angst. Es sind nämlich schon drei Personen, die der Polizei etwas über die beiden berichtet haben, später erschossen aufgefunden worden.“
„Hm“, überlegte Kuhlmann. Nach einer Weile fragte er: „Wäre es wichtig, zu wissen, wen von den beiden – die Frau oder den Mann – er möglicherweise gesehen hatte?“
„Wahrscheinlich ja – warum?“
Der urlaubende Kommissar schmunzelte. „Wie Sie wissen, interessiere ich mich für Ihre Sprache mit ihren sieben Fällen. Beim Instrumental bedeutet je nach Aussprache der letzten Silbe ‚s Brankom‘ ja entweder ‚mit Branka‘ oder ‚mit Branko‘. In der Schrift gibt es jedoch keinen Unterschied.“
Ivan dachte nach. „Ja, stimmt!“, nickte er schließlich. (Muttersprachlern fallen solche Dinge nicht auf. Würde man Deutschsprachige fragen, worin der Unterschied zwischen der Einzahl ‚Tochter‘ und der Mehrzahl ‚Töchter‘ bestehe, gäben 98% ausschließlich den Umlaut an. Dass es auch einen Unterschied in der Aussprache des ‚ch‘-Lautes gibt, würden vermutlich nur Linguisten erwähnen. Oder eben Nicht-Muttersprachler, die dies mühsam lernen müssen.)
„Man müsste“, sagte Kuhlmann, „den Befragten unauffällig dazu bringen, einen Text mit ‚s Brankom‘ vorzulesen. Je nachdem, welche Aussprache er dann unbewusst wählt, könnte man dies als Hinweis nehmen, welchen der beiden er gesehen hat. Natürlich kann es auch sein, dass er fragt: ‚Branka oder Branko?‘“
„Tja, dann hätte man Pech gehabt. Aber die Idee ist toll.“
Nachdem der Kommissar (der im Urlaub eigentlich überhaupt nichts „Berufliches“ tun wollte) einen Plan ausgearbeitet hatte, rief Ivan seinen Sohn und seine Tochter herzu. Mirko war Student, Lucija Gymnasiastin. Er erklärte ihnen das Vorhaben. „Mirko, du kannst ja gut Texte verfassen. Und du, Lucija, nimmst für eure Schülerzeitung ja manchmal Interviews auf. Ihr geht beide zu diesem Mann – ich kenne ihn – und bringt ihn dazu, Mirkos Text vorzulesen.“
Schon am nächsten Tag war es soweit. Die Geschwister schellten bei dem Betreffenden. „Guten Tag!“, begrüßte Lucija ihn. „Wir sind die Kinder von Ivan, der Sie angerufen hat. Meine Schülerzeitung hätte so gern ein Interview mit Ihnen –“
„Kommt nicht in Frage!“, wehrte der Mann ab.
„Schade! Wir wissen ja, dass Sie sich nicht zu diesem Gangsterpärchen äußern möchten. Deshalb hat mein Bruder schon einen Text formuliert, den Sie nur noch vorzulesen brauchen! Ich nehme Ihre Stimme dann auf!“ Sie schaute Mirko an, der ein Blatt aus der Tasche zog und es dem Mann hinhielt. Dieser las es kurz durch und knurrte dann: „Meinetwegen.“
Mirko und Lucija konnten ihr Glück kaum fassen, als er tatsächlich laut vorlas (natürlich das Ganze auf Kroatisch):
„Dieses teuflische Gangsterpaar Branka und Branko hält unser Land seit Monaten in Atem – sogar Menschen, die gar nicht direkt betroffen sind. Ich zum Beispiel, ein gesetzestreuer Bürger dieser Stadt, wurde stundenlang von der Polizei befragt, weil jemand behauptete, ich müsse eine dieser Personen gesehen haben. Das stimmt nicht! Kann man mich nicht s Brankom in Ruhe lassen? Ich bin es jetzt wirklich leid!“
Die Geschwister dankten dem Mann überschwänglich und liefen dann zu ihrem Vater und Kommissar Kuhlmann zurück. Alle vier lauschten konzentriert der Aussprache von ‚s Brankom‘ und waren sich einig: „Es ist die weibliche Version. Vermutlich hat er also Branka gesehen. Sie muss an jenem Tag hier gewesen sein.“
Schmunzelnd sagte Kuhlmann: „Hoffentlich ärgern meine hiesigen Kollegen sich nicht, weil ich mich eingemischt habe. Am besten gehen wir alle vier jetzt zur Polizeiwache, erklären den Beamten das Ganze und spielen ihnen die Aufnahme vor.“
Gesagt, getan. Es stellte sich heraus, dass die Information tatsächlich von großer Wichtigkeit war. Eine Woche später, kurz vor Kommissar Kuhlmanns Urlaubsende, gelang es der kroatischen Polizei, das Gangsterpaar Branka und Branko festzunehmen. Als dann bekannt wurde, von wem die entscheidende Idee gekommen war, wurde Kuhlmann landesweit zum Helden. Der Bürgermeister seines Ferienortes lud ihn sogar aus Dankbarkeit zu einer weiteren Woche in Ivans Pension ein, doch dies konnte er zu seinem Bedauern nicht annehmen: „Leider muss ich zurück. Mein Patenkind hat übermorgen Geburtstag. Der Kleine schimpfte übrigens neulich über die vier Fälle im Deutschen, die er in der Schule lernen muss. Ich werde ihm sagen, er soll froh sein, dass es nur vier sind und nicht sieben.“