Veröffentlicht: 29.01.2022. Rubrik: Satirisches
Nikotinentzug
Im vergangenen Jahr, genau zum Frühlingsanfang, versuchte ich mir das Rauchen abzugewöhnen. Ich glaubte nicht, dass es danebengehen könnte. Mit der Entsorgung meiner Restbestände an Zigaretten, Tabak und Zigarettenpapier zog ich einen radikalen Schlussstrich unter meine Gewohnheiten. Keinen Gedanken verschwendete ich mehr an das Rauchen. Ich verspürte auch keinen Druck rauchen zu müssen, um geistig fit zu bleiben. Das stetige Sinnieren, das gekünstelte Nachdenken, mein Kommentieren von Artikeln aus der Tagespresse, bei dem immer die Zigarette qualmte, brauchte ich nicht mehr. Und meinen Kopf musste ich nicht mehr zum Nachdenken stützen und hinter einer Qualmwolke verschwinden lassen. Mein Kopf war jetzt frei. Auch meine Hände waren es. Und das wurde mir zum Problem. Ich wusste nicht wohin mit ihnen. Meine Hände brauchten Beschäftigung. Else, meine Frau, fand das gut. Sie sagte, jetzt wo Du zwei Hände frei hast, beginnt für dich ein sinnvolles Leben. Du hast jetzt Zeit für wichtigere Aufgaben. Du musst nicht mehr rauchend sinnieren und nachdenken. Du darfst dich jetzt auch im Haushalt betun. Sie gab mir ein Staubtuch und zeigte, wo ich mit dem Staubwischen zu beginnen habe. Danach erklärte sie mir die Funktion des Staubsaugers. Ich war erstaunt, wie technisch gebildet meine Frau war. Selbst das Tütenwechseln konnte sie mir erklären. Das sich der Wischeimer mit dem Wischmopp in der Abstellkammer befand, musste sie mir nicht sagen. Das wusste ich. Dort steht immer ein Kasten Bier. Für die Dosierung des Wischwassers mit dem Universalreiniger gab sie mir den Tipp doch die Gebrauchsanleitung zu lesen. Sie ist einfach geschrieben und für jeden Laien verständlich. Diese mir übertragenen Arbeiten machten mir zunehmend Spaß und gingen mir sehr leicht von der Hand. Ich war stolz diese Arbeiten Else abnehmen zu dürfen und steigerte mich, indem ich jetzt auch das Zubereiten der Mahlzeiten übernahm. Das Frühstück war kein Problem. Nach dem Aufstehen ging ich zum Bäcker und kaufte frische Brötchen. Zu Hause kochte ich Kaffee, deckte den Tisch und weckte Else. Nach dem Frühstück machte ich unseren Haushalt und bereitete danach das Mittagessen. Mit der Zeit war ich so perfekt, dass ich genügend freie Zeit hatte, um weitere Hausarbeiten zu übernehmen. Das Wäschewaschen und das Bügeln wurden zur Lieblingsbeschäftigung. Else konnte gar nicht so schnell ihre Wäsche verschmutzen, wie ich sie gewaschen und gebügelt hatte. Auch für die Gartenarbeit wurde ich empfänglicher. Ich informierte mich im Vorfeld über notwendige Gartenarbeiten bei meinem Nachbarn. Er konnte mir viele anfallende Arbeiten erklären. Für deren gewissenhafte Ausführungen holte ich mir Rat im Garten Center. Das Studieren von Gartenbüchern wurde zum Hobby. Hilfreiche Informationen fand ich auch im Internet. Jetzt im Frühjahr war die Düngung der Rosen angesagt. Auf eine kleine Waage legte ich 10 g Granulat für die Rosendüngung und zählte die Granulatkörner. 38 Stück Granulate ergaben dieses Gewicht. Im Garten setzte ich mich auf einen kleinen Hocker vor den Rosenstock, nahm den Dünger in meine Hand, zählte die Granulatkörner ab und streute sie um den Rosenstock. Mein Nachbar beobachtete mich, lief hin und her und schüttelte den Kopf. „Nu sach mal, was soll denn das wern?“ fragte er. „Ich dienge de Rosen,“ antwortete ich. „Biste Dir da ganz sicher?“ „Nu,“ antwortete ich „ich hab doch den Dienger abgewogn. 38 Stieck Granulat ergebn 10g Dienger. 35g Dienger sind für die Erstdiengung eenes Rosenstocks vorgesehn. Das ergibt 133 Stück Granulat pro Pflanze. Die zähle ich jetzt ab und dienge damit jede Pflanze.“ „Haste was geroocht oder biste zugekifft?“ „Nee, Du weeßt doch, dass ich offgehört habe.“ „Vielleicht liegt‘s daran,“ murmelte mein Nachbar, schüttelte den Kopf und holte sein Handy aus der Tasche. Ich verstand nur: „Der hat ja een an dor Klatsche.“
***
Als ich in der Physiatrie aus der Narkose erwachte, sagte die Ärztin zu mir: „Das Update für das Nichtrauchen, dass sich bei Ihnen installiert hatte, war fehlerbehaftet. Es hat leichte Störungen in ihrem Betriebssystem verursacht. Sicher lag es auch daran, weil sie auch gekifft haben. Ich habe es deinstalliert und die Resettaste gedrückt. Das Betriebssystem ist jetzt auf dem Stand, als sie anfingen zu rauchen. Um die Therapie erfolgreich zu gestalten, müssen sie wieder solange Rauchen bis das alte Niveau erreicht ist. Erst dann sind sie für ein neues Update empfänglich. Unsere Einrichtung dürfen Sie aber erst verlassen, wenn ihre Frau den Nachweis über eine Teilnahme an einen Erste-Hilfe -Kurs erbringt.“
Else legte diesen Nachweis vor und ich konnte entlassen werden. Zu Hause entwickelte ich mich wieder zu dem Menschen, der ich einst war. Ich war wieder mit mir beschäftigt. Rauchend sinnierte oder dachte ich nach. Die Tageszeitung las ich, wenn Else die Hausarbeit verrichtete. Ich erläuterte ihr dann die einzelnen Artikel und kommentierte sie. Else nahm meine Kommentare mit kurzen Antworten wie: „Ach so,“ oder „Das ist mir aber neu“ desinteressiert entgegen. Sie wartete sehnsüchtig auf ihren Einsatz als Erste-Hilfe-Helferin.