Veröffentlicht: 13.12.2021. Rubrik: Unsortiert
Die Penthouse-Dame
Sie lag auf dem Rücken, nackt zwischen den zerwühlten Lacken, die Hand auf der leichten Wölbung ihres Bauches. Sie war nicht mehr jung, die 40 hatte sie eingeholt, schleichend, unbemerkt. Eines grauen Morgens war sie aufgewacht, lag wie heute in diesem eigentlich zu großem Bett und stellte sachlich erschrocken fest, dass ihre Jugend hinter ihr lag. Doch sie trauerte nur leise um diese Zeit, in ihr war nichts lautes mehr, gedämpft vom Rauch der Zigaretten lag ihre persönliche, leise Parallelwelt; diese immerzu schlummernde Penthouse-Wohnung.
Der Morgen war eigentlich noch fast gar nicht angebrochen, durch die schweren Vorhänge aus dunklem Samt, drang der Tag noch nicht durch. Aus alter Gewohnheit versprühte lediglich eine Nachttischlampe schales, schummriges Licht. Die Dame scheute das helle, das grelle, das forschende Licht, welches ihren weichen, schweren Körper, gleich einem Bühnenscheinwerfer in die Mangel nahm.
Sie wusste, dass ihr Haar von der Nacht platt gedrückt war, ohne ihren Körper zu bewegen, angelte sie nach dem kleinen, zierlichen Handspiegel. Rosenknospen aus Messing umrahmten ein fahles Gesicht. Der Lippenstift passte nicht zu ihrem Teint, gespenstisch verschmiert ließ er sie aussehen, als blute ihre Unterlippe. Sie wischte es halbherzig weg, dunkel und blau umrahmte ein verrutschter Lidschatten die müden Augen, tiefschwarz und lästig lange klebten die falschen Wimpern aneinander. Sie warf sich selbst einen verführerischen Blick zu, und sah in ihrem entstellten Gesicht einen Anflug skurrilen Charmes.
Dann legte sie den Spiegel wieder weg, plötzlich war ihr seltsam. Ein Gefühl welches lange in ihr schlummerte und vorzugsweise in grauen Morgenstunden aufkam, griff nach ihrem Herzen. Kurz legte sie die Hand zwischen ihre Brüste. Es schlug noch. Trotz der dünnen Laken war ihr beinahe unerträglich warm. Sie schob die Laken endgültig weg, suchte in ihrem Kopf Worte, die beschrieben, was in ihr dieses seltsame Gefühl weckte, welches sich gleich einer beiläufigen und dennoch unerträglichen Übelkeit, um sie legte.
Sie wandte den Kopf. Er schlief noch, man sah nur seinen strubbeligen Hinterkopf, hörte seinen gleichmäßigen Atem. Sein Wecker würde bald klingeln, dann würde er aufstehen, sich anziehen, sich noch einmal nach ihr umsehen und verschwinden. Sie würde ihn vielleicht wiedersehen, vielleicht auch nicht. Und sie merkte, dass sie ihn beneidete, diesen strubbeligen Hinterkopf beneidete, um den Schlaf den der schlief, um die Lust die er empfunden hatte, wie sie auch. Doch war seine Lust nicht zu Asche zerfallen, war seine Lust nicht auf schwarzen Flügeln davongehuscht, wie ein Dieb in der Nacht, der nichts zurücklässt.
Sie war hungrig. Kein bohrender Hunger, kein reißender Hunger, der letzte Nacht ein wildes Tier aus ihr machte. Dieser Hunger war nun fort, es war ein Hunger, der tiefer ging. Ein unerträglicher Hunger, danach, dass die schwarzen Flügel nicht fortflogen, und nicht alles mitnahmen und sie zurückließ in dieser Wohnung, schwer, massig, entstellt. Sie schaute wieder den Hinterkopf an, er war nicht bei ihr. Er dachte nicht ihre Gedanken. Er wusste nicht dass sie nun alleine war in seiner Gegenwart. Und in ihr schwelte Hunger.
Plötzlich sehnte sie sich nach einem weißen Satin-Nachthemd. Sie sah es vor sich, weich, dünn, kurz. Von Spitze umsäumt. Weiß? Oder ein Hauch Cremefarben? Teuer musste es sein. Cremefarben und ungetragen, auf einem Bügel wollte sie es an den Schrank hängen, es betrachten vom Bett aus, vorstellen, wie sich ihre Finger im kostbaren Stoff verfangen. Vorstellen, wie warme Hände ihre Brüste streichelten, durch den Stoff, die Knospen spürten und der schwarze Vogel sich in ihr regte.
Sie setzte sich auf, lehnte sich an das Kopfteil, nahm eine Zigarette zwischen die Lippen. Vertraut klickte das Feuerzeug, sie sog das Leben ein, das sie sich erhoffte. Den alten Geschmack von Tabak im Hals und auf der Zunge, legte den Kopf in den Nacken und stieß das leere, unendlich leere Leben in das graue Zimmer zurück. Dort blieb es.