Veröffentlicht: 31.10.2021. Rubrik: Grusel und Horror
Happy Halloween!
„Wie sehe ich aus?" Ida zog sich die Krempe des Hexenhuts zurecht und sah ihren alten Freund Fynn erwartungsvoll an.
„Wie eine alte Hexe", kicherte Fynn, und da er den Kalauer selbst nicht überzeugend fand, setzte er noch schnell ein „steht dir wunderbar, vor allem mit der Maske" hinzu.
„Wird auch Zeit, dass du deine aufsetzt, nicht dass dir jemand deine 700 Jahre ansieht. Wir wollen uns ja zuerst amüsieren." Ida drückte ihm eine Maske in die Hand, auf der das Gesicht eines Druiden aufgemalt war, und gehorsam stülpte Fynn sie sich über.
„Gut, dass wir beide klein sind. Vergiss nicht, deine Stimme zu verstellen", riet Ida ihm, ehe sie sich unter die bunt kostümierten Kinder auf der Straße mischten. Die meisten waren mit ihren Eltern unterwegs. Ida und Fynn suchten sich ein Paar mit drei Kindern aus.
„Dürfen wir mit Ihnen gehen?", fragte Ida und freute sich, dass ihre Stimme wie die einer Neunjährigen klang, es hatte genutzt, das zu üben, genau so wie das etwas linkische Halten des Besens.
„Wo sind denn eure Eltern?" Der Vater musterte Ida und Fynn misstrauisch.
„Die müssen arbeiten", antwortete Fynn, „im Krankenhaus. Unser Vater ist Arzt, und..."
„Wir kommen natürlich nicht mit, wenn Sie nicht wollen", fiel Ida ihm ins Wort, und sofort kam ihr die Mutter der Kinder zu Hilfe.
„Natürlich könnt ihr mitkommen, Ryan ist manchmal zu misstrauisch." Sie lächelte Ida und Fynn an und wuschelte Fynn durch das feuerrote Haar.
Zwei Stunden später war Idas Hexenhut voller Bonbons, Lakritze und anderen Süßigkeiten, und Fynn hatte sich die Hosentaschen so vollgestopft, dass sie ausbeulten.
„Vielen Dank, dass wir mit Ihnen kommen durften", bedankte Ida sich bei der Familie und machte sogar einen Knicks. „Wir gehen jetzt nach Hause." Sie zog Fynn an der Hand und drängte ihn auf die andere Straßenseite.
„Lasst euch die Süßigkeiten schmecken und happy Halloween!" Die Eltern und ihre Kinder winken ihnen zum Abschied zu.
In einer ruhigen Seitenstraße fischte Ida als erstes die Lakritze aus dem Hut und steckte sie sich in den Mund. Welch herrlicher Geschmack! Da konnte sie tausend Jahre alt werden, dieser Genuss würde immer etwas Besonderes sein. Fynn sah ihr ungeduldig zu.
„Wir haben noch etwas vor", erinnerte er sie.
„Ich weiß, aber ich habe ja gesagt, wir amüsieren uns zuerst." Sie merkte, dass Fynn ärgerlich wurde und fegte die Süßigkeiten rasch in ihre Manteltasche, ehe sie den Hut wieder aufsetzte und ihm den Besen hinhielt.
„Steig auf!"
Das ließ Fynn sich nicht zweimal sagen. Er liebte es, mit ihr zu fliegen.
„Was glaubst du, wer es sein wird?", fragte Ida drei Stunden später, nachdem der Besen sie durch die Lüfte getragen und sie sich einige Häuser und die dort lebenden Menschen angesehen hatten. Idas Besen war mit einer Glaskugel ausgestattet.
„Der 99-jährigen im ersten Haus bestimmt", antwortete Fynn, „und ich glaube, auch die Frau im letzten Haus. Sie ist schon lange krank. Sie wird das ganze nächste Jahr nicht mehr schaffen."
„Sonst niemand? Ich hätte gerne noch einen Jüngeren, einen, der im selben Alter stirbt wie wir."
„Okay. Dann holen wir Ryan."
„Diese Kinder, die mit uns gehen wollten, kamen mir komisch vor", sagte Ryan zu seiner Frau, als sie zu Hause waren und ihre eigenen Kinder endlich im Bett lagen.
„Ich wollte sie nicht wegschicken, wenn ihre Eltern so hart arbeiten müssen", erwiderte seine Frau und berührte ihn zart. „Nächstes Jahr holen wir niemanden mit."
Ryan schüttelte sich. „Jetzt ist mir auf einmal kalt geworden." Er nahm seine Frau in den Arm.
„Nein, nächstes Jahr holen wir niemanden mit."