geschrieben 2021 von Nhymeria (Nhymeria).
Veröffentlicht: 16.09.2021. Rubrik: Fantastisches
Werwölfe
„Es wird bestimmt ganz toll.“, sagte ich aufgeregt, als wir in die Straße zu dem Ferienhaus einbogen.
„Hm, bestimmt.“, war das einzige Kommentar von Anna auf dem Beifahrersitz.
Die Straße war eher ein Feldweg durch den Wald, zumindest war er gleichmäßig geschottert und breit, so dass ich auch bei Gegenverkehr gut hätte ausweichen können.
„Ganz schön abgelegen.“, sagte sie langsam, während sie aus dem Fenster sah.
„Ja, das ist ja das großartige daran. Das Haus hat Wasser und Strom, aber ansonsten ist nichts drum herum, nur der Wald und ein kleiner See.“
„Hm.“, hörte ich nur als Antwort, ohne dass sie den Kopf drehte.
Wir fuhren Schrittgeschwindigkeit mehr wollte ich auf dem Weg nicht fahren. Ich versuchte es noch einmal und ergriff ihre Hand.
„Danke, dass du dieses Wochenende mitgekommen bist. Danke, dass du das für mich machst.“
Wir hatten uns heute am Freitag freigenommen, um loszufahren. Sonntagmittag wollten wir die Heimreise antreten. Sie legte ihre rechte Hand auf meine und drückte sie kurz. Dann wandte sich Anna zu mir und lächelte mich kurz an.
„Der Wald ist schön. Jetzt im Herbst voller bunter Farben. Schade, dass es so neblig ist.“, sagte sie.
Ich kannte Anna bereits seit zwei Jahren. Seit etwas mehr als einem Jahr waren wir zusammengezogen und sie tolerierte meine Computer-Spielerei. 10 Monate war ich in das neue Online Spiel „Werwölfe“ versunken. Es ging um eine mittelalterliche Welt, in der es natürlich die namensgebenden Werwölfe gab, aber auch normale Bürger, Händler und Werwolf-Jäger. Das Spiel hatte so viele Aspekte, man konnte allein Abenteuer bestehen, oder sich zu festen Gruppen, sogenannten Clans zusammenschließen, um Erfahrung und Ressourcen zu teilen und größere Aufgaben abzuschließen. Mein Clan die Blutpfoten, hatte nun ein Gildentreffen im realen Leben vorgeschlagen. Hier im Harz. Unser Clan bestand nur aus Werwölfen und wir versuchten so viele Schätze und Territorien zu erlangen, wie wir konnten.
Es hatte etwas Zeit gekostet, um Anna zu überreden. Ich war sehr froh. Von Natur aus war ich schon immer zurückhaltender und stiller gewesen, so dass es für mich schwerer war neue Leute kennenzulernen. Online war das irgendwie einfacher.
„Du solltest lieber auf die Straße schauen, Robert.“, riss mich meine Freundin aus den Gedanken.
„Klar.“, ich lächelte kurz zurück und fuhr weiter.
Als wir um die nächste Biegung fuhren, wurde der Weg leicht abschüssig und wir sahen das Haus. Es sah aus wie ein Hexenhäuschen nur viel größer, komplett mit Giebeln und Fachwerk und Holz.
„Hübsch.“, bemerkte Anna. Ich war mir nicht sicher, ob sie es ernst, oder abwertend meinte. Als wir näherkamen, erkannte ich tatsächlich, dass das Gebäude schon mal bessere Zeiten gesehen hatte. Es sah aus, als hätte man vor Jahren alles frisch renoviert und es dann verfallen lassen. Überall sah man die Spuren der Zeit, bröckelte etwas Putz, blätterte etwas Farbe ab. Für mich wurde dadurch nur noch magischer.
Vor dem Haus waren fünf Parkplätze, vier waren schon belegt. Neben einem Mercedes C Klasse stand ein brandneuer BMW M5. Wahnsinn! Zumindest parkte dort auch ein älterer Golf, so dass ich mir mit meinem sieben Jahre alten Opel Astra nicht blöd vorkam.
„Siehst du den BMW?“, platzte es aus mir heraus. „Das ist ein 100.000 Euro-Auto.“
„Aha.“, erwiderte Anna und betrachtete den Wagen.
„100.000. Weißt du was das bedeutet?“
„Das jemand zu viel Geld für ein Auto ausgibt?“, sie sah ich mit ihren grünen Augen fragend an, während sie ihre rechte Augenbraue hochzog.
„Frauen!“, weinte ich und klatschte meine Hände auf das Lenkrad.
Sie lachte ihr helles warmes Lachen und antwortete ironisch: „Männer!“
Ich seufzte. Anna waren teure Autos und auch andere Statussymbole komplett egal. In anderen Situationen liebte ich diese Seite besonders an ihr. Ich war nicht arm, aber weit davon entfernt reich zu sein. Es war auch nicht mein oberstes Ziel es zu werden, aber manchmal. Manchmal. Man, einmal so ein Auto zu fahren, dachte ich.
„Wollen wir nicht aussteigen?“, fragte sie.
„Ja natürlich.“
Die Haustür öffnete sich und ein großer junger Mann kam heraus. Wir schlugen gerade die Autotüren zu, als er uns grüßte.
„Hallo, da seid ihr ja. Ich bin Slasher, also Peter.“, rief er uns zu.
Ich holte schnell unsere Taschen aus dem Kofferraum. „Hallo.“, grüßte ich zurück.
„Ich bin Robert, ähm Darkspawn und das ist meine Freundin Anna.“
Wir schütteln Hände.
Slasher war der Anführer unseres Clans, im Spiel hieß der Anführer Alpha. Ich hatte ihn mir wesentlich älter und erfahrener vorgestellt. Ich selbst war 31. Der junge Mann vor mir strahlte uns mit einem breiten Grinsen an. Er war vielleicht 22, 23?
„Na überrascht?“, gluckste er, was ihn noch jünger aussehen ließ.
„Ja, durchaus.“, gab ich ehrlich zu. „Aber das zeigt mal wieder, dass man ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen sollte.“
„Wow. Cooler Spruch!“
Er drehte sich um und winkte uns ihm zu folgen. „Die anderen sind schon alle da, sind auch erst vor kurzem gekommen.“
Peter führte uns durch den Eingangsbereich und einen offenen Wohnbereich mit angeschlossener Küche. Der Boden bestand aus glänzend polierten Holzdielen, auf denen überall verstreut Teppiche und Pelze lagen. An einem großen Esstisch standen zwei Bänke und vier schwere Stühle. Zwei lange Ledersofas standen einander gegenüber, direkt vor einer Fensterfront, von der man in den Garten kam. Rechts davon stand ein großer Kamin, in dem bereits ein Feuer brannte. Insgesamt machte das Haus von innen einen ziemlich luxuriösen Eindruck.
Von den Sofas erhoben sich drei weitere Jungs und ein Mädchen. Ich weiß, sie waren alle erwachsen, aber ich kam mir gerade so viel älter vor. Spielte sonst niemand das Spiel, der über 30 war?
„Das sind Judith, Frank, Tom und Max.“, stellte Peter die Gruppe vor.
„Das ist Robert, Darkspawn und seine Freundin Anna.“
Alle begrüßten uns sehr freundlich. Es schienen nette junge Leute zu sein. Ich sah auf Anna. Sie lächelte und freute sich wohl tatsächlich. Diese Gruppe war also doch eine positive Abwechslung zu ihrer Arbeit. Anna war pharmazeutisch-technische Assistentin und hatte den ganzen Tag mit kranken Menschen zu tun. Sie mochte ihre Arbeit, aber manchmal wirkte sie traurig, als gäbe es im Leben nur Krankheit und Leid.
Die Onlinenamen der Jungs brauchte ich nicht zu raten, sie nannten sich Frankenstein, Tomahawk und MaxxPain. Judith war das einzige Mädchen unseres Clans, sie nannte sich schlicht Wolfgirl.
„Wir sind gerade dabei die Liste zu prüfen, ob wir für dieses Wochenende alles haben. Und bitte nennt mich Judy.“, meinte Wolfgirl in ihrer ruhigen, strengen Art, die ich auch aus unseren Gesprächen aus dem Spiel kannte. Ich lächelte verschmitzt und nickte.
„Ich würde gern zuerst auspacken.“, meldete sich Anna.
„Ja natürlich.“, sagte Judy.
„Und eine Führung durch das Haus bekommt ihr natürlich auch noch.“, setzte Slasher nach. Peter, dachte ich, sein Name ist Peter.
Im Erdgeschoss zeigte er uns noch ein großes Badezimmer.
Im ersten Stock befanden sich vier Schlafzimmer, eine Toilette und ein extra Bad mit Dusche.
„Das ist euer Zimmer.“, zeigte Peter auf einen hellen Raum mit Doppelbett und einer Kommode.
„Paul und Stefan können leider nicht kommen.“
„Schade.“
„Das ist ein sehr schönes Haus.“, sagte Anna, als sie unser Zimmer betrat und ihre Tasche auf dem Bett abstellt.
„Ja, super nicht? Es gehört meinem Onkel und er nutzt es für seinen Wanderverein. Natürlich vermietet er es auch. Ich habe einen Vorzugspreis bekommen. Pro Person nur 20 Euro für das Wochenende, inklusive Strom und allem.“
„Das klingt sehr gut. Also wohnst du hier in der Nähe?“, fragte Anna und drehte sich zu Peter um.
„Ja ich wohne in Elend, das ist nur 10 Minuten weg.“
„Elend?“, wiederholte ich langsam. Ich hatte zwar die Straßenschilder gesehen, aber es auszusprechen klang komisch.
Peter lachte, „Ja die Namen hier sind schon komisch. Wenn du durch Sorge durch bist, kommst du nach Elend.“
„Die Menschen hatten es hier früher wohl sehr schwer.“, warf Anna ein und blickte aus dem Fenster.
„Ist es hier immer so neblig?“
„Oft, vor allem jetzt im Oktober.“, antwortete Peter.
Kurz hing eine unangenehme Stille über dem Raum. Dann räusperte er sich.
„Ich lass euch erst mal ankommen und auspacken und dann sehen wir uns gleich unten.
Ich danke ihm und schloss die Tür.
Als ich mich zu Anna umdrehte, war sie schon damit beschäftigt ihre Sachen aus der Tasche zu packen.
„Und wie findest du es? Ist es nicht schön?“
„Ja es ist sehr schön hier.“
„Peter und die anderen sind auch sehr nett. Das wird bestimmt ein tolles Wochenende.“
„Hm“, erwiderte Anna und verstaute ihre wenigen Sachen in der Kommode und dem Nachtkästchen.
Schnell öffnete ich auch meine Tasche und begann meine Kleidung auszupacken.
„Man nimmt auf diesen Kurztrips immer zu viel mit.“, sagte ich, um die plötzlich ernste Stimmung aufzulockern.
„Findest du sie nicht alle sehr jung? Nach deinen Erzählungen dachte ich, sie seien in deinem Alter.“
„Ach Alter sagt gar nichts aus.“, erwiderte ich, ertappt meine eigenen Gedanken von Anna zu hören.
„Die Stimmung über diesem Haus ist dunkel.“, sagte Anna leise.
Ich blickte von meiner leeren Tasche auf und sah sie an.
„Was meinst du damit?“
Sie erwiderte meinen Blick und winkte ab, während sie müde lächelte.
„Ach gar nichts. Es ist wahrscheinlich nur die lange Fahrt. Vielleicht ist es auch der Nebel. Alles sieht im Nebel ausgewaschen aus und man kann nicht weit sehen.“
Trotz meiner Aussage hatten wir nicht viel auszupacken und bereits wenige Minuten später gingen wir wieder die Treppe hinunter.
Die Gruppe saß auf dem Sofa und sie unterhielten sich angeregt. Ich betrachtete sie alle eingehend. Peter war der größte, bestimmt über 1.90 m. Mit seinem blonden, wuscheligen Haaren, die ihm in alle Richtungen standen, sah er wie der typische amerikanische Surfer aus. Nur seine helle Haut verriet, dass er die Sonne wohl nicht so oft sah. Links neben Peter saß Max. Er war kleiner und stämmiger und hatte dunkelblondes kurzgeschorenes Haar. Es sah aus wie einer dieser Türsteher, durchaus trainiert, aber noch zu jung, um selbst in die Disco zu gehen. Frank saß rechts von Peter und er hatte meine Größe. Die Seiten seines Schädels hatte er sich komplett rasiert und nur in der Mitte einen breiten schwarzen Streifen gelassen. Seine Frisur erinnerte mich an ein Vogelnest nach einem Sturm. Auf dem anderen Sofa mit dem Rücken zu uns, saßen Judy und Tom. Sie saßen sehr eng beieinander und Tom hatte seinen Arm um Judy gelegt.
„Wenn du durch die Feuerteiche durch bist, musst du nach Norden gehen, da gibt es die besten Schätze.“, erzählte Frank gerade. „An einem Tag hatte ich mal 20 gefunden, das waren gut 40.000 Gold.“
„20 Schätze!“, rief Tom aus. „Wieso plündern dort nicht alle?“
Peter lachte. „Frank hat nicht erzählt, dass es da nur so von Monstern wimmelt. Sie greifen sich dort immer zu zweit oder zu dritt an und den meisten ist die Zeit zu schade und die Kosten für Reparaturen und Heiltränke. Wie viel hast du für Tränke ausgegeben Frank, um das alles zu sammeln?“
Frank sah verschmitzt nach unten. „Naja so 10.000 – 15.000 werden es schon gewesen sein, aber ich habe immer noch guten Gewinn gemacht.“
„Und wieviel Kosten zum Reparieren?“, hackte Peter nach.
Frank, zuckte mit den Achseln.
„Echt jetzt?“, kommentierte Max und schlug sich die Hände vors Gesicht.
„Ich weiß es wirklich nicht. Du weißt, dass ich mir das nicht merke.“, verteidigte sich Frank.
Nun lachten alle.
Peter bemerkte uns zuerst.
„Da seid ihr ja. Kommt, setzt euch. Wollt ihr Kaffee? Wasser? Wir haben erst 15 Uhr also ist es etwas früh mit den harten Sachen anzufangen.“, er grinste und zwinkerte Anna zu.
Wir setzen uns zu Tom und Judy und nahmen uns den angebotenen Kaffee.
„Ich bin wirklich froh, dass ihr gekommen seid.“, meinte Frank, während Peter aufstand und noch ein großes Stück Holz in den Kamin warf.
„Und ich erst. So bin ich zumindest nicht die einzige Frau.“, lächelte und Judy an.
Wir unterhielten uns über unsere Anfahrt. Tatsächlich waren wir von Würzburg hier in den Harz mit vier Stunden am längsten unterwegs gewesen. Frank und Peter stammten aus der Gegend. Max kam aus Göttingen und Tom und Judy waren ein Paar und kamen aus der Nähe von Leipzig.
„Tom und ich sind jetzt seit sieben Monaten zusammen.“, erklärte Judy stolz und kuschelte sich noch näher an ihren Freund. „Ich habe ihn auf das Spiel gebracht.“
„Irgendwann wollte ich wissen, was sie daran so toll fand.“, erzählte er uns. „Und dann bin ich dem Ganzen selbst auf dem Leim gegangen.“
„Anna und du spielst gar keine Computerspiele?“, fragte Max.
„Nein.“, antwortete sie knapp.
„Nicht mal versucht? Irgendeins?“
„Nein, ich kann damit gar nichts anfangen.“, Anne wand sich etwas wegen der Fragen und der Aufmerksamkeit.
„Das ist auch gar nicht ungewöhnlich.“, kam ihr Judy zu Hilfe.
„Sich in andere Welten zu flüchten ist eher etwas für kleine Jungs.“, führte sie weiter aus.
Die besagten Jungs brachen in schallendes Gelächter aus.
„Was ist dann mit dir, Wolfgirl? Bist du dann auch ein kleiner Junge?“, fragte Frank hämisch, während Max nachsetzte: „Das sollten wir lieber Tom fragen.“
„Ich habe viele andere Hobbys.“, verteidigte sich Judy und achtete gar nicht auf das Geplänkel.
„Ich gehe Joggen und gehe gern mit Freunden weg und außerdem habe ich noch mein Studium.“
„Was studierst du denn?“, fragte Anne, dankbar über den Themawechsel.“
„Biomedizin.“
„Was macht man da?“, fragte ich. Unter dem Begriff konnte ich mir gar nichts vorstellen. Hatte nicht alle Medizin mit Biologie zu tun?
„Also wenn ich fertig bin, möchte ich in die Forschung. Wir lernen über Zellkulturen und die Uni Leipzig ist sehr groß. Ich habe meinen Schwerpunkt auf Mutationen gelegt.“
„Mutationen.“, wiederholte ich lahm.
„Das ist sehr interessant.“, sagte Anna.
„Wir sollten jetzt das Thema wechseln, bevor Judy einen Vortrag beginnt.“, warf Peter ein.
„Es ist doch schön, wenn es sie begeistert.“, meinte Tom.
„Wie dem auch sei, wir wollten über die Liste mit unseren Lebensmitteln für dieses Wochenende sehen.“, fügte Peter unbeirrt hinzu.
„Ja natürlich.“ Judy holte einen Ordner vom Esstisch.
„Also Frank und Max sind schon länger hier und waren bereits einkaufen. Für mich ist die Liste mehr als vollständig, aber wir möchten sicher sein, dass für jeden alles dabei ist.“
Judy zeigte uns die Liste. Es gab ein Haufen Fleisch, Gemüse, Snacks und Unmengen an Alkohol, Kaffee, Milch, Zucker, Wasser, Saft, Brot, Wurst, Käse.
„Hm.“, kommentierte Anna erstaunt, beim Blick auf Bier, Wein und Spirituosen.
„Robert hatte nichts dazu gesagt, ob ihr etwas nicht vertragt, oder ob ihr etwas spezielles wollt.“, warf Judy ein.
Anna lächelte die junge Frau an. „Das ist in Ordnung. Ich denke auch die Liste ist vollständig und es wurde von allem genug gekauft. Danke für das Einkaufen.“, wandte sie sich an die beiden Jungs.
„Sehr gut.“, Peter klatschte in die Hände. „Dann können wir den Grill anschüren.“
„Es ist erst 16 Uhr.“, rief ich erstaunt.
„Richtig grillen braucht seine Zeit.“, meinte Peter nur wissend. „Wollen sich die Damen um die Salate kümmern?“
Der restliche Nachmittag verlief ganz lustig. Wir Männer standen alle um den Grill herum und betrachteten die Kohle, die sich langsam in Glut verwandelte. Wir redeten über alles Mögliche, das Spiel natürlich, aber auch über andere Dinge. Peter hatte für den nächsten Monat einen größeren Angriff auf unseren Nachbarclan geplant, um ihnen Gebiete mit Edelsteinen abzunehmen.
Tom, Frank und Max drückten ihre Begeisterung aus. Nachdem Frank an alle Bier austeilte, wurde die Stimmung etwas lockerer. Jedes Mal, wenn jemand einen Witz machte, oder etwas lobendwertes sagte, stimmten die anderen alle ein Wolfsgeheul an. Ich war anfangs noch etwas zurückhaltend, doch Max meinte: „Komm, sing mit uns. Hier hört uns keiner.“
Ich fühlte ich sehr schnell aufgenommen. Ich gehörte dazu. Das war mein Clan und das freute mich sehr. Einmal ging ich ins Haus, um mich zu erleichtern und um nach Anna zu sehen. Sie saßen gemeinsam am Esstisch und schnitten Gemüse.
„Weißt du das im menschlichen Genom bis zu 1200 Mutationen bei einem einzigen Menschen vorkommen können, ohne dass man eine davon sieht?“
Anna gab einen erstaunten Ausdruck von sich.
Nachdem ich im Bad war, hatten sie anscheinend das Thema gewechselt.
„Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut. Ich habe es allen meinen Freunden erzählt.“, sagte Judy gerade. „Hast du es auch allen erzählt?“
„Nein, ich wusste nicht was mich hier erwarten würde. Vor allem, weil ich das Spiel ja gar nicht spiele. Ich fand es etwas merkwürdig das zu sagen.“, räumte Anna ein. „Also habe ich nur gesagt, wir fahren übers Wochenende weg.“
„Ach so.“, meinte Judy.
„Aber es ist viel netter als ich erwartet hatte. Vor allem bin ich sehr froh, dass ich dich kennengelernt habe.“, setzte Anna hinzu.
Ich blieb in der offenen Badezimmertür stehen, um weiter zu lauschen. Ich weiß, das ist keine nette Angewohnheit, aber ich wollte die Frauen nicht unterbrechen.
„Ja, danke.“, erwiderte Judy. Sie klang abgelenkt, vielleicht durch das Schneiden.
„Aber Robert hat doch bestimmt seinen Freunden erzählt, wohin er mit dir fährt und wen er dort trifft.“
Anna schwieg zunächst. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Mit unseren Freunden und seinen Arbeitskollegen unterhält er sich kaum über diese Onlinespiele. Zu mir hätte er sonst auch etwas gesagt.“
„Ah, okay.“, antwortete Judy nur. Sie klang aber gar nicht enttäuscht.
„Robert, brauchst du etwas?“, fragte mich Anna, ohne sich umzudrehen.
Für einen Moment fühlte ich mich ertappt.
„Die Jungs haben gesagt, ich soll das Fleisch mitbringen.“, viel mir ein.
Ich lächelte. Gut gerettet.
„Du weißt doch wo der Kühlschrank ist.“, sagte Anna nur.
Judy lachte und schlug mit der Hand auf den Tisch.
„Du hast du Hosen an, Anna.“
Mit hochroten Ohren holte ich das Fleisch und ging wieder in den Garten.
„Du willst das wirklich durchziehen?“, fragte Tom gerade und Peter nickte.
„Ich finde ihn sehr nett.“, sagte Max.
„Feigling!“, kommentierte Frank.
„Schnauze. Es ist beschlossen.“, schnappte Peter nur und sah beide böse an.
Mit einer Schüssel voll mit eingelegten Steaks kam ich auf die Gruppe zu. Es hatte in der Zwischenzeit zu Dämmern begonnen und die Wiese und die umliegenden Büsche und Bäume waren nur noch schwarze Schemen. Der Grill mit seiner roten Glut, warf das einzig scharfe Licht auf die Jungs.
Etwas stimmte nicht.
„Alles okay?“, fragte ich unsicher.
Peter sah mich für einen kurzen Moment an und durch das Leuchten der Glut, sah es so aus, als würde er mir die Zähne entgegen fletschen. Ich blieb stehen und sog erschrocken die Luft ein.
Dann grinste er mich an und lachte schelmisch. „Na, habe ich dich erschreckt? Dachte nicht, dass du Angst im Dunkeln hast.“ Sie anderen stimmten in das Lachen mit ein und schließlich lachte ich auch.
Die ganze Situation kam mir auf einmal so kindisch vor. Wie alt war ich? Acht?
Ich schüttelte den Kopf, um das Gefühl loszuwerden.
„Ich habe Fleisch mitgebracht.“, meinte ich lahm.
„Robert was sonst.“, Peter lachte immer noch und klopfte mir freundschaftlich auf den Rücken.
„Was sonst!“, wiederholte er.
„Ich geh Bier holen.“, warf Tom kühl ein und ging zum Haus zurück.
Frank nahm mir die Schüssel ab und er und Max legten die Steaks auf den Grill. Die Glut zischte.
„Wie magst du deine Steaks, Robert? Blutig?“, fragte Frank
Max gab einen schmerzvollen Laut von sich. „Tut es euch nicht auch weh, wenn er versucht witzig zu sein?“, fragte er niemand bestimmten.
„Medium mag ich sie am liebsten. Anne mag sie durch, also well done.“, antwortete ich.
„Alles klar.“
Wir standen weiter um den Grill herum und sahen dem Fleisch beim Brutzeln zu. Die anderen machten Witze, aber ich war einige Zeit nur still und sah in die Glut, während ich an meinem Bier nippte. Die Stimmung hatte sich irgendwie verändert. Es war eine Anspannung zu spüren.
Peter war richtig sauer gewesen, vorhin. Was hatten sie besprochen? Sauer war nicht das richtige Wort, gab ich zu. Wie er mich angesehen hatte, das war böse und kalt. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Das hatte ich mir bestimmt nur eingebildet, das war das Licht von der Glut. Licht, das von unten auf ein Gesicht strahlt, lässt einen immer böse aussehen. Darum machten sie das auch so oft in Horrorfilmen. Ich strich mir mit der Hand übers Gesicht.
Vor allem, was sollte Peter gegen mich haben, oder die anderen. Sie kannten mich doch gar nicht. Ich hatte ihnen nichts getan. Sie hatten mich eingeladen. Das war alles nicht logisch. Ich nickte. Das musste nur meine Einbildung sein. Genau!
Zusammen brachten wir die fertigen Steaks ins Haus. Die Frauen hatten den Tisch bereits gedeckt und verschiedene Salate und Baguettes angerichtet. Mit einem schlechten Gewissen fiel mir auf, dass ich gar nicht gefragt hatte, ob ich helfen konnte. Eigentlich war ich nur am Grill gestanden, ohne selbst zu grillen und hatte Bier getrunken. Mit einem langen Blick um Vergebung bittend, sah ich zu Anna. Sie lächelte mich an und zwinkerte mir zu. Mit Erleichterung lächelte ich zurück.
Beim Essen besprachen wir die Pläne für heute Abend und den Samstag.
„Ich habe verschiedene Spiele dabei.“, sagte Judy. „Und da drüben im Schrank ist noch eine ganze Spielesammlung mit Karten und Würfeln. Wir können ja später nachsehen.“
Anna nickte. „Klingt gut.“
„Morgen können wir Euch die Gegend zeigen. Der See ist wirklich schön.“, erklärte Peter.
„Ich mache dann für alle Chili.“, fügte Frank hinzu.
„Morgen Abend ist Vollmond.“, sagte Max. Alle aus meinem Clan stimmten ein Wolfgeheul an. Im Spiel war das natürlich die Zeit, in der die Werwölfe am stärksten waren. Nur ich blieb still. Vor Anna war es mir peinlich.
Die Gruppe lachte und Max hob die Hand, um anzuzeigen, dass er eigentlich noch nicht fertig war.
„Was ich eigentlich sagen wollte ist, dass Peter uns eine kleine Lichtung im Wald hinter dem Haus gezeigt hat. Dort ist schon ein Feuerplatz. Perfekt um die Vollmondnacht zu feiern.
„Ah.“, sagte Anna.
Alle sahen sie etwas skeptisch an, doch sie nickte und warf einen anerkennenden Blick in die Runde.
In die entstandene Stille sagte sie: „Das ist wirklich eine schöne Idee, so eine Vollmondnacht zu begehen.“
Erfreut nickten nun alle. Anna hatte mich überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr die Idee gefiel, aber ich war froh.
„Ich kann dann morgen gleich den Gewürzwein ansetzen. Oder wollt ihr lieber heißen Met am Lagerfeuer?“, erklärte Judy ganz enthusiastisch.
Da die Meinungen auseinander gingen, sagte sie kurzerhand, dass sie morgen einfach beides zur Lichtung mitnehmen würde.
Nach dem Essen, spülten und trockneten wir alles ab und setzten und dann auf die bequemen Sofas vor den lodernden Kamin. Ein Gefühl wohliger Zufriedenheit breitete sich in mir aus.
Zuerst spielten wir Scharade und hatten viel zu lachen. Judy und Anna wirken dabei würdevoll. Ich kam mir eher vor wie ein Klotz, die Jungs zumindest sahen alle aus wie unbeholfene, panische Kleinkinder. Auch während ich mir vor Lachen schon die Seiten hielt, dachte ich auch immer dabei, dass ich mich gleich wieder genauso zum Affen machte, wie sie. Es war einfach wunderbar.
Als nächstes schlug Peter vor Poker zu spielen. Das freute mich, denn darin war ich gut, sehr viel besser als bei Scharade. Er holte neben den Karten sogar eine Box mit Spielchips aus dem Schrank. Eine Stunde später war es Still auf den Sofas. Wir starrten alle gebannt auf die letzte Runde. Alle nacheinander hatten ihre Chips verspielt nur Anna und Peter waren übriggeblieben. Peter hatte aktuell weniger Chips.
„All in.“, Peter schob seine Chips in die Mitte des Couchtisches und grinste.
Anne hob ihren Blick und sah ihn kurz an. „Dann entscheidet es sich jetzt.“ Ohne zu zählen, schob sie ihre Chips zu seinen. „Zeig!“
Einzeln legte Peter seine Karten auf den Tisch. „Zwei hübsche Damen und zwei hübsche Jungen.“
Peter lehnte sich überlegen zurück und nahm einen Schluck Bier.
Anne nickte. „Zwei Pärchen. Sehr gut!“, nach einer Pause fügte sie hinzu, „Ich habe nur diese niedrigen Karten.“
Peter lachte.
„Das, das ist eine Straße!“, rief Judy. Anna hatte die Karten nicht geordnet. Das machte sie nie. Nun sah ich es auch: 3,4,5, 6,7.
Anna lächelte schelmisch. „Ich weiß.“
Die Jungs lachten nervös. Ich schaute zu Peter hinüber. Er sah sehr wütend aus. Als er meinen Blick bemerkte, entspannten sich seine Züge und er lachte mit.
„Sehr gut gespielt.“ Er reichte Anna die Hand und schüttelte sie förmlich. Irgendwie klang es nicht ernstgemeint. „Ich muss mal kurz wohin“, setzte er hinzu und ging die Treppe hinauf.
„Wer will noch Bier?“, fragte Tom.
Ich überlegte gerade, ob Peter wirklich so ein schlechter Verlierer war. Im Spiel Werwölfe war er ein sehr ehrgeiziger Anführer, aber bei Niederlagen oder Rückschlägen munterte er uns alle schnell wieder auf. Natürlich, einiges fand nur über den Chat statt und das Mikrofon, wenn wir uns unterhielten, konnte er auch stumm stellen. Trotzdem passte es für mich nicht ins Bild eines Erwachsenen Anführers und ich war enttäuscht. Vielleicht war er beim Poker gerade nur viel überzeugter gewesen zu gewinnen und daher auch enttäuschter, haderte ich mit mir.
Anna sprach meine Gedanken aus. „Peter verliert nicht gerne, was?“
„Ach das würde ich nicht so ernst nehmen.“, beschwichtigte Frank. „Wir haben früher zusammen Wargames gespielt, da ist er regelmäßig ausgetickt.“ Anna sah ihn nur ernst an.
„Naja du weißt schon, er hat nur geschimpft, meine ich damit. Nach ein paar Minuten hatte er sich wieder beruhigt. Er möchte einen guten Eindruck machen auf euch. Wir kennen uns alle ja schon.“
Sie alle kannten sich schon? Persönlich? Aber klar, warum war mir das nicht aufgefallen? Dachte ich tatsächlich, dass sie nur so vertraut miteinander umgingen, weil sie ein oder zwei Stunden eher angekommen waren? Warum hatte ich nicht daran gedacht?
Frank war anscheinend aufgefallen, dass er zu viel gesagt hatte. Er wand sich auf seinem Platz auf dem Sofa.
„Also kennt ihr euch alle schon persönlich. Davon hat mir Robert gar nichts erzählt.“, kommentierte Anna nur kühl.
„Ich wusste auch nichts davon.“, verteidigte ich mich.
Tom und Max begannen gleichzeitig zu sprechen und stockten.
Judy sagte: „Wisst ihr, wir wollten nur nicht, dass die Situation komisch für Euch ist. Wir wollten unbedingt das Robert kommt und ich fand es auch toll, dass er dich mitbringen wollte. Ganz ehrlich, wärt ihr hierhergekommen, hättet ihr gewusst, dass wir uns schon kennen und nur ihr „neu“ seid? Ach, ich weiß auch nicht, wie ich es besser ausdrücken soll.“
„Ihr solltet euch nicht wie die Neuen, die Außenseiter fühlen.“, warf Tom ein.
„Genau!“, Judy lächelte ihn dankbar an. „Das meine ich damit.“
„Okay.“, sagte Anna betont langsam. „Verstehe.“ Dann wandte sie sich an mich.
„Wärst du hierhergefahren, hättest du gewusst, dass sich alle schon kennen?“
Ich zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht.“, räumte ich ein.
„Da seht ihr es ja!“, meinte Max. Er wirkte erleichtert. Frank nickte.
„Wie lange kennt ihr euch denn schon?“, wollte Anna nun wissen.
Alles sprachen gleichzeitig.
„Ach nur kurz.“, sagte Tom, während Anna meinte: „Ein Jahr, oder so.“
Bei Max waren es sechs Monate und Frank hatte leise „ewig“ gesagt.
Anna hob die Hände und die Stimme: „Ich möchte jetzt gern die Wahrheit hören.“
Die drückende Stille, die nun folgte, konnte man direkt greifen. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht allen zu erzählen, dass ich vor Monaten beim Junggesellenabschied eines Arbeitskollegen mit der Stripperin geknutscht hatte. Warum fiel mir das gerade jetzt ein?
„Was ist denn hier los?“, fragte Peter von der Treppe aus. „Ist gerade jemand gestorben?“
„Ach ist nicht so wichtig.“, sagte Anna.
Frank seufzte erleichtert.
„Ich bin müde, ich gehe jetzt ins Bett.“, sagte Anna.
Es gab nur halbherzige Proteste. Anna hatte sie gerade alle vom Haken gelassen und sie wussten es.
„Ich geh auch kurz mit hoch.“, meinte ich.
Als wir in unserem Zimmer waren und ich die Tür geschlossen hatte, drehte ich mich zu Anna um. Sie hatte sich auf das Bett gesetzt und hatte einen sehr nachdenklichen Blick.
„Kaufst du ihnen das ab?“, schoss es aus mir heraus. „Ich finde das alles sehr seltsam.“
Anna blickte mich direkt an. Ihre langen dunkelbrauen Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden und ihre grünen Augen wirkten sehr traurig. Sie sah sehr müde aus.
„Alles okay mit dir?“, fragte ich. Sie lächelte schwach.
„Es ist etwas anders als ich es erwartet hatte.“, sagte sie nur, dann gähnte sie.
„Ich weiß nicht, ob ich nicht auch lieber ins Bett gehen sollte.“ Ich sah auf meine Uhr, es war zehn vor zwölf.
„Ich denke wirklich, dass sie nicht wollten, dass wir uns unwohl fühlen.“, meinte Anna. „Aber ich verstehe nicht, warum sie uns nicht sagen wollen wie lange sie sich schon kennen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es sind trotzdem nette junge Leute. Nur Peter finde ich merkwürdig.“
Kurz wollte ich meinen Clananführer verteidigen, dann sah ich auf den Boden. Persönlich war er doch anders als im Spiel.
„Ich geh jetzt auf jeden Fall ins Bett mein Schatz.“, Anna stand auf und gab mir einen langen Kuss.
Ich räusperte mich. „Okay. Ich bleibe nicht lange.“
Als ich wieder im Wohnzimmer war, fragte Judy: „Ist mit Anna alles okay?“
Ich nickte. „Sie ist der Frühaufsteher von uns, ich eher nicht so.“
Tom lachte, „Das gleiche ist es bei Judy und mir. Ich bin überrascht, dass du jetzt noch nicht müde bist.“, zog er sie auf.
„Ich werde genausolang aufbleiben, wie du Tom und trotzdem morgen vor dir wach sein und während ich dann nach dem Joggen vor Energie nur so sprühe, wirst du den ganzen Tag jammern, wie schlecht es dir geht.“
Tom wurde rot.
Judy ruderte schnell zurück. „Tut mir leid, ich habe zu viel Wein getrunken.“
Frank und Max lachten. „Im Wein liegt Wahrheit, heißt es doch.“, sagte Max.
„Klappe!“, sagte Peter schroff. „Habt ihr nicht gelernt, dass man sich bei einem Paar nicht einmischt.
Diesmal wurden Frank und Max verlegen.
Peter sah mich an. „Also Robert setz dich, willst noch was trinken?“
Wortlos deutete ich auf mein angefangenes Bier.
„Jetzt beginnt der gruselige Teil des Abends.“, verkündete er, als das Licht ausging.
Ich erschrak, bis ich das Kichern von Tom hinter mir hörte, der unbemerkt aufgestanden war, um das Licht auszuschalten.
„Man bist du zusammengezuckt.“, hörte ich ihn immer noch prusten, als er sich wieder aufs Sofa setzte.
Nun wurde der ganze Raum nur noch vom Feuer im Kamin erleuchtet.
„Jeder erzählt nun eine Gruselgeschichte und die anderen bewerten am Schluss welche die Beste war.“, fuhr Peter unbeirrt fort.
„Da fang ich doch gleich an.“, meinte Frank. Er erzählte die Geschichte von einem monsterhaften Nebel, der alles verschlang. Mir kam die Geschichte bekannt vor. „The Fog“, dachte ich, der Klassiker. Ich wollte schon etwas sagen, doch ich dachte, „was solls“, er erzählt sie spannend. Als er am Ende war, klatschen die anderen zu meinem Erstaunen.
„Tolle Geschichte.“, sagte Max anerkennend. Kann es wirklich sein, dass sie den Film nicht kannten? Ich war sehr erstaunt.
„Robert, bitte mach du als nächstes weiter.“, sagte Peter.
Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Das erste was mir einfiel war Poltergeist. Okay, dachte ich, wenn sie einen alten Film nicht kennen, stehen die Chancen gut, dass sie den anderen auch noch nie gesehen hatten. Also begann ich die Geschichte zu erzählen. Anstatt des Fernsehers mit dem Rauschen, erzählte ich, dass das kleine Mädchen, ständig ein Youtube Video mit Rauschen auf ihrem Tablet ansehen würde. Selbst wenn man es abstellte, würde das Rauschen auf dem Tablet weiterlaufen. Weil ich die Idee mit der Geisterwelt um Spielbild schon immer extrem gruselig fand, baute ich das aus dem zweiten Teil auch gleich in meine Geschichte ein. Am Ende klatschen alle begeistert. Frank sah mich dabei aber leicht amüsiert an.
„Als nächstes mache ich weiter“, sagte Peter.
Er erzählte eine Geschichte über Werwölfe. Die ganze Zeit über sah er ins Feuer, nur ein zwei Mal sah er mich kurz an. Es ging darum, dass es in einem Dorf nur Werwölfe gab und dann kam ein Mensch hinzu. Den ersten Monat lief es gut. Alle Werwölfe dachten er sei auch ein Wolf, doch als sie sich alle zu Vollmond verwandelt hatten, bemerkten sie, dass der Mensch nicht dabei war. Die Geschichte war nicht besonders gruselig, eher lustig auf makabre Weise. Trotzdem stellten sich mir alle Nackenhaare auf. Gerade als Peter weitererzählen wollte, krachte es vor der Gartentür.
Alle drehten sich um und sahen hinaus. „Scheiße.“, rief Peter, „seht ihr was?“
„Nein, nix.“
Peter sprang auf, „Ich hol die Taschenlampen.“
Kaum war er zurück und hatte drei Taschenlampen mitgebracht, leuchteten wir alle durch die Fensterscheiben in den Garten.
„Ist nichts zu sehen.“, sagte Judy leise. Mir wurde mit einem Mal bewusst, dass wir Mitten im Nirgendwo waren und so eine Fensterfront leicht zerbrechlich war.
„Ich sehe nach.“, meinte Peter.
„Ich komme mit.“, sagte Frank.
„Ja, ich auch.“, fügte Max hinzu.
Gemeinsam öffneten sie die Schiebetür zum Garten und traten hinaus.
Ich folgte ihnen. Ein Weichei wollte ich definitiv nicht sein.
Ungefähr drei Meter von der Tür entfernt endete der gepflasterte Teil der Terrasse und ging in Rasen über. Um die Terrasse etwas abzuschirmen, standen dort 5 große Büsche, ich glaube Bux in Pflanzkübeln aus Ton. Einer der Kübel war umgestürzt und zerbrochen.
„Vielleicht war es eine Katze.“, sagte Max lahm.
„Eine Katze? Sag mal wie blöd bist du eigentlich? Der Kübel wiegt bestimmt zehn Kilo.“, schnappte Peter.
„Garantiert ein Wildschwein. Scheißviecher, rennen immer durch alles durch.“, sagte Frank ernst.
„Lasst uns wieder reingehen. Den Schaden können wir morgen wegräumen.“, meinte Peter genervt.
Nachdem wir alle wieder im Wohnzimmer waren, die Tür fest hinter uns geschlossen, wollte Judy ins Bett gehen. Sie wollte aber nicht ohne Tom. Ich nahm das als Gelegenheit um selbst Gute Nacht zu sagen.
Auf der Treppe nach oben klopfte mir das Herz immer noch bis zum Hals. Nach diesem Vorfall war für mich eins klar, das Wildschwein, oder was immer es auch war, hatte mit der gruseligsten Geschichte gewonnen.
+++++++++++
Ich schreckte aus dem Schlaf. Warum war ich aufgewacht? Wo bin ich? Ich wusste nur, irgendetwas hatte mich hellwach werden lassen.
Da war es wieder diese Kratzen, das Kratzen an der Tür.
„Was ist denn?“, hörte ich leise.
„Die Tür geht nicht auf.“, sagte eine zweite Flüsterstimme.
„Was meinst du damit, sie geht nicht auf? Die Türen haben alle keine Schlösser.“
„Ich weiß, ich weiß, aber es geht trotzdem nicht auf.“
Ich lag im Bett und starrte auf die Tür. Waren das Frank und Max? Warum wollten sie die Tür zu unserem Zimmer öffnen?
Eine Hand ergriff meinen Arm und ich schrie auf.
„Robert?“, das war Anna.
Natürlich war es Anna! Sie schläft neben dir und das seit Jahren! Und du hast nun geschrien, wie ein kleines Mädchen.
„Hast du das auch gehört?“
„Was gehört?“, fragte sie zurück.
„Zwei von den Jungs wollten in unser Zimmer.“, versuchte ich zu erklären.
„Waren sie betrunken?“, wollte Anna wissen, aber an ihrem Ton hörte ich, dass sie schon halb wieder eingeschlafen war.
„Reden wir morgen darüber.“, seufzte ich.
Ich starrte noch sehr lange in die Dunkelheit und hörte auf jedes noch so kleines Geräusch. Es stimmte, was eine der Stimmen gesagt hatte. Die Türen zu den Zimmern hatten keine Schlösser. Bad und WC hatten jeweils nur einen Riegel. Irgendwann im Morgengrauen schlief ich endlich ein.
Als ich erwachte war es taghell im Zimmer. Ich schloss meine Augen für einen kurzen Moment gleich wieder. Meine Schläfen pochten und meine Augen brannten. Mit einem Stöhnen setzte ich mich auf und legte meine Hände vors Gesicht. Wieviel Bier hatte ich gestern getrunken? Fünf, sieben?
Ich sah auf die Uhr, es war bereits 11:13 Uhr. Natürlich war ich allein. Anna war wahrscheinlich bereits seit Stunden wach und auch die anderen mussten wohl schon auf sein. Meine Muskeln fühlten sich alle steif und verkrampft an, als ich aufstand.
Plötzlich fiel mir der Vorfall der Nacht wieder ein. Was sollten die beiden in unserem Zimmer wollen? Kein Wunder, dass ich schlecht geschlafen hatte.
Ich ging zum Fenster und sah hinaus. Ich blickte über den Garten in den anschließenden Wald. Es war immer noch neblig. Ich sah nach unten und bemerkte, dass jemand den kaputten Pflanzkübel weggeräumt hatte. Der entwurzelte Busch lehnte nun an den verbliebenen vier Kübeln.
Judy und Anna traten von der Terrasse in den Garten, sie hatten ihre Jacken an und eine Tasse mit einem heißen Getränk in der Hand. Es dampfte. Vom Fenster aus konnte ich nicht verstehen was sie sagten, aber Judy schien meiner Freundin wohl den Garten zu zeigen und sie deutete mehrmals in die Ferne in verschiedene Himmelsrichtungen.
„Ich sollte duschen gehen und mich anziehen.“, dachte ich mir.
Die Mädels drehten sich gerade um und gingen zum Haus zurück, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Hinter einem Busch am Ende des Gartens stand jemand. Ich konnte nicht erkennen wer. Regungslos stand ich am Fenster. Das Herz klopfte mir erneut bis zum Hals und mein Magen verkrampfte sich. Die Kopfschmerzen pochten im Rhythmus meines Herzschlags mit.
Ich war mir schon fast sicher, dass es eine optische Täuschung durch den Nebel und die Zweige des Busches war, als Max hervortrat. Er hatte einen Spaten in der Hand und blickte ernst auf das Wohnzimmer unter mir in das die Frauen vor kurzem gegangen waren. Dann ging er langsam durch den Garten am Haus vorbei.
Ich schüttelte den Kopf und bereute es gleich wieder, als sich das Pochen hinter meiner Stirn verstärkte. Hinter mir öffnete sich die Tür. Ich drehte mich um.
„Guten Morgen. Ich wollte dich gerade wecken, damit du nicht den ganzen Tag verschläfst“, sagte Anna. Kritisch sah sie mich an. „Wie geht es dir? Alles okay?“
„Ja, ja. Alles okay.“ Ich fuhr mir wieder mit der Hand durchs Gesicht.
„Du siehst total fertig aus.“, erklärte sie.
Anna hingegen sah erholt und entspannt aus. Sie trug ihre langen Haare heute offen und die Spitzen waren noch feucht. Die offenen Haare standen ihr viel besser als der Pferdeschwanz, den sie meistens trug.
„Ich habe nicht viel geschlafen, nachdem ich heute Nacht aufgeschreckt bin.“, erklärte ich.
„Frank hat heute früh gleich erzählt, dass Max die Idee hatte uns zu erschrecken. Aber er war wohl zu betrunken, um die Tür aufzubekommen. Frank war wohl mit der Schnapsidee nicht einverstanden, hat Max aber nicht aufgehalten.“, sie lächelte, dann fuhr sie fort, „Mit deinem Schrei hast du sie aber selbst sehr erschreckt und sie sind in ihr Zimmer geflüchtet. Judy und Tom sind davon auch wach geworden. Du möchtest nicht wissen, was Judy seit heute Morgen über die Dummheit von Männern schon alles gesagt hat. Ich glaube Max traut sich nicht in den nächsten Stunden noch irgendwas zu sagen.“
Ich lächelte zurück. Natürlich erklärte es das Verhalten von Max. Er wollte Judy und Anna nicht begegnen und hat daher gewartet, bis sie wieder im Haus waren. Den Spaten allerdings konnte ich mir nicht erklären.
Anna hatte sich aufs Bett gesetzt und hielt ihr Handy in der Hand. „Hast du Empfang?“, fragte sie.
Ich kramte mein Handy aus meiner Jackentasche und schüttelte den Kopf.
„Komisch. Ich habe es heute früh mitgenommen und bin mit Judy durch den Wald und um den See gegangen, aber ich hatte nirgendwo ein Signal.“
„Wir sind mitten im Wald. Da kann das schon mal passieren.“
Anna sah mich an. „Nein kann es eigentlich nicht. Das nächste Dorf ist nur zehn bis fünfzehn Autominuten entfernt. Wir sind auf einem Berg. Eigentlich sollten wir guten Empfang haben.“
„Vielleicht ist es auch der Nebel.“, sagte ich lahm.
Anna sah mich nur an. „Glaubst du das wirklich?“, fragte sie schließlich.
„Keine Ahnung.“, ich zuckte mit den Schultern. „Ich kenne mich da gar nicht aus.“
Nach einer kurzen Pause fügte ich hinzu: „Wolltest du jemanden anrufen?“
„Ich wollte Marie schreiben, wo wir sind und wie es uns geht.“
„Aber war es dir nicht peinlich, es deinen Freunden zu erzählen?“, fragte ich schnippisch.
Anna lächelte traurig. „So war das nicht gemeint. Außerdem wusste ich nicht, wie nah wir am Blocksberg sind. Du kennst doch Marie, sie liebt solche Orte.“
Ich nickte. „Wie dem auch sei, ich muss mich duschen und ich hoffe, dass es mir danach besser geht.“
Nach meiner Zeit im Bad ging es mir tatsächlich viel besser. Ich ging zu den anderen ins Wohnzimmer hinunter. Judy und Anna saßen zusammen auf einem der Sofas und hatten großen Ordner vor sich aufgeschlagen. Gerade sah ich das Bild einer Tropfsteinhöhle und als sie umblätterte war eine schöne Burg zu sehen.
„Und das ist Falkenstein, echt schön nicht?“
Anna bejahte. Als sie mich bemerkte, meinte sie: „Hier gibt es viele schöne Plätze, da könnten wir doch im Sommer noch einmal hinfahren.“
Ich nickte nur. Aktuell hatte ich andere Prioritäten. Ich begrüßte alle und ging an Max, Tom und Peter vorbei die am Esstisch ein Kartenspiel spielten, Richtung Küche. Frank stand vor einem riesigen Topf.
„Tut mir leid wegen gestern Nacht. Anna sagte schon, dass sie es dir erzählt hatte. Magst du Kaffee?“
Mit einem Kaffee in der Hand setze ich mich ebenfalls an den Esstisch und sah dem Spiel zu.
„Sorry, Robert.“, sagte Max leise und blickte mich kurz an. Peter verzog kurz die Lippen.
„Schon okay. War eben eine Schnapsidee.“
„Das Chili gibt es erst heute Abend. Aber wir haben noch genügend Reste für ein kaltes Mittagessen.“, erklärte Frank aus der Küche.
Kurz darauf deckten wir alle den Tisch und holten das Essen aus dem Kühlschrank. Es war noch reichlich da. Wir unterhielten uns alle angeregt und kamen auf das Thema Autos.
Es stellte sich heraus, dass Peter der M5 gehörte. Ich war baff.
„Was machst du denn beruflich, damit du dir so ein Auto leisten kannst?“, schoss es aus mir hervor.
Peter grinste und Frank lachte leise vor sich hin.
„Der Wagen gehört mir gar nicht.“, räumte er ein und grinste weiter.
Ich sah die beiden verwirrt an.
„Meiner Familie gehört ein Autohaus. Für das Wochenende kann ich den Wagen fahren. Er ist bereits verkauft und geht Montag an den Kunden.“
„Und das geht einfach so?“, fragte ich immer noch verwirrt.
„Der Kunde muss es ja nicht wissen. Die 50 Kilometer ändern an dem Wagen nichts.“
Ich lachte etwas verlegen. Hätte ich die Möglichkeit mir für ein Wochenende so ein Auto auszuborgen, würde ich das ebenfalls machen. „Verstehe. Verstehe, vollkommen!“
Die anderen Jungs sahen Peter ebenfalls bewundernd an.
„Peter ist ein super Autoverkäufer.“, lobte ihn Frank. „Er kann jeden überzeugen ein Auto zu kaufen. Nach einem Gespräch mit ihm wäre sogar ein Blinder davon überzeugt, dass er unbedingt ein Auto braucht, weil er sonst den Sinn seines Lebens verfehlt.“
Peter winkte ab. „Ich hatte mich am Anfang dagegen gewehrt in den Familienbetrieb einzusteigen, aber ich habe es wohl im Blut. Was machst du so Robert?“
„Ich bin in der Buchhaltung einer großen Firma tätig. Ziemlich langweilig.“
„Aber trotzdem wichtig.“, verteidigte mich Anna.
Tom studierte ebenfalls an der Uni Leipzig, allerdings Rechtswissenschaften. Max war wirklich in der Sicherheitsbranche tätig und als Security bei Events Deutschlandweit unterwegs, für große Konzerte und Veranstaltungen. Ich grinste schief, also doch Türsteher.
Frank dagegen war Netzwerkadministrator und dort hauptverantwortlich für die Onlinesicherheit seines Betriebs.
„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dumm manche Leute sind.“, erzählte er gerade.
„Ich kann das System nur so sicher machen, wie seinen dümmsten User. Ich rede jetzt nicht mal davon auf einen Link in einer E-Mail zu klicken.“ Er hob die Hände als würde er eine höhere Macht um Intelligenz anflehen. „Erst letztes Jahr musste der Betrieb einen Mitarbeiter kündigen, der sich während der Arbeitszeit Pornos angesehen hat. Pornos! Auch noch von einer ukrainischen Seite. Weißt du wie viele Viren und Trojaner du da in das System einschleppen kannst? Mit so was muss ich mich rumschlagen.“
Nach dem Essen gingen wir spazieren. Tatsächlich hatte sich der Nebel etwas gehoben und wir konnten sogar die Sonne sehen. Die drückende Stimmung von gestern war verflogen. Wahrscheinlich war ich nur nervös gewesen und hatte viele Dinge dadurch überbewertet. Die frische Luft und die Bewegung ließen auch meine restlichen Kopfschmerzen verfliegen. Das Laub raschelte unter unseren Füßen als wir fröhlich quatschend durch den Wald gingen.
„Ja wir hocken aber nicht die ganze Zeit aufeinander.“, erklärte ich gerade Max meine Beziehung mit Anna. „Wir machen einmal im Monat einen frauenfreien Abend. Dann ziehen wir durch Kneipen, oder wir spielen Darts, oder gehen ins Kino. Anna hat jeden Donnerstag ihren Buchclub mit ihrer besten Freundin Marie und noch ein paar anderen Mädels. Ich glaube aber, das ist nur ein Name. Sie liest nicht jede Woche ein neues Buch, wenn du verstehst.“
Max lachte.
„Natürlich hat sie auch den ganzen Frauenkram zu Hause.“
„Frauenkram? So wie Schminke und Schönheitscremes, oder was?“, fragte Peter der nun auch neben uns ging. Ich sah etwas nervös nach vorne, wo Anna mit den anderen lief. Ich blieb kurz stehen, um den Abstand etwas zu vergrößern und sagte dann leise: „Naja ihr wisst schon Tarotkarten, ein Buch übers Pendeln.“
Frank sagte „Ah.“, während Peter nur die Augenbrauen hochzog und fragte: „Also glaubt sie an das Übersinnliche?“
„Ich bin mir immer noch nicht sicher.“, räumte ich ein. „Ich glaube sie will geheimnisvoll bleiben. Als ich sie danach gefragt hatte, sagte sie nur, das sind Erinnerungen von früher.“
„Frauen.“, kommentierte Frank nur.
Wir kamen an den See, der von drei Seiten von Bäumen umsäumt war. Hier schillerten die Blätter der Bäume in den schönsten Gelb- und Rottönen.
„Ist das nicht wunderschön.?“, rief Anna und drehte sich zu mir um.
Ich umarmte sie und gab ihr einen Kuss.
Als wir zurück kamen waren wir alle durchgefroren. Peter schlug vor uns den M5 zu zeigen. Die Frauen gingen schon einmal rein, um heißen Kaffee aufzusetzen und Frank wollte nach seinem Chili sehen. Ich knetete meine kalten Finger und bewegte meine steifen Zehen in den Schuhen bei dem Versuch sie etwas aufzuwärmen, aber wie konnte ich dazu schon nein sagen.
Peter ließ mich auf dem Fahrersitz platznehmen. Max und Tom standen an der offenen Fahrertür neben und starten gebannt ins Wageninnere. Peter selbst hatte sich auf den Beifahrersitz gesetzt und legte den Schlüssel auf die Mittelkonsole. Das Ding Schlüssel zu nennen, war eigentlich die falsche Bezeichnung, es war eher eine Fernbedienung.
Er beschrieb knapp aber gekonnt die Vorzüge und Sonderfunktionen des Wagens. Ich ertappte mich dabei, wie ich mir überlegte, mit welchen Mitteln ich mir so ein Auto leisten konnte und musste leider zugeben, dass ich keine Lösung fand.
„Na da hat jemand wohl angebissen.“, Peter sah mich schief von der Seite an und die anderen die ebenfalls in den Wagen gegiert hatten, lachten unsicher.
„Schade, dass der Wagen schon verkauft ist und ich ihn Montag abgeben muss. Sonst hätten wir eine Probefahrt machen können.“
„Ja schade.“, konnte ich nur lahm wiederholen, doch Peter lachte und klopfte mir auf die Schulter.
„Glaub mir, es ist besser so. Sonst bekommst du noch Ärger mit deiner Freundin, wenn du dich verschuldest.“
„Du hast Recht.“, gab ich zurück und seufzte.
Als wir schließlich zurück im Wohnzimmer waren, bemerkte ich erst wie ausgekühlt ich war.
Peter und Max schürten ein Feuer im Kamin an. Judy verteilte bereits wunderbar dampfende Kaffeetassen an uns. Eine Weile sagte niemand etwas. Anna hatte sich auf dem Sofa an mich gekuschelt und wir sahen in den Kamin und genossen den heißen Kaffee.
„Bevor ich es wieder vergesse,“, sagte Peter in die Stille, „jeder sollte nun seinen Anteil für das Wochenende zahlen.“
Tom holte die Liste. „Also die Einkäufe von Frank und Max haben insgesamt knapp 125 gekostet. Das sind 17,86 pro Person. Wer hat das Geld ausgelegt?“
Max hob die Hand.
„Und ich bekomme dann noch 20 pro Person für das Haus.“, fügte Peter hinzu.
Ich stand auf und ging nach oben, doch ich konnte meinen Geldbeutel im Zimmer nicht finden. Dann viel mir ein, dass ich im Handschuhfach des Astras vergessen hatte. Ich nahm meinen Autoschlüssel von der Kommode und ging wieder nach unten. Als ich an der Garderobe meine Jacke anzog, sah mich Tom fragend an.
„Na willst du türmen und die Zeche prellen?“, fragte er und sah ernst auf meinen Autoschlüssel. Dann sah er mich an und lachte. „War ein Witz, Kumpel.“
Ich lächelte verlegen. „Habe mein Geldbeutel im Auto liegen lassen.“, sagte ich nur kurz und trat vor die Tür. Das für eine dumme Anspielung, dachte ich. Glaub Tom ich würde ohne Anna wegfahren? Egal, es war nur ein schlechter Witz gewesen.
Beim Astra angekommen schloss ich die Tür auf und setzte mich. Ich öffnete das Handschuhfach auf der Beifahrerseite und holte meine Geldbörse heraus. Beim Zuklappen viel mir auf, dass das Licht im Handschuhfach ausgeblieben war. Ich öffnete das Fach erneut. Nichts.
Da ich auf Nummer sicher gehen wollte, ob nur die Lampe kaputt war, steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn. Der Wagen blieb stumm. Ich versuchte es noch einmal. Keine Regung.
„Scheiße!“, sagte ich und öffnete die Verriegelung der Motorhaube. Mein Opa hatte immer gern an Autos geschraubt. Als ich noch klein war, hatte ich ihm oft zugesehen. Auch wenn mir der Aufbau und die Funktionen moderner Autos ein Mysterium waren, so kannte ich mich doch unter der Motorhaube meines Autos soweit aus, um die Grundlagen zu erkennen. Wenn das Auto nicht ansprang, nicht mal einen Mucks von sich gab, dann war das die Batterie. Natürlich wusste ich, dass eine alte Batterie im Winter schon einmal aufgeben konnte, aber meine hatte ich erst letztes Jahr tauschen lassen.
Tatsächlich stand ein Kabel von der Batterie ab. Hatte es sich gelöst? Komisch! Es stand so weit weg, es sah wie abgerissen aus, wie weggezogen.
Aus dem Kofferraum holte ich mein Werkzeug und drehte mit aller Vorsicht den Anschluss wieder fest. Vielleicht war es ein Marder gewesen, spekulierte ich und schüttelte gleich wieder den Kopf.
Beim neuen Versuch sprang der Wagen ohne Probleme an. Ich schloss die Motorhaube wieder und räumte alles weg. Als ich gerade die Fahrertür schließen wollte, kam mir eine Idee. Im Seitenfach der Fahrerseite lag Tesafilm. Ich nahm ein Stück und klebte es auf die Motorhaube, so dass die Haube über den Spalt mit dem Kotflügel verband. Dann ging ich zum Haus zurück. Ich bin paranoid, dachte ich ständig. Diese Falle aus einem Spionagefilm wird nicht funktionieren. Hier draußen ist es viel zu kalt und zu feucht. Der Klebestreifen wird auf dem Lack nicht halten.
Hinter dem Küchenfenster sah ich, wie sich jemand bewegte, aber ich konnte nicht sagen wer. „Das ist Frank, der kocht, du Idiot.“, erklärte ich mir selbst. Durch die Fahrt auf dem Schotterweg wird sich die Schraube mit dem Draht einfach gelockert haben und dann in der Nacht in der Kälte ist sie komplett abgegangen. So wird es gewesen sein. Warum sollte hier jemand meine Batterie abklemmen, bitte schön?
Trotz der rationalen Gedanken freute ich mich gar nicht mehr auf den Abend. Ich freute mich morgen früh wieder in mein Auto zu steigen, in ein Auto, das anspringt, um nach Hause zu fahren.
Die Tür öffnete sich, bevor ich ankam. Anna hatte ebenfalls ihre Jacke angezogen und stand vor mir.
„Ich wollte nach dir sehen. Du warst lange weg.“
Ich grunzte nur als Antwort.
„Alles okay?“, sie sah auf meinen Geldbeutel, den ich in der Hand hielt.
„Ja. Jetzt ist alles in Ordnung. Erklär ich dir später.“
Sie trat einen Schritt zurück und ich ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer.
„Entschuldigt, die Suche hat länger gedauert.“, sagte ich nur.
Den Rest des Nachmittags war ich sehr still. Ich versuchte die Erlebnisse einzuordnen und die zu erklären. Aber der Verdacht nagte trotzdem an mir, auch wenn es realistisch betrachtet keinen Sinn ergab. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich jeden einzelnen der Gruppe ansah und abschätzte wer das Kabel von der Batterie entfernt haben konnte. Ich kam mir vor, wie in einem schlechten Agatha Christi Film.
Mein Schweigen viel auch den anderen auf. Gerade unterhielten sie sich zum Thema reisen.
„Wo würdest du denn am liebsten hinfahren?“, fragte mich Tom direkt.
„Ich weiß nicht, es gibt viele schöne Orte.“, gab ich vage zurück.
„Hast du dir noch nie deinen Traumurlaub ausgemalt?“, hakte er nach.
Ich zuckte nur mit den Schultern. „Robert mag am liebsten Strand und Meer.“, sprang Anna für mich ein.
„Hey, ich auch!“, antwortete Tom. „Am liebsten würde ich mal in so ein Luxushotel unter Palmen, mit weißen Stränden und einem kühlen Cocktail im Schatten liegen und auf das Meer hinausschauen.“
„Und ein paar hübsche, exotische Mädchen.“, setzte Max hinzu.
„Ich habe doch schon ein hübsches Mädchen.“, sagte Tom nur lächelnd, zog Judy näher an sich und küsste sie.
„Ich will in die Karpaten und mir das alles mit Dracula mal ansehen.“, sagte Peter.
„Aber das ist doch alles bloß erfunden.“, meine Anna.
„Ist doch egal, es geht nur um den Spaß.“, gab er zurück. „Dann will ich auf jeden Fall noch nach Dubai und mir die riesigen Gebäude ansehen und die Polizeiautos.“
„Die Polizeiautos?“, fragte Judy verwirrt.
„Ja. In Dubai sind so viele Millionäre mit teuren Autos, dass sogar die Polizei Maserati und Ferrari fährt, um sie einzuholen.“
Ich war froh als es endlich Zeit fürs Abendessen war. Ich wollte den Abend nur hinter mich bringen. Dann viel mir ein, dass sie ja geplant hatten ein Lagerfeuer im Wald zu machen und um Mitternacht auf den Vollmond anzustoßen. Ich wand mich innerlich. Vielleicht konnte ich mich irgendwie herausreden. Nein! Ich konnte Anna nicht allein lassen. Leider hatte ich auch noch keine Gelegenheit dazu gehabt mit ihr über die Batterie zu sprechen. Morgen bevor wir losfuhren, wollte ich es auf jeden Fall noch einmal überprüfen.
„Das Chili ist sehr lecker.“, sagte Anna neben mir. „Eine Hochachtung an den Koch, Frank. Sie hob ihr Glas und prostete ihm zu. Frank bedanke sich verlegen, während alle das Lob wiederholten. Auch ich stimmte mit ein. Das Essen schmeckte sehr gut.
Bevor ich mich versah, hatten wir alles aufgeräumt und packen unsere Sachen, die wir in den Wald mitnehmen wollten. Judy kümmerte sich mit Tom um Wein und Met inklusive Töpfen und Löffeln zum Erhitzen. Ich half Max und Peter bei den Decken, Planen und Pelzen. Zusammen gingen wir nach draußen. Mittlerweile war es so dunkel, dass man ohne Taschenlampen nichts mehr sehen konnte. Kaum fünf Minuten später erreichten wir die Lichtung.
„Max und ich haben den Vormittag die Feuergrube neu ausgehoben und das Holz frisch gestapelt. Wie findet ihr es?“, fragte Peter.
Alle nickten zustimmend und lobten die beiden. Tatsächlich fand ich auch, dass sie gute Arbeit geleistet hatten. Um die Feuergrube herum lagen drei rindenlose Baumstämme. Wir verteilten die Planen und Pelze darauf und Peter entzündete das Feuer.
Nach einem Gewürzwein wurde uns allen warm, zusammen mit den Decken und Pelzen war sogar recht gemütlich. Wir behielten natürlich unsere Jacken an und saßen in der Nähe des Feuers.
Ich wollte aus dem letzten Abend doch etwas positives Ziehen. Alles andere waren doch nur Vermutungen. Die sollten nicht das ganze Wochenende kaputt machen und vor allem nicht das Onlinespiel in Zukunft.
Peter erzählte von Werwölfen, er fing an mit unserem Clan im Spiel. Wir alle heulten als Antwort. Auch ich heulte mit den anderen Wölfen. Dann erzählte er von Sagen über echte Werwölfe und dass die Menschen viel weniger wussten, als sie glauben zu wissen. Ich hatte mittlerweile die zweite Tasse Würzwein geleert und sah bereits alles durch einen leichten Nebel.
„Die ersten Werwölfe waren Menschen und wurden von einer Hexe verflucht. Darum haben Hexen auch Macht über Werwölfe, hab ich mal gehört.“, erklärte ich.
Peter sah mich böse an, weil ich ihn unterbrochen hatte, doch Frank lachte nur. „Das ist aus einem Film, du Idiot.“, kicherte er.
„Sicher?“, fragte ich. Ich dachte Annes Freundin Marie hätte mir das mal erzählt.
„Ist doch egal.“, winkte Peter nun beschwichtigt ab. „Die Hauptsache ist, dass wir heute als Clan zusammen sind und dem Vollmond feiern können.“ Er hob seine Tasse und wir alle heulten.
„Und doch sind wir auch wegen etwas anderem zusammengekommen. Wir gehen heute Abend auf die Jagd.“
Die anderen klatschen, doch ich wiederholte nur: „Auf die Jagd?“
„Peter ich weiß nicht.“, begann Judy.
„Wir waren uns alle einig.“, zischte Max.
Judy und auch Tom zuckten sichtlich zusammen.
Unvermittelt stand Anna neben mir auf und ging zu Peter hinüber.
„Du kannst es immer noch ändern. Willst du das wirklich tun?“
Peter sprang auf und zu meinem Entsetzen schlug er Anna mitten ins Gesicht.
„Halt die Klappe, du Schlampe. Ich bin dieses Spiel leid und auch dein hochmütiges Getue.“
Auch ich war aufgesprungen, um zu Anna zu eilen, doch Max und Frank hielten mich zurück und drehten mir die Arme auf den Rücken.
„Was soll das? Lass Anna in Ruhe.“, schrie ich.
Anna war durch den Schlag in die Knie gegangen. Mit erhobener Faust stand Peter über ihr.
„Wer glaubst du eigentlich wer du bist?“, fragte er bedrohlich.
„Anna.“, schrie ich und versuchte mich verzweifelt gegen den Griff der beiden Männer zu wehren. „Lauf weg.“ Der Schlag auf meinem Rücken kam unerwartet. Ich sagte zusammen. Auf einmal spürte ich einen Schmerz in meinem Bauch. Ich krümmte mich und schrie auf.
Anna war wieder aufgestanden und stand Peter gegenüber. Was machte sie da, warum rannte sie nicht weg? „Anna.“, stöhnte ich noch einmal.
„Was habt ihr gemacht, ihr Idioten!“, Peter schrie die beiden Männer über mir an. „Wen sollen wir jetzt jagen?“
Er ließ den Blick über die Lichtung schweifen. „Ihr bleibt gefälligst hier ich Angsthasen.“, rief er verächtlich zu Tom und Judy.
„Jagen wir doch sie.“, hörte ich Franks Stimme über mir.
Ich hustete, „Lauf weg, Anna.“
Im Feuerschein sah ich, wie sich Peter langsam veränderte. Sein diabolisches Grinsen wurde größer, seine Zähne wurden länger. Hatten er Klauen bekommen? Das konnte nicht sein, nein das konnte nicht sein. Wir waren nicht in einem Spiel. Ein erneuter Schlag traf mich gegen den Kopf, das Blut dröhnte in meinen Ohren.
Auf einmal begannen Annas Augen zu leuchten. „Das war ein Fehler.“, sagte sie. „Das werdet ihr bereuen. Ihr Blick war grimmig, ihre Augen leuchteten, wie zwei Scheinwerfer. Sie ging auf Peter zu. Das ist das letzte was ich sah, bevor meine Welt schwarz wurde.
Ich erwachte im Krankenhaus inmitten von blinkenden und piependen Maschinen. Zwei Tage lag ich im Koma, sagten die Ärzte. Ich hatte einen dicken Verband um den Kopf und alle sagten mir, es sei ein Wunder, dass nicht mehr passiert sei.
„Wo ist Anna?“, fragte ich. „Geht es ihr gut?“
Die Ärzte sagten mir, es ginge ihr gut und sie würde mich wohl bald besuchen kommen können.
Am nächsten Tag öffnete sich die Tür zu meinem Zimmer und Anna kam herein. Sie sah so hübsch aus. Vom Schlag in ihr Gesicht, konnte ich nichts mehr sehen.
„Robert.“, sie rannte zu mir und umarmte und küsste mich. Sie weinte. Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, fragte ich was passiert war. Sie sei in den Wald gelaufen meinte sie, alle waren hinter ihr her. Irgendwie hatte sie die Verfolger abschütteln können und hatte immer wieder versucht Handyempfang zu bekommen. Sobald sie Empfang hatte, rief sie die Polizei und diese hat uns dann gefunden.
Ich seufzte, dann fragte ich sie, wo sie gestern gewesen ist.
„Die Polizei hat mich befragt.“, sagte Anna kurz.
Danach erzählte sie weiter. Die hätte Tom am Lagerfeuerplatz gefunden. Er war anscheinend auch schlimm verprügelt worden, aber weigerte sich etwas zu sagen. Von Judy, Max und Frank fehlte weiter jede Spur, die Autos des Trios standen immer noch vor dem Haus.
„Was ist mit Peter?“, fragte ich ängstlich.
Anna holte kurz Luft. „Peter wurde überfahren. Er rannte aus dem Wald auf die Straße und wurde von einem Auto erfasst. Er ist tot, Robert.“
„Und war er…“, ich stockte. „War er ein Mensch?“, krächzte ich schließlich.
„Natürlich war er ein Mensch, wie kommst du auf diese Frage?“
Langsam und leise beschrieb ich, was ich gesehen hatte, bevor ich Ohnmächtig wurde.
Anna gab einen schmerzhaften Laut von sich. „Das habe ich dir ja noch gar nicht erzählt. Die Polizei hat festgestellt, dass Drogen im Wein waren. Ich glaube LSD. Irgendetwas, dass Halluzinationen verursachen kann.“
„Ah.“, sagte ich nur. Das gab allem eine andere Wendung. Hatte ich mir das durch die Drogen alles nur eingebildet?
„Hat die Polizei gesagt, was Peter eigentlich wollte?“, fragte ich müde. Es war alles so widersinnig.
Anne schüttelte nur den Kopf.
Ich schloss die Augen. War Peter wahnsinnig, war er ein Werwolf? Was hatte ich bei Anna gesehen?
Anna lächelte mich an, als ich die Augen wieder öffnete. Es war egal, was ich gesehen hatte. Ich liebte sie und ich war so froh, dass es ihr gut ging.
„Ich habe dir das Notebook mitgebracht.“, sagte sie und legte mir das Gerät auf den Schoß.
„Nein danke!“, sagte ich bestimmt und schob das Ding von mir weg.
Einen Werwolf würde ich wohl nie mehr spielen.