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geschrieben von Onivido kurt.
Veröffentlicht: 28.08.2021. Rubrik: Unsortiert


Caribeños

Nicht einmal die Allerältesten wussten, wer den riesigen Mangobaum neben dem Dorfeingang gepflanzt hatte. Man munkelte es sei Maria Lionza, die Urwaldgöttin, selbst gewesen, die hier einen Mango ausgesaugt und den Kern fallen gelassen hatte.
Zwei Gassen, getrennt von einer Reihe von Häusern, aus Lehm gebaut, mit Dächern aus Schilfrohr, bedeckt mit, von der Sonne gebleichten, Dachziegeln, dazwischen eine Kirche mit einem kleinen Platz davor, vier Kneipen und eine Uferstrasse. Mehr war das Dorf nicht. Seine Bewohner lebten beschaulich von dem Ertrag ihrer Conucos - dem Dschungel abgetrotzten, kleinen Feldern- dem Fischfang und seit ein paar Jahren trugen die Wochenendgäste zu ihrem Unterhalt bei.
Er war nur einer von den Vielen, die jedes Wochenende den Strand bevölkerten und die vier Kneipen rechtfertigten. Niemand hätte seine Ankunft bemerkt, wenn er wie alle anderen gleich zum Strand gefahren wäre, anstatt seinen polierten Ford Mustang gegenüber der Bodega anzuhalten, direkt neben Lilianas Haus. Sie sah ihn aussteigen und in den Kramerladen gehen. Einen Augenblick stellte sie sich vor, in diesem Auto zu sitzen, neben dem sehnigen jungen Mann, der gerade im Geschäft verschwunden war. Wie sie die Freundinnen beneiden würden; und erst der Dorftratsch. Sie kicherte. Kurz entschlossen verliess sie das Haus und ging in den Laden. Der Mann, fast noch ein Junge, drehte sich zu ihr, als sie sich neben ihn an den Ladentisch stellte. Unverhohlen musterte er ihre vollen Brüste, die ihr dünnes T-shirt nur zaghaft verhüllten.
“Was!” fauchte sie erbost.
”Entschuldige, aber gehört das alles dir?”
“Clown!”
“Für dich mache ich gerne den Clown, oder was immer dir einfällt.”
Fast hätte Liliana gelächelt, aber sie hielt sich im Zaum, drehte sich zu dem Krämer und verlangte eine Schachtel Streichhölzer.
“Was für ein Bonbon sie geworden ist!”seufzte der Alte hinter der Ladentheke, als sie ausser Hörweite war.
“Wir sehen uns am Strand”, rief der Mann ihr nach.
Das Bild des schlanken Mädchens mit den grünen Augen in dem dunklen Gesicht war in sein Gedächtnis gemeisselt. Es ärgerte ihn, sie mit diesem dummen Spruch angemacht zu haben.
Am Strand traf er Freunde. Sie spielten Rugby mit einer Kokusnuss als Ball, tranken eiskaltes Bier zum Abkühlen und schwammen im lauwarmen Wasser. Dann sah er sie, die Maid mit den grünen Augen. Als sie sich ihrer Bermudas entledigte, wäre sogar die Dschungelgöttin vor Neid erblasst. Sie sprang in die Wellen. Er liess seine Dose Bier in den Sand fallen, sprang auf und hechtete ihr nach. Als sie ihn bemerkte, schwamm sie weit in die Bucht hinaus. Er folgte ihr. Fast am Ende der Bucht hielt sie an.
“Du kehrst besser um”, sagte sie.
“Warum?”
“Weiter draussen gibt es Haie.”
“Wenn sie dich nicht fressen, werden sie auch mich verschonen.”
“Haie fressen lieber Weisse, als Schwarze.”
“Und wenn der Hai farbenblind ist?”
“Sei nicht stur, kehr um.”
“Nur wenn du auch umkehrst.”
“Ich möchte nicht schuld sein, wenn dir ein Hai ein Bein abreisst”, sagte sie und begann zum Strand zu schwimmen.
Er schwamm neben ihr, schweigend. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Alles was ihm einfiel, kam ihm dumm vor. Als sie an den Strand wateten, nahm er sie bei der Hand und zeigte zum Ausgang der Bucht.
“Gracias, amor”, sagte er.
Eine Dreieckflosse kreuzte am Buchtende.
Sie lächelte. Ihre Hand zog sie nicht zurück.

Beim Strandvolleyball waren sie unbesiegbar, el “Catire y la Negra”, die Unzertrennlichen. Fast den ganzen Nachmittag hatten sie gespielt, unter sengender Tropensonne. Jetzt wateten sie Hand in Hand ins Meer. Im Wasser schlang Liliana ihre Schenkel um Richards Hüften. Er umarmte sie, drückte sie an sich. Sie küssten sich, versanken in den Wellen bis Atemnot sie zwang voneinander abzulassen, um aufzutauchen.
Am Strand stand Lilianas Vater, Machete in der Hand.
“Liliana ist kein Spielzeug”, sagte er, als Richard ans Ufer kam, um ihn artig zu grüssen
“Señor, ich liebe Ihre Tochter”, entgegnete Richard.
“Sehr”, fügte er hinzu.
“Ihr Städter spielt gerne mit einer Negrita vom Land. Wenn sie schwanger ist, verschwindet ihr.”
“Ich schwöre beim Leben meiner Mutter, dass ich Liliana nie im Stich lassen werde.”
“Vorsicht mit dem Leben deiner Mutter”, grollte der Vater.
Auch Yoel, ein Bruder Lilianas, fühlte sich genötigt ein Warnung auszusprechen:
“Vorsicht mit meiner Schwester. No la preñes!”
“Hermano, unterschätze mich nicht. Bei einem Kind wird es nicht bleiben, aber erst wenn wir unser eigenes Haus haben.”
“Ich hoffe, dir ist Ernst damit, sonst gebe ich dir solche Prügel, dass dich deine eigene Mutter nicht wiedererkennt.”
“Erstens ist es mir Ernst und zweitens würde es dir schwer fallen mich zu verprügeln.”
“Wollen wir mal sehen, ob ich das könnte “, antwortete Yoel und ballte die Fäuste.
“Dejense de vainas, par de idiotas – lasst den Blödsinn, ihr Dummköpfe”, rief Liliana die gerade auf die beiden zukam.
“Trinken wir ein Bier, Familie, sagte Richard und schob Yoel in Richtung einer der Kneipen.
“Hier kommt Richard mit seiner schwarzen Bohne”, schallte es ihnen entgegen als sie in das Lokal kamen.
“Neid verursacht Krebs, José.”
“Liliana, ich verstehe nicht, was du an Richard siehst. Schau mich an. Findest du mich nicht besser, männlicher.”
“Schau in den Spiegel. Dann brauche ich nicht zu antworten.”
“Du hast eben keinen guten Geschmack.”
“José, soll ich Marian sagen, wie du dich benimmst, wenn sie dich nicht sieht.”
“Sie liebt mich. Dir würde sie kein Wort glauben.”
“Selber schuld, wenn sie einem Knilch wie dir vertraut.”
“Gib uns drei Bier, oder besser vier, damit José das Maul hält”, sagte Richard zu dem Mann hinter der Theke.

Die Aufnahme Lilianas bei Richards Eltern war frostig. Sein Vater hatte die unleugbaren körperlichen Reize Lilianas zweifellos wahr genommen, was ihn seinen Sohn zwar verstehen liess, ihn jedoch keineswegs zur Herzlichkeit gegenüber Liliana verleitete, nicht zuletzt weil seine Ehefrau zugegen war. Diese behandelte Liliana mit peinlicher Höflichkeit, aber sie versäumte es dennoch das traditionelle “esta es tu casa –das ist dein Zuhause” auszusprechen. Sie siezte Liliana, was ihr zornige Blicke ihres Sohnes einbrachte.
Lichtblicke in dieser Konstellation waren Richards Geschwister. Sein Bruder war, wie jeder Mann, von den Attributen Lilianas beeindruckt, was er nicht ganz verbergen konnte, oder wollte. Marina, seine Schwester, umarmte Liliana herzlich und liess keinen Zweifel daran, dass sie ihr eine willkommene neue Freundin war.
Jedoch das Verhalten der Eltern Richards hatte Liliana gekränkt und nachdenklich gemacht. Nach dem Besuch bei der Familie war sie sehr einsilbig geworden. Sie machte unumgängliche Besuche bei einer Tante, traf sich mit Schulkameradinnen, machte Aushilfejobs. Sie spielte jetzt in der Volleyballauswahl des Landes, ergatterte wahrscheinlich deshalb ein Stipendium, machte Werbespots und hatte immer weniger Zeit für Richard.
Als die Firma, bei der Richard sein Brot verdiente, seine zeitweilige Versetzung nach Japan vorschlug, willigte er ein.
Manchmal sass er jetzt in den Abendstunden allein, oder mit irgendeiner Frau im Restaurant im dreiundvierzigsten Stock des Prince Hotels in Shin Yokohama, sah über die Lichter des endlosen Häusermeers und träumte Liliana sässe an seiner Seite. Seine Gedanken schweiften zu dem Dorf an der Küste in seiner Heimat. Fast konnte er die Umarmung Lilianas fühlen. Er fragte sich, was aus ihr geworden war. Warum war jegliche Verbindung zu ihr abgebrochen? Warum hatte er sie ziehen lassen? Drei Jahre waren verstrichen. Immer noch war sie verankert in seinem Herzen. Er hatte einen Riegel vorgeschoben, der jeder anderen Frau Einlass verwehrte.
Auch diesen Abend nippte er an einem Drink hoch über der Stadt.
Sein Handy leierte “Mi limón, mi limonero…”. Seine Schwester.
“¡Epa, hermanito! Wie gehts? Bist du schon fünfter Dan in Aikido?”
“So schnell geht das nicht, nicht einmal bei meiner aussergewöhnlichen Begabung. Aber was ist los? Ist alles okay zuhause?”
“Liliana representiert unser Land bei Miss International in Tokio”, platzte Marina heraus.
“Ist das so? Gut für sie, aber warum rufst du mich deshalb an?”
“Ich dachte, das interessiert dich.”
“Na ja, ich kann mein Interesse in Grenzen halten.”
“Du bist nicht sehr überzeugend, wenn du lügst.”
“Ok, Frau Dr. Molina, was ist Ihre Diagnose?”
“Du bist verliebt, mein Bruderherz, und willst es nicht zugeben.”
“Was heisst hier nicht zugeben? Es ist doch besser solche dummen Gefühle zu unterdrücken.”
“Warum denn?”
“Ich habe nicht den Eindruck, dass Liliana noch interessiert an mir ist.”
“Finde es einfach mal heraus. Du bist doch sonst nicht schüchtern.”
Richard bestellte einen doppelten Whisky und trank ihn ohne abzusetzen. Die Lichter strahlten heller.
Dann sinnierte er darüber nach, welche Bedingungen Liliana wohl hatte erfüllen müssen, um bei diesem Wettbewerb dabei sein zu können. Die Bilder, die in sein Bewusstsein sickerten erregten Unmut, Eifersucht, Abscheu. Hatte er seine Liebe endgültig verloren, oder wollte er sie vielleicht gar nicht mehr. Er trank noch einen Whisky und wankte nach hause.
Seine Alkoholnarkose ebbte ab, viel zu schnell. Wach lag er im Bett. CNN Nachrichten im Fernsehen. Das Telefon läutete. Missmutig hob er ab.
“Moshi, moshi.”
“Hola Richie. Ich bins, Liliana.”
Im Restaurant im dreiundvierzigsten Stock des Prince Hotels in Shin Yokohama umarmten sich Richard und Liliana und blickten hinab auf das Lichtermeer, das am Horizont verschwamm.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Anja Pompowski am 13.09.2022:
Kommentar gern gelesen.
Eine schöne Geschichte, wobei ich daran zweifle, ob die Beziehung zwischen Richard, der sich ein Haus und Kinder wünscht, und der karrieregeilen Schönheitskönigin halten wird. Na ja, vielleicht könnte ja eine Leihmutterschaft in Betracht kommen.




geschrieben von Onivido kurt am 14.09.2022:

Anja es freut mich, dass du die Geschichte gelesen hast. Noch mehr freut es mich, dass sie dir gefallen hat. Eine Leihmutter gibt es bei uns nicht. Die gute Liliana ist spaetestens nach einem Jahr die Mutter eines gesunden Kindes.Jetzt muss ich dir noch verraten, dass ich nicht kreativ bin, aber gerne erzaehle. Deshalb haben alle meine Geschichten einen realen Hintergrund, auch diese.




geschrieben von Christelle am 14.09.2022:

Durch Anjas aktuellen Kommentar bin ich auf diese Geschichte aufmerksam geworden, lieber Kurt. Du sagst, du erzählst gerne? Ich finde, du erzählst unglaublich gut.




geschrieben von Onivido kurt am 15.09.2022:

Danke Christelle.Ich bin von meiner Erzaehlkunst nicht so ueberzeugt, aber ich versuch es immer wieder und manchmal scheint ein Geschichtlein zu gefallen.

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