Veröffentlicht: 25.05.2021. Rubrik: Märchenhaftes
DIE RIESEN VON PUSILLUS: Brüder im Geiste (1) - DER AUSTAUSCH
„Wow“, rief Sorora überrascht. „Jetzt bin ich aber mal gespannt. Consultator hat mir unlängst davon erzählt. Du siehst, ich weiß Bescheid. Wer also bist du?“
Hastig bedeckte Edmond seine Scham. Die Beschneidung! Daran hatten sie nicht gedacht. Dann erzählte er ihr eine unglaubliche Geschichte:
„Es war reiner Zufall gewesen, als wir uns vor fünf Monaten in einem beliebten Park am Rande der Stadt über den Weg liefen. Wir konnten praktisch gar nicht aneinander vorbeilaufen, denn wir ähnelten uns wie eineiige Zwillingsbrüder. Überrascht blieben wir stehen.
„Singulus“, sagte er. „Edmond“, erwiderte ich.
Wir umarmten uns wie zwei uralte Freunde und waren fortan unzertrennlich. Da er Gast in meinem Land war, lud ich ihn natürlich zu mir ein. Tagsüber zeigte ich ihm alles Sehenswerte der Stadt und ihrer Umgebung, abends am Kamin erzählte er mir von sich. Es musste ein sehr kleines Land sein woher er stammte, denn ich hatte noch nie zuvor davon gehört. Je länger wir durch die Lande streiften, desto besser verstanden wir uns. Er war der Bruder, den ich nie gehabt hatte, und Singulus fühlte ebenso. Doch dann nahte das Unvermeidbare. Singulus musste wieder nach Hause. Natürlich begleitete ich ihn zum Bahnhof. Da es hier viel wärmer als bei ihm zuhause war, hatte er seinen dicken Kapuzenmantel kurzerhand in einem der Schließfächer verstaut. Zu unserem Erstaunen aber war der Bereich der Schließfächer von der Polizei abgesperrt worden. Man hatte bei ihrer Kontrolle einen sonderbaren Fund gemacht, und müsse diesen jetzt erst einmal genauestens untersuchen. Er läge weiter hinten auf einer Bank, hieß es. Als wir näherkamen wurde Singulus plötzlich kreidebleich.
„Das ist mein Mantel!“, flüsterte er mir ins Ohr und wir verließen das Gebäude so schnell wir konnten. Draußen angekommen sah er mir lange in die Augen. Weinte er etwa?
„Ach was soll es“, sagte er voller Inbrunst. „Ich würde sowieso lieber hier bleiben.“
Und dann erzählte er mir seine wahre Geschichte. Dass er in Wahrheit ein Riese wäre, einsam und allein auf dem Zwergplaneten Pusillus in einer weit entfernten Galaxie lebe, und mit einer Raum-Zeitmaschine die Erde besuche. Ich glaubte ihm natürlich erst kein Wort, bis er sie in einem dichten Wäldchen nahe der Stadt mit der Unsichtbarmaschine wieder sichtbar machte. Singulus war verzweifelt. Schon am nächsten Morgen würde die erlaubte Reisezeit vorüber sein. Mitten in der Nacht fanden wir die Lösung. Aufgrund unserer Ähnlichkeit tauschten wir einfach die Rollen. Ich, frei und ungebunden, sehnte mich geradezu nach einem Abenteuer und Singulus, auf Pusillus ein Unbekannter, konnte weiter seine neue Liebe entdecken. Sechs Monate später sollte ich zurückkehren, und wir würden den Tausch wieder rückgängig machen.“
Sorora sagte kein Wort. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Tränen rannen über ihre Wangen. Denn Sorora hatte sich bis über beide Ohren in Singulus, äh, Edmond verliebt.
Sie spielte mit dem Gedanken Maximus aufzusuchen und ihm alles zu erzählen.
BECU
DIE RIESEN VON PUSILLUS beruhen auf einer Fotogeschichtenschreibgruppe. Leider wird das Foto nicht angezeigt:
Eine, auf einer Bank sitzende, körperlose, Mönchskutte.