Veröffentlicht: 19.03.2021. Rubrik: Persönliches
Menschen mit Leitungsfunktion
Menschen sind ja vieles, dazu gibt es die verschiedensten Meinungen. „Alle sind gleich“, sagen die Demokraten, „Alle sind schön“, die Phil- und „Alle sind scheiße“, die Misanthropen. „Alle sind glücklicher, als ich“, schluchzen die ganz depressiven, oder „Alle sind weg“, wundern sich die Vereinsamten.
Als eher schlichtes Gemüt habe ich zu dem Thema Menschen im allgemeinen eine vergleichsweise unspektakuläre Meinung: Alle sind da. Das sind sie ja nun mal wirklich und zu Zeiten der allgemeinen Vernetzung bekommt man das sehr geballt zu spüren.
Vor allem sind Menschen aber eines: Sehr unterschiedlich. Der eine sehnt sich nach einer ,gigantische Datenmengen im Millisekundentakt pumpenden, Internetverbindung und am anderen Ende der Welt, oder auch nur ein paar Schritte um die Ecke, würde sich jemand bereits über eine funktionierende Leitung mit fünf bis sechs Litern sauberem Wassers pro Tag freuen. So hat halt jeder seine Bedürfnisse.
Das mit dem Wasser kann ich gut nachvollziehen, aber ob ich ein vielfaches der Rechenleistung benötige, die für die erste Mondlandung zur Verfügung stand, nur um mir letztlich ein Video anzusehen in dem eine niedliche Katze fehlerfrei „Ole, wir fahr´n in Puff nach Barcelona“ auf der Querflöte spielt, weiß ich jetzt gerade nicht so genau.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, dass die Leute Quatsch lieben ist wunderbar, denn sonst würde ja schließlich keiner lesen, was ich so zusammenfabuliere. Deutlich mehr Sorgen bereitet mir das überbordende Sendungsbewusstsein mancher Leute. Um ihre persönlichen Anliegen, oder auch nur ihr gestriges Mittagessen zu kennen, muss ich mich nicht mal mit ihnen Unterhalten. Im Prinzip mache ich hier nichts anderes, keine Frage, bloß die Erbsensuppenfotos erspare ich Ihnen.
Ich würde mich gerne mal mit einem ehemaligem Stasi-Mitarbeiter darüber unterhalten, leider habe ich seit Mitte der Neunziger keine in Frage kommenden Ansprechpartner mehr. Damals wurde nicht gern darüber geredet, denn ansonsten lief man Gefahr einen wütenden Mob, oder, fast noch schlimmer, Spiegel TV vor seiner Haustür zu haben. Was muss das für ein unbefriedigendes Gefühl sein? Da schuftet man Tagein Tagaus dafür etwas über seine Mitmenschen zu erfahren, nutzt alle Tricks, macht jede erdenkliche Schweinerei und dann? Plötzlich plärren sämtliche Leute ihre intimsten Angelegenheiten einfach öffentlich heraus. Ganz ohne Überwachung, Erpressung, Gewaltandrohung und Beugehaft. Einfach so. Mich würde das wahnsinnig frustrieren und ich hätte weder Spaß an meiner Rente, noch könnte ich mich an meinem gemütlichen Parlamentssitz erfreuen.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eine wertvolle Errungenschaft und sehr wichtig, daran gibt es nichts zu rütteln. Jedenfalls solange, bis man sich mal Kommentare auf den (a)sozialen Plattformen im Netz ansieht. Sollten Sie sich schon mal gefragt haben, wer diesen menschenverachtenden Dreck und debilen Unsinn überhaupt liest, bin ich gern behilflich: Ich. Keine Ahnung warum, aber es ist so ähnlich wie bei üblen Unfällen. Ich muss da einfach hinsehen. Was dort von Leuten geschrieben wird ist häufig ärgerlich und belastend, aber es lehrt mich auch Toleranz und Verständnis... für Amokläufer und Serienmörder zum Beispiel.
Ein wesentlich älterer Kollege hat letztens Bekanntschaft damit gemacht. Als von den 70ér Studentenprotesten noch Übriggebliebener postete er einige seiner Ansichten im Netz und wurde dafür mit reichlich Aufmerksamkeit belohnt.
„Linksversiffte Gutmenschenschwuchtel, die an der nächsten Laterne aufgehängt werden sollte“ gehörte eher noch zu den Schmeicheleien und ich war ein wenig besorgt wegen seiner sensiblen Wesensart. Hätte ich mir aber sparen können.
Ich: „Fuck, diese asoziale Scheiße nervt!“
Er: „Geil, fast wie früher auf der Straße!“
Und vielleicht hat er recht damit. Vielleicht ist das alles gar nicht so neu, so modern und fortschrittlich, wie wir uns so gerne einbilden. Wahrscheinlich hat sich nichts geändert, lediglich die Bühne wurde ein Stück vergrößert und ein wenig spektakulärer geschmückt. Ein paar Scheinwerfer mehr, die Mikros etwas hochgepegelt, dem Regisseur ein bisschen Speed in den Kaffee gemogelt und dann das ewig selbe Stück von vorne.
Und wer ist dabei? Wir. Alle.