Veröffentlicht: 17.03.2021. Rubrik: Nachdenkliches
Je höher du steigst, desto tiefer wirst du fallen
Nachdenklich betrachtete der Polizist das tote Mädchen. Es wirkte so zierlich, so zerbrechlich und sah so jung und unschuldig aus. Vielleicht war sie vom Dach gesprungen, hatte sich das Leben genommen, wie all die anderen Leute vor ihr auch. Man könnte meinen, dass man sich mit jedem Toten, den man sieht, mehr daran gewöhnt, doch das stimmt nicht. Jede Leiche, die er sah, war genauso schrecklich wie die erste. Er konnte sich einfach nicht an die leeren Augen, den Geruch nach Verwesung und die starren Glieder gewöhnen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Polizist zu werden, doch jetzt musste er mit der Entscheidung leben. Betrübt wandte der Mann sich ab und wartete auf die Ankunft seiner Kollegen und versuchte nicht mehr an das Mädchen zu denken. Doch immer wieder schweiften seine Gedanken zu der Toten und zu der Frage, wie sie gestorben war und wer sie gewesen war. Er betrachtete die Tote durchgehend und hoffte, dass er sie dadurch vergessen könnte. Ihr rechtes Bein stand in einem unnatürlichen Winkel ab, ihr schwarzes Haar ließ ihre weiße Haut noch blasser erscheinen und ihre eisblauen Augen waren weit aufgerissen. Ein Schauer durchfuhr ihn. Es schien ihm, als blickten sie direkt durch ihn hindurch. Es schien ihm immer wahrscheinlicher, dass sie Suizid begonnen hatte, doch er hoffte, dass es nur ein Unfall gewesen war. War sie glücklich gewesen und hatte sie Familie, Freunde? Er hoffte es so sehr. Was konnte einen so jungen Menschen überhaupt dazu bringen, sich das Leben zu nehmen? Sie hatte doch noch ihr ganzes Leben vor sich gehabt, es fing in dem Alter doch gerade erst an. Er musste an ihren Gesichtsausdruck denken, so von Schrecken und Furcht erfüllt. Normalerweise sahen die Gesichter von Suizid begonnenen Toten nicht so aus. Eher friedlich, manchmal fast schon glücklich. Sie sah jedoch so aus, als hätte sie einen Geist gesehen. So viele Fragen, dachte er, und sie würde sie niemandem mehr verraten können.
5 Stunden zuvor
Voller Vorfreude und Aufregung hangelte ich mich geschickt an der Regenrinne entlang und ließ mich schließlich an ihr hinuntergleiten. Leise kam ich am Boden auf. Ich hätte mich sicherlich auch mit verbundenen Augen aus meinem Zimmer stehlen können, schließlich stieg ich mindestens einmal pro Woche seit ein paar Jahren aus dem Fenster. Bald würde ich Jubiläum feiern können, ich lächelte, als ich daran dachte, wie ich mich zum ersten Mal raus geschlichen hatte. Ich hatte höllische Angst erwischt zu werden, doch meine Angst zu fallen, war viel größer gewesen. Unbeholfen und ohne meine jetzige Trittsicherheit war ich an der Regenrinne entlanggerutscht und hatte dabei so einen Lärm gemacht, dass es ein Wunder war, dass meine Eltern nicht aufgewacht waren. Glückselig in Erinnerungen schwelgend hastete ich die Straße entlang, bis zu einem mehrstöckigen Mietshaus, von dem ich wusste, dass das Treppenhaus und somit der Weg zum Dach Tag und Nacht offen war. Freudig sprang ich die Stufen hinauf und Vorfreude erfüllte meinen Körper. Endlich erreichte ich die Luke, die zum Dach führte und mein ganz persönlicher Weg zur Freiheit war. Atemlos blickte ich in den vertrauten Nachthimmel und es schien, als würde ich auf einmal freier atmen können und als wäre mir eine riesige Last von den Schultern genommen worden. Meine alltäglichen Sorgen und Probleme schienen auf einmal weit weg und unwichtig. Losgelöst betrachtete ich die vorbeifahrenden Autos, die bunten Lichter der Stadt und ich stand einfach nur befreit auf dem Dach und lauschte meinen allmählich regelmäßig werdenden Atemzügen. Für diese Aussicht, für dieses Gefühl lebte ich. Am Tag hatte ich oftmals das Gefühl eingesperrt zu sein und von allen missverstanden. Aber hier war das gar nicht wichtig, hier konnte ich die sein, die ich wirklich sein wollte. Ich wusste zwar nicht wer ich war, aber dafür wusste ich ganz genau wer ich nicht war und auch niemals sein werde.
Auf einmal machte mich der Anblick von all den Autos, U-Bahnen und Menschen traurig. So viele Menschen waren des nachts noch unterwegs. Fuhren von der Nachtschicht heim oder waren auf dem Weg zu Partys. Vielleicht hatten sie ein glückliches Leben, wurden geliebt? Vielleicht sind sie aber auch unglücklich, unzufrieden mit ihrem Leben und sich selbst. Vielleicht stirbt morgen einer von ihnen und ich würde es nicht einmal mitkriegen. In der Stadt waren einfach so viele Menschen und jeder lebte sein eigenes Leben. Manche Menschen schienen die anderen gar nicht wahrzunehmen, viel zu beschäftigt mit ihrem eigenen. Ich wusste auch nicht, woher diese Gedanken kamen, sie waren einfach da. Dabei liebte ich doch die Stadt, sie war so chaotisch, hektisch, laut, aber auch vielfältig, bunt und voller Leben. Und sie war meine Stadt. Mein Zuhause.
Meine Oma hatte immer zu mir gesagt: „Wo Licht ist, ist auch Schatten. Und umgekehrt gibt es in jedem von uns nicht nur Schatten, sondern auch Licht. Auch wenn es manchmal verborgen ist und man es suchen muss. Denke immer daran, Lil“ Bei ihr hatte man immer das Gefühl gehabt, dass direkt in dein Herz blickte. Sie wusste immer, wie es mir ging und wie ich mich fühlte. Oder ob ich etwas angestellt hatte. Oh, ja. Sie wusste es immer.
Wenn sie noch leben würde, sie würde bestimmt bemerken, dass ich nachts nicht friedlich in meinem Bettchen schlafe. Sicherlich würde sie mich richtig ausschimpfen und dann in den Arm nehmen und ich könnte nicht auf einem Dach echten Frieden spüren, sondern in ihren Armen. Bei ihr war ich immer echt, immer ich. Sie würde jedes falsche Lächeln, jede angestrengte höfliche Antwort und alle unterdrückten Tränen bemerken. Ich vermisste sie so sehr, dass mich der Schmerz manchmal niederzureißen drohte. In diesen Momenten wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass ich sie noch einmal treffen könnte und wenn es nur für einen Augenblick wäre. Doch sie war fort. Für immer.
Ich spürte, wie mir die Tränen kamen und wandte mich traurig ab. Sie war tot und es half nichts ihr hinterher zu trauern. Nichts würde sie jemals wieder lebendig machen.
Schließlich sprintete ich los und stieß mich kräftig vom Dach ab, um geschickt auf dem Dach des Nachbarhauses zu landen. Das war einfach die beste Methode, um böse Gedanken zu vertreiben. Ich lief immer weiter und sprang auf Dächer, große Balkone oder Bäume. Das war vertrautes Terrain und irgendwann blieb ich stehen. Ich war auf dem Dach der Kletterhalle gelandet, bemerkte ich außer Atem. Ich hatte gar nicht beabsichtigt zu kommen, doch es schien, als hätte sie mich magisch angezogen. Ich erinnerte mich, wie alles seinen Anfang genommen hatte. Eines Tages in der Kletterhalle, in der ich früher öfters hingegangen war, kamen die „Spiders“, die Kletter-Clique, auf mich zu. Sie waren mega beliebt und jeder beneidete sie. Doch ich fand, dass ihr Name die „Spiders“ auch zeigte, wie arrogant sie waren, doch das fiel mir erst später auf. Ich fühlte mich natürlich als was ganz Besonderes, als sie auf mich zukamen. Auf mich! Obwohl ich weder beliebt war, noch hatte ich viele Freunde. Ich war immer nur das Mädchen am Rande gewesen, unsichtbar und unbemerkt. Ich hatte einfach nie den Mut gehabt auf andere zuzugehen und mit ihnen zu reden und überhaupt interessierte ich mich nicht für Klamotten, Schmink-Tipps oder anderen Mädchenkram. Ich spielte schon als kleines Mädchen lieber Fußball mit den Jungen aus der Nachbarschaft und kletterte viel lieber auf Bäume, als mit meiner Puppe zu spielen. Ich hatte mit sechs Jahren den Kopf abgerissen, als ich wütend gewesen war. Ich konnte mich nicht mehr erinnern wieso, nur noch an die unbändige Wut in meinem Inneren, die dringend raus musste und es hatte halt die Puppe getroffen.
Doch irgendwann fiel auch den Jungs auf, dass ich ein Mädchen war und so schlossen sie mich immer häufiger aus. Es war also kein Wunder gewesen, dass ich voll aus dem Häuschen war und nur ein bisschen zögerte, als sie mich eines Tages überredeten, auf ein Dach zu steigen und mit ihnen zu feiern. Vorsichtig hatte ich mich vom Treppenhaus auf das Dach hochgezogen und schließlich zu immer mehr Dingen überreden lassen. Ich hatte auch im Dunkeln auf Dächern gestanden und war schließlich auch mitgeklettert. Es kam mir vor, als wäre das eine andere Lil gewesen, eine naivere, aber auch eine fröhlichere und unbesorgtere.
Meine Naivität wurde mir genommen, als einer der Jungen aus der Clique von einem Balkon gefallen war und sie schnell abgehaut sind, damit sie niemand damit in Verbindung brachte. Ich schätze, es war nicht ganz legal, sich auf den Dächern und Balkonen von fremden Leuten nachts aufzuhalten und zu feiern. Der Junge, das erfuhr ich später, hatte nur knapp überlebt und hatte sich das Rückenmark verletzt, sodass er Schulter abwärts gelähmt worden war. Niemand hatte ihn mehr erwähnt, es war, als hätte es ihn nie gegeben. Das war auch der Grund, wieso ich zuerst nicht mehr so oft und schließlich gar nicht mehr bei den Treffen erschien. Als wären mir die Augen geöffnet worden. Ich hatte mich immer unwohler in ihrer Nähe gefühlt und mich gefragt, wer wohl der Nächste sein wurde und wann. Als ich das ihnen gesagt hatte, konnte ich ihr Gesicht hinter ihrer Maske erkennen und es war kein schöner Anblick. Sie wollten es einfach nicht ertragen, dass irgendjemand sie nicht vergötterte und so setzte sie eine Geschichte in Umlauf, in der ich die Clique wohl irgendwie verraten hatte. Ich wollte mich danach von den Dächern fernhalten, wusste dass auch ich irgendwann fallen wurde, doch es zog mich immer mehr dorthinauf. Es war wie eine Sucht. Ich verlor den Kampf.
Auf einmal bemerkte ich Schritte hinter mir. Eine drahtige Gestalt trat aus der Dunkelheit hervor und ich erkannte sie sofort. Luke. Er war so etwas wie der Anführer der Clique, ich hatte ihn noch nie leiden können. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, dass sich etwas Lauerndes, Hinterhältiges in seinem Blick versteckte und er nur darauf wartete, anzugreifen. Meine Augen wurden schmal vor Misstrauen, als ich ihn auf mich zu schlendern sah. „Sieh an, sieh an. Kommt da etwa eine kleine Schlange aus der Dunkelheit gekrochen?“, spottete er verächtlich. Pfft! Als ob ich hier die falsche Schlange wäre. Ich versuchte, möglichst kühl und unbeeindruckt zu klingen und erwiderte: „Pass lieber auf, dass die kleine Schlange dich nicht gleich verschlingt.“ Er lachte laut auf. Ich hätte ihm am liebsten sein falsches Grinsen aus dem Gesicht geschlagen, doch ich wusste, in einem Kampf würde er eindeutig als Sieger hervorgehen. „Immer wieder unterhaltsam dein Humor.“, meinte er lässig, „Dass du dich noch hierher traust. Ich hätte darauf verwette, dass wir dich nie wiedersehen würden. Doch selbst wenn du auf Knien vor mir darum bettelst, wieder aufgenommen zu werden, wir nehmen keine Verräter auf und erst recht keinen Loser. Haben wir das nicht deutlich genug gemacht? Also was willst du? Lässt du auf deinen Worten auch Taten folgen oder bist du dazu zu feige?“ Ich wusste genau, dass ich mich nicht auf ihn einlassen sollte, doch ich war stolz. Ich hatte ihm Leben nie eine helfende Hand benötigt, selbst wenn alle mir dazu rieten. Ich war für ihn nur ein Mitbringsel gewesen und ich wusste, dass er etwas Unmögliches verlangen würde und ich es niemals schaffen würde. Vielleicht hatte ich mich getäuscht und nicht meine Schüchternheit oder meine Unfähigkeit mich anzupassen hatten dazu geführt, dass ich keine Freunde hatte, sondern mein Stolz. Vielleicht war ich tatsächlich zu stolz, um jemanden zu ermöglichen, sich um mich zu kümmern, wenn es mir schlecht ging, jemandem anderen Geheimnisse anzuvertrauen und ihm um Hilfe zu bitten.
„Was soll ich tun?“, fragte ich ihn daher und wusste, dass ich mich auf alles einlassen würde, ganz egal wie leichtsinnig und dumm es war. Ein Funkeln trat in seine Augen, als hätte er seit Jahren auf diese Gelegenheit gewartet. Mein Magen zog sich zusammen und ich wünschte, dass ich es schnell hinter mir bringen konnte. „Was ich will,“, meinte er gedehnt und zog jedes Wort genüsslich in die Länge, nur um zu sehen, wie ich mir immer unbehaglicher wurde, „ist ein Wettrennen. Wer zuerst am Dach von der Disco „Dance & Drinks“ ankommt, ohne den Boden zu berühren, gewinnt. Nur um die Ehre und ohne miese Tricks, verstanden?“ Den letzten Teil hätte er sich auch sparen können, er würde niemals fair spielen. Wieder strebend willigte ich ein, da meine Sturheit nichts anderes zuließ, wohlwissend, dass ich niemals gegen ihn gewinnen konnte. Wieso musste ich eigentlich immer das Schicksal so herausfordern? Konnte ich nicht einmal meine Fresse halten? Nein, ich musste ja ein Wettrennen mit dem Anführer der „Spieders“ mir einbrocken. Kopfschüttelnd betrachte ich die umliegenden Dächer und versuchte, mich daran zu erinnern, wo ich hinmusste. Früher war ich dort öfters gewesen, doch mittlerweile mied ich alle Plätze, auf denen die Clique sich manchmal getroffen hatte. Wieder einmal riss mich Luke aus meinen Gedanken: „Schön, dann auf die Plätze, fertig, los!“ Lukas rannte an mir vorbei. Leicht verdattert folgte ich ihm und sah zu, wie er in der Dunkelheit verschwand. Schon bald kam ich an das Ende der Turnhalle, doch da ich hier schon oft gewesen war, wusste ich automatisch, wann und wie stark ich hier abspringen musste. Kräftig sprang ich genau im richtigen Moment ab, und landete federnd auf dem nächsten Dach. Von hier aus musste ich, wenn ich mich nicht irrte, nach links. Allerdings war hier der Abstand zwischen den Häusern breiter und es wäre leichtsinnig von mir gewesen, auch nur zu versuchen, darüber zu springen. Ich stoppte vor der Kante und versuchte nicht in den Abgrund zu schauen. Zum Glück war auf dem Haus auf der anderen Seite ein großer Balkon, in den ich springen könnte. Ich versuchte, den Abstand zu schätzen und nahm Anlauf. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf das schnelle tap-tap meiner Füße und sprang. Für einen kurzen Moment schien es, als wäre ich schwerelos, nur um eine Sekundenbruchteil später wieder auf meinen Füßen zu stehen. Der Schwung zwang mich, ein paar Schritte nach vorne zu stolpern und ich blickte atemlos auf die Hauswand. Jetzt kam der anstrengende Teil, dachte ich und versuchte meine Kräfte wieder zu sammeln. Schnell stieg ich auf das Geländer des Balkons und drückte mich an die kalte Hauswand. Meine Finger tasteten nach oben und ich streckte mich immer weiter, bis ich die Dachkante erfasste. Angespannt zog ich mein linkes Bein hoch und nutzte den Schwung, um mich auch mit der anderen Hand an die Kante zu klammer. Ich blies eine Atemwolke in die Luft und suchte mit meinem linken Bein das Sims des Fensters, das ich gesehen hatte. Vorsichtig lugte ich über meine Schulter und entdeckte den rettenden Vorsprung ein Stück weiter links. Angespannt schob ich meinen Fuß Stückchen um Stückchen in die Richtung und ertastete endlich das schmale Fenstersims. Erleichtert atmete ich auf.
Neuen Mutes verlagerte ich mein Gewicht auf das linke Bein und stieß mich dann schwungvoll hoch. Währenddessen holte ich mit meinem Linken aus und klammerte auch dieses an die Dachkante. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich, halb im Spagat, dabei war ich die ungelenkigste Person überhaupt, versuchte mich mit meinen Armen hochzudrücken. Meine Muskeln protestierten schmerzhaft, doch schließlich hatte ich es geschafft und lag auf dem Dach. Stöhnend rappelte ich mich hoch und schaute mich reflexartig nach Luke um. Er war bestimmt schon Meilen voraus und wartete im Ziel auf mich, kam es mir in den Sinn, als ich ihn nirgendwo entdeckte. Zum Glück meldete sich mein Kampfgeist mit den wiederkehrenden Kräften wieder und ich rannte los. Ich erkannte das Dach wieder, normalerweise sprang ich von der rechten Seite auf es. Dann musste zwei Häuser weiter der Club sein! Ich jubelte innerlich, auch wenn eine leise Stimme in mir sagte, dass es unmöglich so einfach sein konnte. Schnell brachte ich die Stimme zum Schweigen, denn vom Ehrgeiz gepackt, plante ich, ohne anzuhalten, abzuspringen. Natürlich wusste ich, dass das riskant war, doch ich konnte Luke einfach nicht gewinnen lassen. Die Lücke war, soweit ich mich erinnern konnte, recht klein und hier hatte ich manchmal ein wenig geübt. Außerdem könnte ich es einfach nicht ertragen, wenn Luke gewinnen würde. Wer weiß, was er von mir verlangen wird, wenn ich gewinne. Es wird bestimmt nichts Schönes sein.
Ich war kurz vor der Kante und machte mich für den Sprint bereit, als auf einmal ein Schatten auf mich zukam. Luke. Noch bevor ich überhaupt registrieren konnte, was passiert war, stolperte ich über meine Füße. Ich versuchte mein Gleichgewicht zu halten und rannte weiter. Er hatte mich geschubst. Immer noch nicht begreifend, sah ich das Ende des Daches vor mir. Es wäre unmöglich, rechtzeitig abzuspringen. Ich würde diesmal nicht am anderen Haus ankommen. Zum Bremsen war es längst zu spät. Ich würde fallen. Fallen. In die Tiefe. Die Angst lähmte mich und ich konnte es immer noch nicht so ganz begreifen. Ich versuchte meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken, meine Familie oder meine schönen Erinnerungen, ich sah nicht einmal mein Leben an mir vorbeiziehen, wie in den Filmen, denn ich fragte mich nur, ob es wehtun wurde. Schließlich schwebte ich in der Luft. Frei. Ich hatte mir immer gewünscht, frei zu sein und zu fliegen, und jetzt tat ich es. Ist das die Ironie des Schicksals? Meine Bestrafung, weil ich so oft so leichtsinnig mit meinem Leben gewesen war? Ich wollte nicht sterben. Nicht jetzt. Nicht hier. Mein Magen verkrampfte sich, als ich den Boden auf mich zurasen sah, oder raste ich auf ihn zu? Es spielte keine Rolle mehr. Ich prallte auf.