Veröffentlicht: 21.01.2021. Rubrik: Satirisches
Die Marc-Uwe-Offenbarung oder: Ich weiß, wem Bestseller-Autoren ihren Erfolg verdanken
Dunstige Morgennebel steigen langsam im alles überstrahlenden Sonnenlicht auf; frühe Vögel tummeln sich flügelschlagend im Geäst der Bäume, auf den Wiesen karnickeln Hasen, am Waldesrand röhrt ein brünftiger Hirsch: Ein herrlicher Sommertag, zum Ficken schön …
Nur ich kauere seit Tagen ungewaschen hinter heruntergezogenen Jalousien über meinem Laptop und versuche, gefällige Texte zu schreiben.
PLING. Der schon wieder.
Nein, nicht mein Handy. Leider. Es ist diese Erscheinung. Sie nennt sich Marc-Uwe und will mir weismachen, meine Muse zu sein.
Sein feixender Gesichtsausdruck schwebt in einer 3-D-Projektion an der Wand entlang zur Zimmerdecke. Mein Miene mäandert von irritiert zu empört.
"Marc-Uwe!", schreie ich spitz. „Ich sitz' hier aufm Klo – schon mal was von Intimsphäre gehört?“
„Hello, again“, näselt eine Stimme aus dem Off. Die Erscheinung macht ein Peace-Zeichen und schwebt durch die geschlossene Badezimmertür in den Flur: „Ich warte draußen. Mach hin, ich hab' nicht ewig Zeit!“
Langsam mache ich mir Sorgen: Ich bin so was nicht gewohnt – und ich weiß nicht, ob ein Dialog mit einem Geist noch als Gebet durchgeht oder bereits als Psychose gilt. Ich bin sicher nicht die erste Autorin, die beim Schreiben durchdreht … Oh. Mein. Gott.
„Gott ist schon mal 'ne schöne Anrede“, kommentiert Marc-Uwe meine Gedanken von draußen. „Haste was Verwertbares geschrieben, während ich kurz abwesend war?“
„Aufgepasst“, sage ich drohend. „Ich arbeite hier an meinem künstlerischen Durchbruch: Gestern Abend habe ich was Bahnbrechendes im Internet gepostet …“
„Why not“, sagt Marc-Uwe und gähnt herzzerreißend. „Liest aber niemand, oder?“
„Die Resonanz hätte besser sein können“, murmele ich und lasse defätistisch meinen Kopf in Kutschbockhaltung über dem Badezimmer - Flokati hängen. „Und mit in Ruhe kacken wird` s heute wohl auch nichts …“
„Was du brauchst, ist beinharte Kritik“, näselt Marc-Uwe und pustet einen Musenkuss durchs Schlüsselloch. „Ich meine es nur gut mit dir, Mädchen. Ich könnte aus dir eine Schreib-Titanin machen - damit du endlich mal Kohle verdienst. Ich hab' Hunger … “
„Ha, eine Erscheinung kann gar nicht hungrig sein!“ rufe ich triumphierend.
„Doch: Machthungrig!“ säuselt es vor der Tür. „Solange du mehr Angst davor hast, eventuell Talent zu haben, als es nicht zu haben, brauchst du mich!“
„Du willst eine Muse sein?“ rufe ich verächtlich. „Wie wär 's denn mal mit Inspiration - wenn du schon mal hier bist!“
„Völlig falsche Sichtweise, Darling. Künstlerinnen sind Narzisstinnen, die nur um sich selbst kreisen. Ohne mich bist du allerhöchstens intellektuelle Auslegeware!“
„Ich hab' es auch so schon schwer genug: Schreiben ist eine einsame Sache. Bis heute habe ich noch keinen Cent an meinem Buch verdient. Und HEYNE will mich partout nicht verlegen“, greine ich. „Dabei habe ich die mehrfach aufgefordert …“
„ULLSTEIN auch?“
„Jap.“
„Hättste lieber vorneweg auf mich gehört: Ironie und Sarkasmus sind keine Frauendomänen – und Sozialkritik auch nicht. Humor ist eine Männer-Angelegenheit. Wenn du so weiterschreibst, wirst du bald sehr, sehr einsam sein.“
"Was soll ich machen: Mir 'ne selbstgestrickte Wollmütze aufsetzen und mich als männlicher Poetry-Slammer ausgeben, damit ich bei Verlagen besser ankomme? Warum bist du eigentlich nicht bei Kling geblieben? Eure Zusammenarbeit war doch offensichtlich erfolgreich.“
„Ich wollte mal wieder eine Frau … verunsichern. Mädels zu dominieren macht einfach mehr Spaß: „Schreib anders! Schreib, wie es MIR gefällt! Du beherrschst ja nicht mal Interpunktion und Grammatik – glaubst du, das wird je was? Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Den Respekt des Lesers musst du dir erst hart erarbeiten! Kurzgeschichten: Liest kein Mensch! …“
Außerdem musste ich beim Kling dauernd als Känguru rumhoppeln, das war so unwürdig, diese Kostümierung …
Außerdem kann ich besser mit Verlagen. Ich hab` den pinken Verlegerinnen-Daumen. Mach mich zu deinem Agenten!“
„Was noch alles: Muse, Kritiker, Agent …?“
„Ich verstehe mich als großen Förderer postklimakterischer feministischer Schreibkultur und radikal-feministischer Menstruationsprosa“, schmeichelt Marc-Uwe hinter der Tür.
„Sarkast!“
„Schreib was Verwertbares, Liebelein: Wir haben bald keine Kohle mehr.“
„Wir?“, brülle ich durch die geschlossene Tür. „Kümmerst du dich jetzt auch noch um meine Finanzen oder was?“
„Ab jetzt bist du bei mir im betreuten Schreiben. Sieh mich einfach als dein Alter Ego.“
„Warum sollte ich?“
„Ich meine es bereits hinreichend überzeugend dargestellt zu haben: Du brauchst mich. Du bist unsicher. Du bewegst dich auf unbekanntem Terrain. Du glaubst nicht an dich und an das, was du machst. Du willst, dass einer kommt, der dir sagt, wo `s langgeht - und das bin ICH!
„Das hier ist mein Leben – und darin bin ich verdammt gut!“ brülle ich mit angeschwollener Halsschlagader.
„Das wäre ja noch schöner – jede Künstlerin braucht eine Muse. Und einen Kritiker. Also komm' da jetzt endlich raus, schreib' alles um und biete dein Zeug Verlagen an. Ich will mit dir auf Lese-Tour gehen: durchs Sauerland … Wir werden Auslagen haben. Allein die überteuerte Beerenauslese, die du abends brauchst, um überhaupt Brauchbares in die Tasten zu hauen …“
„Du, du … kommst nicht mit, auf gar keinen Fall kommst du mit ins Hotel!“ kreische ich.
„Ich kann einfach nicht umhin, indirekt meine Vorzüglichkeit zu inszenieren. Aber Größe zwingt zu Toleranz. Muss sich ein Porsche mit einem Golf messen? Kann er machen, muss er aber nicht.“
„Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass mir deine Häme den Sack geht? Ich bin doch kein Projekt, kein Dorf, das einen Brunnen braucht!“
„Locker bleiben!“, sagt Marc-Uwe. „Du kannst ja nicht mal vernünftig Texte redigieren …“
„Ha“, sage ich und zerre entnervt eine dreißig Jahre alte Ausgabe des Dudens aus dem Stapel Zeitschriften neben dem WC. Hier, kuck: Ich verfüge über ein gerütteltes Maß an Bildung, du Spacken!“
„Typisch“, sagt Marc-Uwe. „Nicht mal` n anständiges Schreibprogramm auf der Festplatte, sich aber über seine Muse mokieren.“
„Ich brauche keine Muse!“ flüstere ich heiser und lehne erschöpft meine heiße Stirn gegen die Wandfliesen. „Erst recht keine, die mich auf dem Klo heimsucht. Ich halte jetzt einfach so lange die Luft an, bis du dich in Luft aufgelöst … ähm … bis du weg bist. Lass mich einfach in Frieden, ja?“
„Wie süß“, säuselt er hinter der Tür. „Bist du wirklich so naiv zu glauben, du könntest es im Alleingang schaffen? Was seid Ihr Schreiberlinge doch für ein eingebildetes Pack: ICH habe dich auserwählt, o Schreibaffine – und jetzt zier` dich nicht so wegen der Küsserei …“
„Hast du den Kling etwa auch geküsst? Moahhhh! “
„Was das Knutschen betrifft, bin ich nicht genderspezifisch festgelegt“, unterbricht mich Marc-Uwe. „Was tut man nicht alles für die Kunst. Genie muss unabhängig sein von schnöder Wirklichkeit.“
„Ich will aber nicht von einer Muse geküsst werden“, antworte ich trotzig. Und vervollständige leise den Satz: „…die vor mir schon den Kling abgesabbert hat und Marc-Uwe heißt!“
„Na gut, du willst es nicht anders, dann muss ich wohl deutlicher werden, ich zitiere den Pschyrembel: „Ego und Alter Ego sind zwei miteinander in Widerspruch stehende Seiten einer gespaltenen Persönlichkeit …“
„Du bist es, der mich hier mit aggressiver Arroganz verfolgt und mir permanent sinnfreie Gespräche aufdrängt! Du bist doch hier das hochgradig neurotische Phänomen!“
„Ah ja?“, fragt er. „Und wer ist mittlerweile so sozial depriviert, dass er glaubt, einen Schreib-Blog aufmachen zu müssen, um mal Kontakte zu haben, die er nicht aus seiner Selbsthilfegruppe kennt?“
„Du hast mein Blog gelesen?“ Ich kichere hysterisch und lasse alarmiert die Klopapierrolle aus der Hand fallen.
„Während du gestern Abend rotweinselig über deinem Läppi eingeschnarcht bist …“, sagt Marc-Uwe und rülpst undezent ein wenig Luft auf „hatte ich Bock, dein Geschreibsel im Netz mal anzuklicken – und zu kommentieren …“
„DU hast diese hässlichen Kommentare geschrieben?! Ich fühle mich so … benutzt“, wispere ich mit zitternder Unterlippe, bevor meine Stimme ganz wegbricht.
„Du wirst wohl kaum einen Therapeuten finden, der dir das abnimmt: Co-Abhängigkeit von einer Erscheinung. Da werden die dich gleich fragen, mit wem du sonst noch so sprichst: Mit Jesus, deinem Freund Gott oder so … ICH bin dein HERR, dein MEISTER, Amen“, klingt es pastoral jenseits der Badezimmertür.
Ich könnte wetten, dass Marc-Uwe sich gerade bekreuzigt. Apropos Kreuz …
„Marc-Uwe“, flöte ich. „Ich bräuchte dringend ein Laxans - damit geht es hier sicher schneller. Würdest du bitte so lieb sein und mir was aus der Küche holen?“
„Was brauchste?“, Marc-Uwe klingt genervt.
„Liegt in dem braunen Tontopf, über der Spüle!“, rufe ich.
Eine Weile ist es still. Dann der erlösende, spitze Schrei …
Ich war mir nicht sicher, ob eine halb vertrocknete Knoblauchknolle ausreichen würde - scheint aber geklappt zu haben.
So. Wo war ich stehengeblieben?
„… und ich kauere seit Tagen ungewaschen hinter heruntergezogenen Jalousien über meinem Laptop und versuche, gefällige Texte zu schreiben …“