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geschrieben 2020 von Rebecca Iser (Rebecca Iser).
Veröffentlicht: 02.01.2021. Rubrik: Nachdenkliches


Wie ein Baum

Wie ein Baum

Tief verwurzelt, in der Erde, steht ein Baum. Annelie kann ihn von ihrem Fenster unter der Schräge aus sehen. Im Sommer ragen seine Äste hoch über ihr Haus hinaus und die Blätter luken in ihr Zimmerchen. Jedes Jahr stutzt ihre Mutter die Krone des Baums, damit er so wohlgeformt aussieht, wie all die anderen Bäume in der Nachbarschaft. Doch die Äste des Baums wachsen wie Wucher, immer dichter und reicher, stets zur Sonne hin. Das Besondere an dem Baum sind auch seine vielen Furchen und Rillen und Ringe, die ihn über die Jahre gezeichnet und ausgezeichnet haben. Der Baum steht standhaft und groß, gegen Sturm und Wind und sogar gegen Hagel und Schnee. Einmal fährt sogar ein Blitz mitten ins Herz des Baums, das gibt einen Knall, der Annelie und auch die halbe Stadt erschreckt. Danach ist der Baum eine Zeit lang karger, sieht mitgenommen aus und müde, aber mit der Zeit kommt der Frühling, kommt die Sonne, kommt Heilung und der Baum sprießt und wächst, wie eh und je und wird zum schönsten Baum der Straße. Annelie klettert manchmal heimlich bis zu den höchsten Ästen und schmückt den Baum mit Blumen. Sie findet Trost im Anblick seiner Krone und von oben sieht sie die Welt viel klarer, in all ihrer Schönheit. Und mit der Entfernung schrumpfen so manche ihrer Probleme, sodass sie manchmal über sich selbst lachen muss. Und egal wie viele Jahre vergehen, der Baum bleibt in sich ruhend, stetig und als Annelie schon selber einen Mann und einen eigenen Garten hat, denkt sie noch manches Mal zurück, an den Baum ihrer Kindheit. "Was der alles schon gesehen hat", denkt sie dann. "Sonne, Mond und Sterne. Menschen, allen Alters, ihr Leid, ihr Lachen, ihre Geschichten." "Vielleicht ist er deshalb so stabil und schön und reich an Ästen und Blättern", überlegt Annelie. Am nächsten Morgen beschließt sie zu ihrem Elternhaus zu fahren, um den Baum noch ein Mal zu bewundern. In jener Nacht setzen plötzlich die Wehen ein und sie fährt, mit ihrem Mann zusammen, schnell ins nahegelegene Krankenhaus, um dort einen Söhn zu gebären. Ein paar Stunden, nachdem dieser das Licht der Welt erblickt, schreibt ihm seine Mutter eine Karte, welche sie gedenkt, ihm an seinem 16. Geburtstag zu geben. Sie sitzt in Gedanken und Erinnerungen versunken im Bett des Krankenhauses und beginnt folgende Worte zu schreiben:
Mein lieber Sohn, mögest du das Leben, um dich herum, aufsaugen, es dich stärken lassen und so den heftigsten Stürmen und sogar Blitzen trotzen. Denn was dich schützen mag, in schweren Zeiten, sind deine Erfahrungen und deine Hoffnungen und Träume, die dich Richtung Himmel ziehen. Was dir aber ein Anker sein wird, sind deine Wurzeln und deine unvergleichliche Art zu wachsen, unabhängig davon, wer versucht dich auszubremsen oder den Anderen anzupassen. Bedenke immer, dass du verbunden bist, mit allem Leben und allem Schönen, um dich herum. Und vor Allem: Mögest du stolz sein, stark und standhaft. Wie ein Baum.

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