Veröffentlicht: 05.12.2020. Rubrik: Grusel und Horror
Blommsenfeld
Laufmannshausen war ein verschlafenes Nest. Wie geschaffen dafür, sich zurückzuziehen und an seinem nächsten Roman zu arbeiten. Bertram Blommsenfeld war von Anfang an von diesem Ort und dem Haus begeistert.
„Sie haben natürlich Internet und Telefon", hatte Herr Plack, der Vermieter, bei der Besichtigung gesagt. „Das Dorf sieht vielleicht etwas hinterwäldlerisch aus, aber im Haus haben Sie jeden modernen Komfort."
„Wunderbar", hatte Blommsenfeld gesagt, während er sich vorstellte, wie er am Schreibtisch vor dem Fenster in seinem Arbeitszimmer saß und seinen Blick ab und zu über den Wald am Horizont schweifen ließ.
„Ihr Name kommt mir übrigens bekannt vor", sinnierte der Vermieter.
„Ich bin Schriftsteller. Vielleicht haben Sie eines meiner Bücher gelesen."
Das Gesicht des Vermieters hellte sich auf. „Richtig, ja! Sie schreiben solche Horrorgeschichten, glaube ich. „Elviras Verschwinden", ist das eines Ihrer Bücher?"
Blommsenfeld nickte. Ausgerechnet das, dachte er, das schlechteste Buch, das ich je geschrieben habe.
„Ich habe es angefangen und konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen", erzählte der Vermieter eifrig. „Das war eine Meisterleistung!"
Blommsenfeld lächelte geschmeichelt. Vielleicht war das Buch doch nicht so schlecht, wie er geglaubt hatte.
Einen Monat später zog er ein. Sein Vermieter bekam als Dank dafür, dass es so schnell gegangen war, drei signierte Bücher: „Der Winter mit den kalten Nächten anno 1910", „Kein Krach in der Nacht" und „Sarahs Rassel" und bedankte sich überschwänglich.
„Schreiben Sie schon an einem neuen Buch?" wollte er wissen.
„In der Tat", antwortete Blommsenfeld. „Ich schreibe meistens zwei bis drei Bücher im Jahr. Im Prinzip schreibe ich also ständig."
„Nur Horrorgeschichten?"
„Hauptsächlich. Meine Leser warten darauf. Ab und zu schreibe ich mal einen Thriller oder Krimi, ohne Horror."
„Hat ihr neues Buch schon einen Titel?"
„Gewiss. Es heißt ,Großmutters Haus."
„Geht es um ein Spukhaus?"
Blommsenfeld lächelte. „Kann schon sein. Aber mehr wird nicht verraten."
An seinem ersten Samstag in der neuen Wohnung saß er in seinem Arbeitszimmer und ließ den Blick über den Wald schweifen, ganz, wie er es sich vorgestellt hatte. Es war bereits Herbst; die Blätter trugen leuchtende Farben, und die Sicht war um die Mittagszeit hell und klar. Er warf noch einen Blick auf die Pracht, dann machte er sich voll Elan an die Arbeit und schrieb ein paar Stunden durch.
Gegen fünf wurde es dunkel. Er stand auf, um das Licht einzuschalten. Dabei fiel ihm auf, dass die Temperatur im Zimmer leicht abgesunken war. Er runzelte die Stirn und drehte das Thermostat der Heizung höher. In diesem Moment klingelte sein Handy. Es war Jutta. Er ignorierte den Anruf und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Wann würde Jutta endlich einsehen, dass es aus war? Klipp und klar hatte er ihr gesagt, dass er die Scheidung wollte. Sie sollte sich damit abfinden. Er wollte sich wieder auf seine Arbeit konzentrieren, doch Juttas Gesicht spukte nun vor seinen Augen herum, wie sie sie damals getobt und gedroht hatte, niemals in die Scheidung einwilligen, und was noch viel ärgerlicher war: Im Zimmer wurde es erheblich kühl. Die Heizung war wohl doch kaputt. Er rief seinen Vermieter über das Festnetztelefon an.
„Das kann nicht sein", bekam er von ihm zu zu hören. „Ich lasse die Heizung regelmäßig warten. Der Techniker war erst letzte Woche da."
„Aber es ist kalt", beschwerte sich Blommsenfeld. „Ich habe die Heizung bereits vor einer Stunde höhergedreht, doch es ist kein Grad wärmer geworden, und die Heizung fühlt sich eiskalt an."
„Das tut mir leid, Herr Blommsenfeld. Leider bekomme ich Samstagabend sicher keinen Techniker mehr ans Telefon, der nachschauen könnte, was los ist. Vor Montag ist da wohl nichts zu machen. Haben Sie einen elektrischen Heizlüfter?"
„Nein", knurrte Blommsenfeld gereizt. „Ich bin davon ausgegangen, dass die Heizung hier funktioniert. Sie hatten schließlich jeden modernen Komfort garantiert."
„Natürlich, darauf haben Sie auch ein Recht. Wissen Sie was? Ich bringe Ihnen meinen Heizlüfter vorbei. Dann brauchen Sie wenigstens bis Montag nicht zu frieren. Sonst geht es Ihnen noch so wie Ihrem Held in „Kein Krach in der Nacht", Plack lachte laut.
Blommsenfeld verkniff es sich, „sehr witzig" zu sagen. „Vielen Dank", sagte er so unfreundlich, wie er nur konnte. „Kein Krach in der Nacht" handelte von einem Mann, der in einem Eisblock festfror und unbemerkt von der Umwelt auf einem Transportschiff landete.
Plack entging die feine Nuance in seiner Stimme. Mit den Worten: „Gerne, ich bin gleich da!" legte er auf.
Eine halbe Stunde später war der Vermieter da, trug einen Heizlüfter ins Wohnzimmer und begutachtete die Heizung in allen Räumen. „Das kann ich mir nicht erklären", sagte er. „Aber es wird direkt Montagmorgen in Ordnung gebracht. Sonst funktioniert aber alles? Strom, Wasser, Telefon?"
Blommsenfeld antwortete mit einem einsilbigen „Ja", bedankte sich für den Heizlüfter und war froh, als Plack sich nach einer Viertelstunde wieder verabschiedete. Jetzt war es erst einmal Zeit fürs Abendessen. Spiegeleier wären nicht schlecht. Er stellte die Pfanne auf den Herd, gab ein Stück Margarine hinein, wartete ab, bis das Fett brutzelte, und schlug zwei Eier auf.
In diesem Moment ging das Licht aus, und Blommsenfeld schrie gereizt auf.
„Was ist denn jetzt schon wieder los, verfluchter Mist?"
Wenig später hatte er festgestellt, dass es im ganzen Haus keinen Strom mehr gab. Zornig kramte er ein paar Kerzen und Streichhölzer hervor. Die kleine Taschenlampe, die er während des Umzugs benutzt hatte, war nicht aufzufinden. Er griff nach seinem Handy.
„Herr Plack, jetzt ist auch noch der Strom weg", er konnte seine Wut in der Stimme kaum verhehlen, „können Sie mir mal erklären, warum in diesem verfluchten Haus nichts funktioniert?"
Die Stimme des Vermieters klang ziemlich weit weg. „Was? Das ist ja noch nie passiert ..ist vielleicht die Sicherung rausgeflogen?"
„Keine Ahnung", knurrte Blommsenfeld. An den Sicherungskasten hatte er nicht gedacht. „Warten Sie mal, ich schaue nach." Er legte das Handy auf den Tisch, ging mit einer Kerze zum Sicherungskasten und leuchtete hinein. Alle Sicherungen waren intakt.
Doch als er den Vermieter darüber informieren wollte, stellte er fest, dass das Akku des Handys leer war. „Auch das noch!" Er schlug mit der Hand auf die Tischplatte. „Verdammte Scheiße!"
„Du solltest weniger jähzornig sein", sagte eine sanfte Stimme hinter ihm, unverkennbar weiblich, und Blommsenfeld wandte sich verblüfft um. Niemand war zu sehen. „Jutta?" Aber das war Unsinn; Jutta wusste nicht einmal, wo er jetzt wohnte. Und die Haustür hatte er doch abgeschlossen? Dann fiel ihm ein, dass er sie möglicherweise offengelassen hatte, als Plack gegangen war.
„Willst du mich nicht begrüßen?" fragte die Stimme.
„Mich auch, mich auch", echote es auf einmal, und wie von Geisterhand erschienen einige Gesichter an der Wand, als habe jemand mit einem Projektor Bilder dieser Gesichter an die Wand geworfen und beleuchtet. Es waren keine freundlichen Gesichter. Alle blickten ihn finster an. Unwillkürlich wich Blommsenfeld einen Schritt zurück. Ein Gesicht unterschied sich von den anderen: Es sah aus, als sei es in einem Eisblock festgefroren.
„Das hast du mir angetan", sagte eine männliche Stimme anklagend. „Wie konntest du nur!"
Auf diese Worte hin erhob sich ein düsteres Gemurmel von allen Seiten. „Du bist schuld", „Warum hast du das getan", „Wir werden dir keine Ruhe lassen", verstand er.
Ungläubig starrte Blommsenfeld auf die Wand. Das konnte doch nur eine Schnapsidee von seinem Vermieter sein. Offenbar war Plack ein solcher Fan seiner Horrorgeschichten, dass er ihm seine erfundenen Figuren präsentieren wollte, entweder mit dem dezenten Hinweis, dass seine Figuren unter ihrem, von Blommsenfeld erfundenen Schicksal leiden würden, oder mit dem Hintergedanken, dass der erfolgreiche Horrorschriftsteller sich vor Angst in die Hose machen würde. Und noch etwas war glasklar: Plack hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank. Wie kam ein normaler Mensch sonst auf so eine blöde Idee? Jedenfalls würde er jetzt zu Plack gehen und ihm gewaltig die Meinung sagen. Er stürzte zur Haustür und stellte fest, dass sie verschlossen war und kein Schlüssel steckte. Automatisch fuhr seine Hand in die Hosentasche. Kein Schlüssel zu finden. Auch in der Hosentasche auf der anderen Seite nicht.
„Suchst du das hier?" fragte eine helle Stimme. Gleichzeitig ging das Licht an. Blommsenfeld sah eine junge blonde Frau vor sich, die ihm eine Rassel hinhielt.
„Wer sind Sie? Wie kommen Sie hier herein?" Die Frage war natürlich müßig. Sicherlich hatte Plack für seine Inszenierung auch eine Schauspielerin angeheuert. Wenn er den Typen in die Finger bekam...
„Ich bin Sarah. Erkennst du mich nicht?" Obwohl die Frau direkt neben ihm stand, klang die Stimme weit weg. Nach ihren Worten ging das Licht wieder aus.
„Ich bin Sarah", fuhr die Stimme fort. „Sarah, die keine Kinder bekommen kann. Du hast dafür gesorgt. Allein du hast mich so unglücklich gemacht, dass ich die Familie meines Mannes ausgelöscht habe." Sie brach ab, und ein lautes Weinen war zu hören.
„Ich weiß", knurrte Blommsenfeld finster. „Was hat Plack Ihnen für den Auftritt bezahlt?"
Als Antwort bekam er ein herzerreißendes Weinen zu hören.
„Es reicht!", brüllte Blommsenfeld. „Plack, wenn Sie diese lächerliche Aufführung nicht auf der Stelle beenden, können Sie was erleben! Eine Anzeige ist das Mindeste! "
Das Weinen brach ab. Auf einmal herrschte eine gespenstische Stille.
Nach einer Minute ging das Licht an. Sarah bzw. die Schauspielerin war verschwunden. Auch die Gesichter an den Wänden.
Das Festnetztelefon klingelte. Blommsenfeld riß den Hörer hoch. „Jetzt reicht es, Plack! Ich weiß nicht, was Sie sich bei dieser Show gedacht haben, aber ich werde sofort wieder ausziehen! Sie sind ja nicht ganz richtig im Kopf.. "
„Hier spricht Polizeikommissar Hinrichs", wurde er von einer ruhigen Stimme unterbrochen. „Sind Sie der Mieter von Herrn Plack? Wir haben Ihre Telefonnummer in seinem Adressbuch gefunden. Herr Plack wird seit zwei Tagen vermisst. Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?"
Blommsenfeld schnaubte verächtlich. „Ich sagte, jetzt ist Schluss mit den Spielchen, Plack! Lassen Sie mich in Ruhe!" Wütend warf er den Hörer auf die Gabel. Der Typ war ja noch kranker, als er gedacht hatte.
Zwanzig Minuten später wurde an der Tür geklingelt. Blommsenfeld schaute nach draußen: Zwei Polizisten standen vor der Tür. Oder, besser gesagt: zwei Schauspieler im Polizistenkostüm. Nun, er würde sicher nicht aufmachen. Geflissentlich ignorierte er weiteres Klopfen und Klingeln, bis die angeblichen Polizisten unverrichteter Dinge wieder abzogen. Aber dieser Auftritt hatte ihn an etwas erinnert: Wo war der verfluchte Haustürschlüssel?
„Ich habe ihn", sagte eine Stimme mit spanischem Akzent. Niemand war zu sehen. Verwirrt schaute Blommsenfeld sich um und konstatierte, dass der Schlüssel auf der Kommode vor der Garderobe lag.
„Du kannst ihn wieder haben", sagte die Stimme. Blommsenfeld schüttelte den Kopf. Das sollte wohl Elvira sein, die Verschwundene aus einem seiner Bücher. Sie war gebürtige Spanierin. Wie hatte Plack das jetzt schon wieder gemacht? Egal. Wenn der Typ einen Krieg wollte, sollte er ihn haben.
Drei Monate später
„Liebe Jutta,
ich hoffe, du wirst bald in die Scheidung einwilligen. Ich habe nämlich vor, wieder zu heiraten - vielleicht kennst du sie sogar. Es ist Sarah, die aus meinem Buch, Sarahs Rassel. Du erinnerst dich sicher an das Buch. Sarah kam mich besuchen und wir kamen uns näher. Ich bin sehr glücklich, und bitte, steh meinem Glück nicht im Wege.
Gruss Bertram."
Sorgfältig steckte Blommsenfeld den Brief in einen Umschlag. Später würde er ihn Karl geben, damit er ihn zur Post brachte, auch wenn er noch nicht wirklich herausgefunden hatte, was Karl eigentlich in seinem Hause machte. Aber er kümmerte sich um alles, was man ihm auftrug, und selbst konnte Blommsenfeld nicht gehen. Die Haustür war immer noch verschlossen, der Schlüssel, den Elvira damals auf die Kommode gelegt hatte, passte nicht. Und bei den ganzen Gestalten, die seit der Sache mit Plack in seinem Haus herumliefen, kam es auf einen mehr - wie Karl - wirklich nicht an.