Veröffentlicht: 21.07.2020. Rubrik: Menschliches
Der Beobachter
Du bewegst dich durch die dichtgedrängte Menschenmasse des Volksfestes. Du schaust einen Film in einem vollen Kinosaal. Du sitzt in der Altstadt, umringt von schwatzenden und lachenden Menschen. Du bist zwar sehr oft alleine, aber niemals einsam.
Du lauscht gern fremden Diskussionen. Du fühlst dich manchmal wie ein Anthropologe, der die Menschen beobachtet und bewertet. Du bist oft fasziniert, wie unbeschwert sie miteinander kommunizieren. Es erschreckt dich aber auch manchmal, wie rücksichtslos sie miteinander und mit anderen umgehen.
Oft inspiriert dich ihr Verhalten zum Schreiben. Du versuchst dich dann in diese Menschen hinein zu versetzen, ihren Hintergrund zu verstehen. Du lebst dann kurz ihr Leben. Du vergießt Tränen über ihr Schicksal. Du erlebst ihre Freuden.
Zu einigen Wenigen hast du zwischendurch auch Kontakt. Du interagierst mit ihnen. Zumindest versuchst du das. Um dich mit ihnen zu unterhalten, hast du diverse Floskeln erlernt. Du hältst dich auf dem Laufenden über das, was sie begeistert: Sport, Mode, Filme, Politik oder Boulevard.
Du versuchst auch ihre Faszination für diese Themen zu verstehen, aber das gelingt dir ganz selten. Trotzdem hast du mittlerweile gelernt, Interesse für den Sieg der Nationalelf oder die Hochzeit eines Prinzen zu heucheln.
Doch du merkst, dass dir der direkte Kontakt zu ihnen immer schwerer fällt. Deshalb beginnst auch du dich immer öfter in deine eigenen vier Wände zurück zu ziehen. So wie es viele andere Menschen auch tun, die dem Treiben ihrer Mitmenschen dort draußen aus dem Weg gehen. Und dann begreifst auch du, dass du im tiefsten Inneren deines Herzens einsam bist.