Veröffentlicht: 16.07.2020. Rubrik: Unsortiert
Wegweisheiten
Mit der längsten internationalen Tramlinie Europas durch 3 Kantone und 2 Länder nach Rodersdorf zu fahren will gut geplant sein. Es ist mir schon mal aufgefallen, dass ich eigentlich schneller am HB Zürich bin. Aber wenn man die Haustüre im Kleinbasel um 8 Uhr verlässt, ein Tram knapp verpasst, ein weiteres wegen Defekt ausfällt, und 80% sowieso nur bis Ettingen und Flüh fahren, dann schafft man es sogar zu spät zu einem Bewerbungsgespräch um 10 Uhr zu kommen. Sofern man dann schlicht auch noch vergessen hat eine Maske mitzunehmen, kann dies zu einem sozialen Spiessrutenlauf werden, bringt einem aber neben einigem Zischen, Tuscheln und bösen Blicken erstaunlicherweise auch ein paar Daumenhochs ein.
Wie auch immer, wenn man eine halbe Stunde am Bahnhöfli Ettingen sitzt und die Zeit und allfällige Anstellungschancen vor einem verrinnen, hat man mal die Musse zu schauen was sich an der “Station Ettingen“, wie es jetzt offiziell heisst (ausgesprochen “Stäischn“?) geändert hat, seit man vor knapp 20 Jahren aus dem Heimatdorf weggezogen wurde.
Eigentlich beruhigend wenig. Eine Buslinie haben wir, wenn ich das noch sagen darf, jetzt auch. Eröffnet eine Woche nach dem meine Kindheit abgerissen wurde. Die Busstation Oberdorf befindet sich grad neben unserem damaligen Haus, auf dem steilen Hügel den ich jeden Tag erklimmen musste, wovon meine Kondition wohl noch heute zehrt. Die armen Kinder die dort heute aufwachsen sind zu Müssiggang und Verfettung verdammt!
Und dann fiel er mir erstmals auf. Beim neuen Buswartehäuschen hatte es einen Wegweiser wie ich noch nie gesehen habe, und der mir ganz unvermittelt grundsätzlichste Lebensfragen aufwarf. Ich mag Wegweiser. Sie sind meist –selbst ungefragt- hilfreich, ruhig, unaufdringlich, standfest, lokal verwurzelt und erwarten nicht mal Dank. Doch dieser war anders.
Welche Anmassung, selbst nicht helfen zu wollen, aber zu sagen wo man Hilfe suchen solle! Und überhaupt, wo soll das enden? Gibt es dann auch einen Wegweiser, der einen den Weg zum Wegweiser weist, der ja anscheinend davon überzeugt ist einem den Standort der Wegweiser korrekt zu weisen? Und auf diesen verweist dann wiederum ein noch selbstgerechterer Wegweiser, der meint seine Existenzberechtigung bestünde darin ausschliesslich auf den Wegweiser zu verweisen, der einem eben den Weg zu jenem unten abgebildeten Wegweiser weist, der einem den Standort der Wegweiser anzugeben vorgibt?
Während ich diese Gedanken einigermassen empört mit mir trug, beschlich mich unvermittelt ein ganz schrecklicher Gedanke. Sind Wegweiser vielleicht grundsätzlich gar keine Menschenfreunde? Ist ihre vorgebliche freundliche Hilfsbereitschaft vielleicht nur dem Wunsche entsprungen, dass sich alles Menschliche nur schnell von ihnen fortbewegen solle, möglichst zum nächsten Wegweiser (weil die sich auch untereinander nicht mögen)?
Dass diese falschen Freunde, die mir all die Jahre mit vermeintlich gut gemeintem Ratschlag stets hilfreich zur Seite standen, mich gar niemals mochten? Ja dass ich die Essenz ihrer Existenz, die grundsätzliche Bedeutung ihrer Eigenbezeichnung, stets falsch verstanden habe. Dass diese Gesellen mir niemals gut gemeint den Weg weisen wollten, sondern dass sie mich einfach möglichst schnell WEGWEISEN wollten, und sei es auch nur zum nächsten Wegweiser, ist ihnen meine Gegenwart doch so unerträglich. Welch ein Hohn, dann auch noch einen “Standort“ zu versprechen, besteht doch ihre ganze Intention darin dass man möglichst schnell weitergeht. Und ausserdem…
In dem Moment kam das Tram nach Rodersdorf. Ich befürchte ich hab den Job.