Veröffentlicht: 09.07.2020. Rubrik: Menschliches
Die Praktikantin
Als der Kollege ins Büro kam, saß die neue Praktikantin bei der Kollegin aus der Buchhaltung am Schreibtisch. Die Kollegin erklärte ihr gerade die Arbeitsabfolge und sie hörte ihr aufmerksam zu. Dann ging die Kollegin in die Teeküche. Er gesellte sich zur Praktikantin und fragte: „Na, hast du dich schon eingelebt?“ Sie nickte und berichtete was die Kollegin ihr gerade erklärte. Währenddessen glitt sein Blick von ihrem Kopf, mit dem hochgesteckten Haar und den langen Wimpern, runter über ihr geblümtes Kleid, bis zum Saumen ihres knielangen Rockes. Dann wieder nach oben. „Weißt du“, sagte er „ich glaube, du wirst es weit bringen.“
„Wieso meinst du das?“, fragte sie.
„Hübsche Frauen werden immer gerne in der Chefetage gesehen.“
Sie schwieg einen Moment und entgegnete dann: „Falls das ein Kompliment war, Danke.“
„Ich meine das ernst. Du solltest das nutzen. Bei deinem Anblick wird so manch ein Mann schwach werden. Und ich glaube, dass du gerade das richtige Alter hast, um Männern den Kopf zu verdrehen.“
Bevor sie noch etwas entgegnen konnte, kam die Kollegin mit einem Tee wieder.
„Ich lass euch mal weiter machen“, sagte er und ging.
Die Kollegin setzte sich und startete das Rechnungsprogramm. Während der Rechner das Programm öffnete, sah sie zur Praktikantin.
„Alles okay?“, fragte sie.
„Ja, warum?“
„Du bist plötzlich so still.“
„Hm, ich habe nur nachgedacht.“
In der Mittagspause ging die Praktikantin zur Kaffeemaschine. Sie machte einen Cappuccino und einen Kaffee mit etwas Zucker. Dann balancierte sie die Tassen in das Büro des Chefs. Dieser blickte nur kurz von seinen Unterlagen auf und las dann weiter. Sie stellte den Kaffee auf den Tisch und behielt den Cappuccino in der Hand. Während sie kurz daran nippte, betrachtete sie den Chef. Er war ein schlanker, großer Mann, der auf die fünfzig zu ging.
„Danke“, sagte er und sah sie nur kurz an. „Ist noch etwas?“
„Nein, was sollte sein?“
„Du guckst so, als wollest du etwas.“
Sie zögerte kurz, dann erzählte die knapp: „Ein Kollege meinte, ich sehe gut aus und solle mich zum Chef hoch schlafen.“
Perplex sah er sie an und fragte: „Echt?“
„Naja, nicht so im Wortlaut.“
„Wer war das?“
„Ist doch egal“, meinte sie leichthin.
„Das finde ich nicht“, entgegnete er ernst. „Ich würde ihn gerne dafür rügen.“
Sie nahm einen Schluck vom Cappuccino und erwiderte ein knappes: „Nein.“
Nachdenklich betrachtete er sie und zog die Kaffeetasse zu sich hin.
„Soll er uns dann dabei ertappen, wie du auf meinem Schoß sitzt?“
„Oh, Papa!“, empörte sie sich lachend.
„Nein wirklich, das sollten wir nicht so stehen lassen!“