Veröffentlicht: 06.04.2020. Rubrik: Spannung
Kommissar Kuhlmann und der Neffe des Millionärs
Vorwort: Vor längerer Zeit hatte ich hier eine Geschichte namens „Das Alibi“ gepostet, die keinen Anklang fand, weswegen ich sie später wieder löschte. Der Kommissar jener Story war noch namenlos. Inzwischen habe ich die Figur des Kommissars Kuhlmann erfunden. Da mir die Pointe des alten Textes weiterhin zusagt, habe ich ihn jetzt – mit kleinen Änderungen – auf Kuhlmann bezogen.
Kommissar Kuhlmann war sich sicher, den Mörder des Millionärs geschnappt zu haben. Es konnte nur dessen Neffe gewesen sein. Erstens hatte der Neffe ein Motiv – der Onkel hatte ihn enterben wollen –, und zweitens war ein Nachbar des Getöteten sich sicher, den jungen Mann am Mittwochabend der Karwoche in unmittelbarer Nähe des Hauses gesehen zu haben. Am darauffolgenden Morgen war der alleinstehende Senior dann von der Putzfrau tot aufgefunden worden. Erschossen.
Der Festgenommene jedoch stritt alles ab und präsentierte ein Alibi. Er habe den gesamten Abend bis Mitternacht mit zwei Freunden in der Wohnung des einen verbracht. Beide bestätigten alle seine Angaben bis ins kleinste.
„Alle drei gehören einer Laienspielgruppe an“, knurrte der Kommissar, als er mit seinen beiden Assistenten den Fall besprach, „und können sich daher gut Texte merken. Sie werden sich genau abgesprochen haben, und der Kerl hat jedem seiner beiden Kumpels für das Alibi ein hübsches Sümmchen aus dem Millionenerbe in Aussicht gestellt. Aber auch der schlaueste Täter macht Fehler. Ich werde mir das Vernehmungsprotokoll jetzt noch einmal Wort für Wort durchlesen. Irgendwo muss ein Haken sein. Wenn wir nur eine Lüge entdecken, können wir davon ausgehen, dass alles andere ebenfalls nicht stimmt.“
Seine beiden Assistenten schauten ihn gespannt an. Sie waren es gewohnt, dass ihr Chef, der sowohl über eine langjährige Berufserfahrung als auch über eine breitgefächerte Allgemeinbildung verfügte, mit seinen Vermutungen richtig lag. Während sie sich wieder ihren Akten widmeten, vertiefte Kuhlmann sich in das Protokoll.
Plötzlich stieß er ein Triumphgebrüll aus. „Wir haben ihn!“ Genüsslich las er seinen Assistenten eine Stelle des vor ihm liegenden Textes vor: „Kurz nach Mitternacht fuhr ich dann durch die klare Nacht nach Hause. Es war stockdunkel, und ich nahm den kürzesten Weg, weil ich nachts nicht gern Auto fahre.“
Die beiden guckten etwas ratlos, scheuten sich jedoch, ihre Ahnungslosigkeit zuzugeben. Schließlich wagte der eine es doch. „Wo liegt denn darin der Haken, Chef?“
Mit breitem Grinsen antwortete der Kommissar: „Denkt mal an das Konzil von Nicäa.“
Die Gesichter seiner Assistenten waren ein einziges großes Fragezeichen. Nach einer Minute erbarmte Kommissar Kuhlmann sich und klärte sie auf:
„Auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 wurde als Osterdatum der erste Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond festgelegt. Der Mord geschah in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in der Karwoche, also der Woche vor Ostern. In der Mitte einer Vollmondwoche kann es bei klarer Nacht unmöglich stockdunkel sein.“