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6xhab ich gern gelesen
geschrieben 2019 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 12.09.2019. Rubrik: Spannung


Die grüne Perle

Niemand im Pflegeheim wunderte sich, als der 95-jährige Hans Schulze eines Tages tot in seinem Bett lag. Schon seit über einem Jahr war er nur noch von Maschinen am Leben gehalten worden.

Angehörige gab es nicht mehr. Der Betreuer des Verstorbenen wurde informiert und kümmerte sich um alles. Sofort nach der Abholung des Leichnams durch den Bestatter musste das Zimmer ausgeräumt und für den nächsten Anwärter auf der Warteliste hergerichtet werden.

Als die Pflegerin Karina sich in dem bereits geleerten Zimmer umsah, entdeckte sie in einer Ecke eine kleine grüne Perle. Verwundert hob sie sie auf. Billiger Modeschmuck, offenbar von einer Halskette abgefallen.

Die Perle war wertlos, aber Karina warf sie nicht in den Müll. Vielmehr ging sie damit zur Heimchefin. „Frau Lehmann, diese Perle fand ich in Herrn Schulzes Zimmer. Ich kenne niemanden hier im Heim, der eine Halskette mit solchen grünen Perlen trägt. Besuch bekam Herr Schulze aber auch nicht, abgesehen von seinem Betreuer. Könnte es sein, dass irgendeine Frau heimlich in sein Zimmer gekommen ist und ihn getötet hat?“

Frau Lehmann runzelte die Stirn. „Der Arzt hat doch einen natürlichen Tod festgestellt.“

„Stimmt. Aber es gibt schließlich Tötungsmethoden, die bei einer normalen Leichenschau nicht entdeckt werden. Wenn die Frau medizinisch ausgebildet war…“

Die Chefin war noch immer skeptisch. „Und was für ein Motiv soll sie gehabt haben? Herr Schulze hatte nichts zu vererben.“

„Vielleicht war es eine Tötung aus Mitleid.“

„Aber auch dann müsste die Frau in irgendeiner Beziehung zu Herrn Schulze gestanden haben. Und er hat doch nie Besuch von einer Dame bekommen. Ehrlich gesagt glaube ich nicht an einen Kriminalfall. Vielleicht ist die Perle durch den Wischmopp einer Putzfrau ins Zimmer gelangt.“

„Möglich“, sagte Karina, „aber ich behalte sie vorsichtshalber.“

*

Drei Tage später stand Karina in der Schlange vor der Kasse im Supermarkt, als ihr plötzlich fast der Atem aussetzte. Die Kundin vor ihr trug eine Halskette aus grünen Perlen, von denen eine fehlte!

Instinktiv entschied Karina sich zu schnellem Handeln. Das Portemonnaie, in das sie die Perle gelegt hatte, hielt sie sowieso schon in der Hand. Sie nahm sie heraus und sprach die Fremde an: „Entschuldigen Sie, haben Sie diese Perle verloren?“

Mit großen Augen starrte die Frau mittleren Alters zunächst die Perle und dann Karina an. „Oh, danke! Merkwürdig, vor drei Tagen habe ich schon einmal eine Perle verloren. Das ist dann schon die zweite.“

Karina nahm all ihren Mut zusammen. „Nein, das ist die, die Sie vor drei Tagen verloren haben. Im Pflegeheim.“

„Äh… können wir nach dem Bezahlen weiterreden?“ Die Frau, die bereits ihre Waren auf das Band gelegt hatte, zückte ihr Portemonnaie, bezahlte an der Kasse und packte die Waren ein. Als Karina an der Reihe war und nach dem Bezahlen wieder aufblickte, war die Fremde verschwunden.

Karina nahm ihr Handy, rief ihre Chefin an und schilderte ihr die Begegnung. „Frau Lehmann“, schloss sie, „es muss ein Kriminalfall sein!“

„Hm, vielleicht haben Sie tatsächlich recht… Da fällt mir etwas ein. Erinnern Sie sich, ob die Frau Muttermale im Gesicht hatte?“

„Ja, hatte sie! Zwei oder drei!“

Die Chefin seufzte. „Dann könnte ich mir denken, wer es ist…“

*

„Es ist wirklich traurig“, sagten die Pflegekräfte, als sie einige Tage später in der Pause zusammensaßen. „Frau Winter fragt jeden Tag, warum ihre Tochter sie nicht besucht. Noch sagen wir ihr ja immer, dass sie im Krankenhaus viele Überstunden machen müsse…“

Eine Auszubildende, die gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt war, fragte verwundert: „Worum geht es?“

„Ach ja, du hast es ja nicht mitbekommen. Frau Winter ist die neue Bewohnerin, die vor einer Woche eingezogen ist, nachdem Herr Schulze gestorben war. Es hat sich herausgestellt, dass er von der Tochter von Frau Winter getötet wurde. Die Tochter ist Krankenschwester und wusste durch eine Bekannte hier im Heim, dass er nur noch dahinvegetierte. Und da ihre Mutter seit Jahren auf einen Pflegeplatz wartete und auf der Warteliste schon an oberster Stelle stand, hat sie sich in Herrn Schulzes Zimmer geschlichen und ihm Luft in die Vene gespritzt. Jetzt sitzt sie in U-Haft. Aufgefallen ist sie nur durch eine grüne Perle…“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Noxlupus am 12.09.2019:

Ich habe es gern gelesen, drum will ich mich hier verewigen :-) LG

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