Veröffentlicht: 24.07.2020. Rubrik: Nachdenkliches
Realität Konvaleszenz 4.1
Mir geht es gut, wirklich. Die Therapie dauerte fast ein halbes Jahr und es half, dass ich in einer Einrichtung untergebracht war, weg von meiner Wohnung. Raus aus allem was mich runterzog.
Ich atme die noch kühle Luft des frühen Morgens ein. Ich sitze auf einer Bank und schaue über den Talkessel zu dem gegenüberliegenden Waldrand. Hinter den ersten zartgrün, austreibenden Bäumen erhebt sich die Sonne. Tiefes Orange erleuchtet den Himmel. Es ist nur eine Farbe.
Als das Farbenspiel am Himmel der intensiven Helligkeit des Tages weicht, erhebe ich mich und gehe auf meine Station zurück. Meine Sachen sind schon seit gestern gepackt und ich warte in meinem Zimmer, bis ich zur Entlassung gerufen werde.
„Herr Mertens, kommen sie bitte? Lassen sie ihre Sachen ruhig noch hier stehen.“
Ich folge der Schwester, die mich zu der Therapeutin bringt. Sie klopft an der Tür des Behandlungszimmer, welches ich in dem halben Jahr so oft besucht habe.
„Frau Dr. Volmer? Herr Mertens ist hier.“
„Herr Mertens, heute ist es also soweit. Wie geht es ihnen?“
„Gut, danke.“
„Besprochen haben wir alles, mir bleibt nur ihnen viel Erfolg zu wünschen. Sollten sie das Bedürfnis verspüren, rufen sie mich an, jederzeit.“
„Frau Doktor, ich danke ihnen für die Hilfe und die Unterstützung die ich hier erfahren habe. Ich denke diesmal bin ich gut vorbereitet.“
Wir sehen einander in die Augen, eine Zeitlang.
„Ja, sind sie. Das schaffen sie. Einige Kleinigkeiten noch. Sie gehen dreimal die Woche zu ihrem Therapeuten. Nach vier Wochen beurteilen wir die Notwendigkeit erneut.“
Sie sucht meine Bestätigung, ich nicke.
„Sie nehmen ihre Medikamente. Für den Notfall haben sie meine Nummer.“
Wieder eine Kunstpause. Ich nicke erneut.
„Wissen sie, wie sie zurück nach Hause kommen?“
„Ich rufe mir ein Taxi zum Bahnhof, ich komme schon klar.“
„Natürlich. Leben sie wohl, Herr Mertens.“
„Leben sie wohl Frau Doktor.“
Sie schaut mir nach. Ich kann es fühlen, obwohl ich ihr den Rücken zugedreht habe.
Der Zug wird die Feuerprobe für mich. Das weiß sie und das weiß ich. Noch bevor ich die Anstaltstür erreicht habe, habe ich mir das Taxi bestellt.
*
Sie lächelt mich an. Gar nicht schlecht, für einen Psycho. Also lächele ich zurück. Dreizehn Tage sind seit meiner Rückkehr in die Normalenwelt vergangen. Dreizehn Tage ohne einen Rückfall und jetzt flirte ich sogar. Ich bin in einem Café und frühstücke. Der Kaffee verfehlt seine Wirkung nicht und gibt mir zusätzliche Sicherheit. „Möchten sie noch etwas?“
Eigentlich ist hier Selbstbedienung. Aber sie hat den Nachbartisch abgeräumt und war eben in der Nähe, lächelnd.
„Nein danke. Sehr aufmerksam.“
„Einfach rufen, wenn etwas fehlt.“
„Es würde helfen, wenn ich sie mit ihrem Namen rufen könnte.“
„Ellen, ich heiße Ellen.“
„Hallo Ellen, ich bin Laurent.“
„Hallo Laurent.“
Sie wartet. Ich fasse einen Entschluss.
„Ellen, hast du einen Kuli für mich?“
Während sie den Kuli von ihrem Blusenausschnitt fischt, nehme ich eine Papier-servierte. Ich nehme den Kuli aus ihrer schlanken Hand und schreibe meinen Namen und die Handynummer auf die Servierte.
„Danke schön.“
Einen Augenblick zögert sie, bevor sie beides an sich nimmt. Ich blicke ihr noch bis zum Tresen nach. Den Rest Kaffee trinke ich stehend und verlasse das Café. Kurz hinter der Ladentür spüre ich wie das Handy vibriert.
to be continued