Veröffentlicht: 20.10.2018. Rubrik: Nachdenkliches
Der Flug
Rene blickte zum Horizont. Der Wald zog sich in immer dunkler werdenden Grün bis zu einer nicht genau zu bestimmenden Linie, wo er sich mit dem dunklen Blau des Himmels vermischte. Insekten schwebten im Schein der verblassenden Sonne. Vögel wetteiferten miteinander, ihr letztes Lied dem schwindenden Licht darzubieten. Mit der aufziehenden Dämmerung hatte sich der leichte Wind, der den letzten Tag begleitete, ergeben und erstarb. Es wurde kühler und Rene fröstelte. Es roch nach Tannen und dunklem Waldboden. Der warme Fels, auf den er gestiegen war, erhob sich dreißig Meter über die Welt. Er war allein gegangen. Es war seine Welt und seine Zeit und die wollte er mit niemand teilen.
Der einstige Lichtträger, der das himmlische Feuer auf die Erde gebracht hatte, war zurückgekehrt. Doch er war verbannt aus den Himmeln und sein Licht war nicht länger himmlisch.
Sie entfesselten ein Feuer, das sie nicht mehr löschen konnten.
Ein Vogel schwang sich in die Dämmerung, in die kostbare Luft. Rene nahm sie in sich auf, gleich einem festlichen Akt. Sie wurde zu einem Teil von ihm. Und als er sie wieder freigab, nahm sein Atem ein Stück seiner Seele mit sich. Es wurde still. Alle Laute verstummten, um einem fernes Brausen zu weichen. Es raste heran. Er schmeckte das Salz seiner Tränen. Rene fing an zu laufen. Sein Blick wich nicht einen Augenblick von dem Vogel, dem er folgte. Immer schneller lief er.
Und sprang.
Die Arme dem letzten Vogel entgegengestreckt, sprang er.
Und fiel.
Tief.
Zu langsam.
Das Feuer der Hölle kam über ihn. Es riss ihm die Luft aus den Lungen. Verbrannte seinen Schrei, verbrannte seine Tränen und verbrannte die letzte Erinnerung seiner Welt, sekundenschnell.
Das Feuer war so heiß, das es selbst die Atome verbrannte und zu etwas Totem verschmolz.
In ihrem grenzenlos egoistischen Wahn hatten sie das Wertvollste, das sie besaßen dem Götzen Fortschritt geopfert.
Ihre Zukunft.