Veröffentlicht: 18.10.2022. Rubrik: Persönliches
Es muss nicht immer Kaviar sein
Es war einmal ein Tag im Mai anno 1975. An jenem Tag sollte ich das erste Mal mit dieser, zunächst nichts Gutes verheißenden Mahlzeit in Berührung kommen. Ich gebe unumwunden zu, nicht alles Essbare wandert automatisch in meinen Verdauungstrakt, mäkelig bin ich aber ebenso wenig. In diesem zu beschreibenden Falle blieb mir keine Wahl, die Umstände zwangen mich zum Handeln und das unter dem Ausdruck innigsten Wohlgefallens.
Man stelle sich folgende Situation vor:
Der erste Besuch bei den zukünftigen Schwiegereltern stand bevor. Aufregung pur, die hinter mir liegende Nacht war die Hölle, nicht etwa weil Träume es waren, die mich in den Schweiß brachten, nein Fragen über Fragen durchliefen mein Gehirn. Was nehme ich als der Situation angemessenes Einstiegsgeschenk mit, womit lege ich eine Punktlandung hin? Ein Blumenstrauß und eine Flasche Weinbrand übernahmen die Aufgabe, das Eis zu brechen. Um es vorwegzunehmen, es hat geklappt und das lag dann doch nicht an den Mitbringseln.
Jetzt die Schuhe geputzt, den besten Pullover übergestreift, rein in den Mantel und ab in den DKW F8. Gestern für 10 Mark getankt, hoffentlich reicht der Sprit, mehr war nicht drin.
Eine Stunde später, die Kirchturmuhr meiner anvisierten Stadt schlug soeben 12 Uhr, ein Parkplatz unweit der Haustür ward gefunden, auf in den Kampf.
„Herzlich willkommen, sie kommen zur rechten Zeit, der Mittagstisch ist gedeckt.“ Ich legte den Mantel ab, kämmte die wunderbar langen Haare und begab mich in das Esszimmer. Auf dem Tisch standen zwei Töpfe, einer mit dampfenden Salzkartoffeln und ein weiterer mit heißer Milch. Ergänzt wurde das Gedeck durch einen großen Teller gefüllt mit Scheiben ungarischer Salami, einem Salztopf und Pfeffer. Was das wohl wird, das passt doch nimmer zusammen, warme Milch, Salz, Pfeffer und Wurst. Unwissend der Dinge, die da kommen, versetzte ich meine Mimik in Alarmzustand. Schwiegervater begann diesen kulinarischen Akt zu zelebrieren, indem er die Teller mit Kartoffeln füllte und sie mit reichlich Milch bedeckte. Je nach Lust und Laune ergänzte ein jeder sein Mal mit Salz und Pfeffer, ich war mir meines Zustandes nicht sicher. Dem herzhaften Biss in die bereitliegende Wurstscheibe, gefolgt von einem Löffel angefüllt mit diesem Gemisch aus scheinbar wahllos zusammengemixten Nahrungsmitteln und - Sekunden des Glücks erfüllten Gaumen und Seele. Nach dem dritten geleerten Teller fühlte ich mich dem kulinarischen Himmel ein Stück näher, zwar mit Bauchdrücken aber glücklich.
Schwiegereltern waren sichtlich erleichtert angesichts meiner glänzenden Augen und des leichten Stöhnens ob des strammen Bauches. Die Zeit hat sich leider längst an ihnen genährt, Milchkartoffeln erfreuen nach wie vor unsere Gaumen, es sei denn, es gibt Bauernfrühstück, aber das ist eine andere Geschichte.