Veröffentlicht: 12.11.2019. Rubrik: Menschliches
Lick-Blick
Meine lieben Leserinnen und Leser,
leider muss ich euch heute um strikte Vertraulichkeit bitten. Ich habe ein Geheimnis mitzuteilen! Wie gut, dass ich diese Mitteilung über eine «sichere Leitung» versenden kann. Behaltet bitte unbedingt nachfolgende Geschichte für euch. Gebt sie keinesfalls weiter, teilt sie nicht in den SM-Kanälen, sondern hüllt euch in Schweigen. Nehmt mit euren Herzen Anteil. Das ist mehr als genug. Ich danke euch sehr dafür.
Zur Sache: Schon seit über einer Woche erhalte ich täglich unzählige Mails mit der Frage, wann endlich mein neuer Roman «Das Testament der Barfussläuferin» erscheint. So sehr es mich freut, dass so viele Menschen dieses Buch mit heissem Herzen herbeisehnen, so niedergeschmettert bin ich angesichts der Vorgänge, die das Erscheinen meines neuen Werks verzögern. Zuerst: Das Buch ist fertig und auslieferungsbereit! Sieht super aus und ist auch super. Aber diese Auslieferung wird nun von einflussreichen Kräften blockiert.
B-l-o-c-k-i-e-r-t!
Doch lasst euch erzählen: Seit zehn Tagen sitzt ein internationales Team von Anwälten zusammen und beratschlagt, wie vorzugehen sei: Ich hätte, so der unhaltbare Vorwurf eines Schweizer Medienhauses, in meinem Roman den Namen einer Schweizer Tageszeitung verwendet, wenngleich «geringfügig entfremdet», indem ich «den ersten Buchstaben des Zeitungsnamens durch einen anderen ersetzt» hätte. Dies und die damit in Zusammenhang stehenden Schilderungen seien ruf- und kreditschädigend. Ausserdem würde ich durch die Beschreibung von liederlichen reaktionsinternen Vorgängen die Ehr- und Persönlichkeitsrechte von leitenden Funktionsträgern besagten Blattes verletzen, auch wenn selbige Personen namentlich nicht genannt würden. Das Erscheinen meines Romans, so die Argumentation des Verlags und seines Eigentümers, müsse(!) deshalb weltweit(!) blockiert(!) und verboten(!) werden.
«Da hört sich doch alles auf», rief ich gegenüber jenem Anwalt aus, der mit seinem internationalen Team die Rechte zur weltweiten Vermarktung meiner Bücher juristisch begleitet. Mit Wucht liess ich zur Bekräftigung meiner Worte meine rechte Hand auf seine Schreibtischplatte sausen, was mein Gegenüber mehrmals sportlich in die Höhe fahren liess.
Es ist hier einzuschieben, dass mein Anwalt (unter uns: er ist Franzose!) ein schwaches Nervenkostüm hat. «Nun, nun», sagte er beschwichtigend, nachdem er wieder Sitzleder gefunden hatte, «ganz abwegig ist der Vorwurf der Gegenpartei nicht. Sie haben immerhin den Namen jenes Blattes in abgewandelter Form ver- und damit entwendet.»
Ich war und gab mich unwissend. «Das ist», parierte ich in messerscharfer Juristenmanier, «das ist, das ist ein justitiabel nicht zulässiger und vor Gericht nie durchkommender, weil unrichtiger Rechtssachverhalt. Walten Sie Ihres Amtes!» Es war mir eine innere Freude, dass ich diesen langen Satz in einwandfreiem Juristendeutsch zustande gebracht hatte.
«Nun, nun», fing mein Rechtsvertreter wieder zu jammern an, «die Verwechslungsabsicht scheint dem Verleger gegeben. Und deshalb behaupten seine Anwälte auch, Sie hätten vorsätzlich gehandelt, was die Sache noch schwieriger macht. Sie wollten den Verleger schädigen, er wäre ruiniert, wenn Ihr Roman erscheint, sagt die Gegenpartei. Das kostet Sie Millionen.»
«Vorsätzlich gehandelt, vorsätzlich gehandelt, ruiniert. Millionen. Ich mache Kunst! Kunst! Verstehen Sie? Kunst! Da vergreift man sich nicht vorsätzlich an einem Dritten. Die Kunst greift vielmehr nach mir. NACH MIR!»
Der Anwalt wedelte mit seinen Händen in der Luft herum. «Kunst, Kunst! Für den Verleger geht’s ums Geschäft. Er sagt, wenn Ihr Buch erscheint, sei er erledigt, weil Sie in Ihrem Buch zudem die angeblichen Machenschaften seiner Redaktion beschreiben …»
«So, so!», ich war wirklich auf Hundertachtzig. «Erledigt will der sein. Wegen MEINES Buches. Der soll sich mal überlegen, was ich bin, wenn es nicht erscheint!» Ich gestehe, an dieser Stelle ging mir der Atem schwer.
«Könnten Sie nicht vielleicht, die Gegenseite würde dies sicher als ein bevorzugtes Zeichen Ihres ausserordentlich guten Willens werten, aus dem ‹K› … vielleicht ein ‹P› … machen?» Der Anwalt begann nun zu schwitzen. «Nein, verzeihen Sie, ein ‹P› geht auch nicht, das ist den Lauten nach dem eigentlichen Namen zu ähnlich.» Mein Rechtsbeistand fuhr sich genervt durchs nasse Haar, dann lachte er wie irre: «Wie wär’s mit »Quick›?»
«‹Quick?› Wissen Sie, dass es schon mal eine Zeitschrift namens ‹Quick› gab? Da haben wir explizit das gleiche Problem, einfach mit dem Konkursverwalter dieses eingegangenen Blattes. Wegen übler Nachrede.»
Er schüttelte verwirrt den Kopf. «Bedaure, ich bin Franzose und kenne den deutschsprachigen Zeitungsmarkt kaum.»
Ich überlegte einen Moment, wozu ich diesen Anwalt und sein Team eigentlich engagiert hatte, aber dann kam mir eine höchst geniale Idee: «Wäre es auch justitiabel, wenn ich schreiben würde ‹Tagesanseicher›, ‹Geldwoche›, oder ‹Hürli Zeitung›?»
Monsieur Gerard lächelte selig: «Nein, mein Bester, weil in diesem Fall würden sie nicht einen Buchstaben, sondern deren zwei verändern. Und bei zwei Buchstaben haben Sie sozusagen etwas Neues geschaffen, und das fällt dann wieder unter den Begriff der ‹Kunst›.»
Abermals hatte ich einen herausragenden Geistesblitz: «Dann machen wir’s doch so und nennen die Zeitung in meinem Roman einfach ‹Lick-Blick›. Dann haben wir vier Buchstaben verändert.» Blitzartig liess ich meine Zungenspitze hervorschiessen, an meiner Oberlippe ihr frivoles Werk tun und rollte dabei verführerisch mit den Augen.
«Mon Dieu!», rief Monsieur Gerard erlöst aus. «Mon Dieu!» Rasch tupfte er sich mit einem blütenweissen Taschentuch die Schweissperlen von der Stirn. «‹Lick-Blick›, das ist die Lösung. So machen wir’s.»