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2xhab ich gern gelesen
geschrieben 2021 von Komo Melani (Komo Melani).
Veröffentlicht: 27.03.2021. Rubrik: Fantastisches


Leuchtfeuer

Die Signalhörner der ausgelaufenen Schlepper und Kutter drangen durch den dichten Nebel zu uns. In dem kleinen Paddelboot, welches wir an einem Anleger gestohlen hatten, um aufs Wasser zu kommen, versuchten wir uns noch etwas enger aneinander zu schmiegen. Es war einer dieser nasskalten diesigen Silvesternächte bei denen man von der Mitte der Mündung kaum die Silhouette der Stadt erkennen konnte. Wenn ich zurückblickte, sah ich ab und zu einzelne Fabriklichter durch den Dunst schimmern und rhythmisch aufblinken, doch sonst war alles schwarz und grau. Ich schloss meine Augen und lauschte diesem wunderschönen Zusammenspiel sich überlagernder Frequenzen, welches in den ersten Minuten des neuen Jahres ihren Höhepunkt erreicht hatte und noch lange anhielt. Sie machten das, weil sie die auf hoher See Verstorbenen grüßen wollten und auch für die Landratten, die sich am Deich versammelt hatten.

Zu Mitternacht lag fast kein einziges Schiff mehr im Hafen, alle waren draußen auf der Flussmündung und feierten. Für einen Moment war es, als gäbe es nur noch uns in dieser Atmosphäre. Und den Wind.
Janni sagte etwas zu mir, was ich aber nicht genau verstehen konnte. Einen Augenblick später sah ich, was sie mir sagen wollte, denn von Achtern drang durch die Schwärze ein blasses Licht. Der Rucksack mit den hundert fünfzigtausend Euro lag sicher und schwer auf meinem Rücken. Als das Licht heller wurde und näher zu kommen schien, war ich äußerst wachsam. Es bestand die dringende Möglichkeit, dass uns so vielleicht ein Schiff anfahren würde. Das Licht hielt gerade weiter auf uns zu.

„Ist es soweit?“, fragte Janni, „sind die das?“
Ich antwortete, dass wir noch ein paar Minuten warten müssten, bevor wir die Leuchtfeuer zünden dürfen; es durfte nicht zu früh das vereinbarte Zeichen geben, sonst würden sie uns sicher übersehen, es war ja fast vollkommen dunkel. Wir hatten leider ein Paddel durch den stärkeren Wellengang verloren und waren jetzt auch noch nahezu manövrierunfähig, zumindest kämen wir nicht rechtzeitig weg. Dann wäre es sowieso vorbei und ich – wir - würden die nächsten Jahre im Knast verbringen, soviel war sicher. Schiffbrüchige oder Notleidende müssen gerettet werden und werden in der Regel der Küstenwache übergeben, wo dann Personalien aufgenommen werden. Damit wären wir dann schlussendlich aufgeflogen.

Jetzt war es eindeutig, dass es nicht eines, sondern zwei Lichter waren und in mir stieg Panik auf. Ich kannte diese typische Anordnung der Flutscheinwerfer nur zu gut. Es war die Küstenwache und so wie ich es erkennen konnte, hatten sie noch volle Fahrt. Sollte uns das Schiff nicht rechtzeitig erkennen und ablenken, würde es unser Boot zu Kleinholz machen und wir würden binnen weniger Minuten durch das kalte Wasser erfrieren. Zum Land schwimmen, wäre viel zu weit und darüber hinaus sinnlos gewesen, denn da suchten sie uns definitiv. Die besten Chancen hatten wir über den Seeweg nach Holland.

Nun konnte ich das Motorengeräusch deutlicher hören. Das Schiff hatte volle Fahrt und wenn wir nicht erfrieren wollten, müssten wir jetzt eine Entscheidung treffen. Jetzt. Es vergingen noch Minuten, bevor wir uns entschließen konnten – uns entschließen mussten. Ich wollte es nicht wahr haben, dass es schon wieder schief gelaufen war. Ich sah Janni lange an und sagte ihr schließlich, dass ich sie vermissen werde und es mir leid tut, dass ich sie damit reingezogen habe. Sie sah mich an und nickte. Den Rucksack warf ich weit von uns über Bord und nahm aus der Deckluke ein Leuchtfeuer und zog den Zünder - alles wurde Rot.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Susi56 am 29.03.2021:

Spannend geschrieben, gefällt mir sehr gut. Einzig mit der Zeitangabe zum Schluss habe ich ein Problem. Bei voller Fahrt eines sich nähernden Bootes auf direktem Kurs hast du nicht mehrere Minuten, um Entscheidungen zu treffen. Diese Zeit ist viel viel kürzer.




geschrieben von Komo Melani am 02.04.2021:

Liebe Susi56, danke für den Hinweis! Ein paar Gedankengänge des Protagonisten zu seiner Einschätzung: [Nun konnte ich das Motorengeräusch deutlicher hören. Das Schiff hatte volle Fahrt und wenn wir nicht erfrieren wollten, müssten wir jetzt eine Entscheidung treffen. Jetzt.] Denn jeder maritimaffinie Küstenjunge entwickelt im Laufe seines Lebens die Fähigkeit, anhand von Schiffsmotorengeräuschen zu erkennen, wie schnell sich ein Schiff bewegte. "Was ist das denn für ein Kack!?", regte sich Janni auf und nahm eine aufrechte Körperhaltung ein. "Warum soll nicht auch ein Küstenmädel, wie ich, diese Fähigkeit entwickeln", sagte sie auf mich deutend. Das musste ich natürlich schnell wieder geradebügeln, denn hierbei durfte nichts schiefgehen und die besten Aussichten auf das etwas schiefgeht, sind verletzte Gefühle der Protagonisten und Protagonistinnen. Zu diesem Zeitpunkt lag die Durchschnittsgeschwindigkeit des Schiffes der Küstenwache auf Streife bei circa 13 Knoten, was so viel entspricht, wie etwa 25 Kilometer die Stunde. "Du hast natürlich Recht, Janni. Alle Küstenleute entwickeln diese Fähigkeit, so meinte ich das auch nicht." "Ist schon gut. Ich bin nicht beleidigt, aber nach meinen Berechnungen dauert es jetzt noch etwa eine Minute und ein paar Sekunden, bis das Schiff uns erreicht hat", sagte Janni und hatte ein dämliches Grinsen auf den Lippen. Während wir da im Halbdunkeln standen überschlug ich im Kopf die Berechnungen zu der aktuellen Situation. 25 Kilometer, ja, Wind aus Nord-Nordwest, bei einem durchschnittlichen Druck der Windzone 4, gerechnet auf das Jehresmittel, ergaben mindestens 4° Kurabweichung im diatmerischen Zirkel. DAS hatte ich bis dahin auch noch nicht erlebt. Aber es müssten so ungefähr zwei drei Kmh pro Entfernungsdoppel an Bewegungsenergie abgezogen werden, damit das Ergebnis - und damit die Vorhersage für den exakten Aufprallpunkt - stimmte. Das konnte nicht sein. Als ich mich umdrehte, sah ich eine dreimeterdreißig hohe Bugwand auf unser kleines Boot zurollen. Es war zu spät - "Timo, Du Penner, Du hattest schon wieder einen Aussetzer! Das wird immer schlimmer mit Dir", rief Janni aufgeregt und ich realisierte, dass wir noch immer im Halbdunkeln inmitten des eisigen Flusses auf unsere rettende Verabredung warteten. Was ich aber auch realisierte, war, dass wir vielleicht auf diese unwillkommene Rettung angewiesen waren, die uns bevorstand. [Es vergingen noch Minuten, bevor wir uns entschließen konnten – uns entschließen mussten. Ich wollte es nicht wahr haben, dass es schon wieder schief gelaufen war.]




geschrieben von Susi56 am 03.04.2021:

Guter Konter, herrlich! 😂👍🏻




geschrieben von Komo Melani am 04.04.2021:

hey Susi, im dichten Nebel sind das letzte was Du siehst, die Lichter. :) Als erstes würde man es hören, daher danke tatsächlich für den Sinnfehlerhinweis!

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