Veröffentlicht: 08.02.2021. Rubrik: Kürzestgeschichten
Im Aufzug
Meine Finger glitten suchend über die silbernen Knöpfe an der mit Blech ausgekleideten Wand des Auszuges. EG, dann die anderen Stockwerke. Ich musste ins OG. Nachdem ich den entsprechenden Knopf gedrückt hatte, leuchtete dieser auf und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Ich drehte mich um blickte in den Spiegel, der sich auf der gegenüberliegenden Seite befand. Er bedeckte die komplette Seite und war mit einer hölzernen Haltestange versehen.
Wie ein Kleinkind blickte ich hinein und schnitt sämtliche Grimassen, die komischer nicht hätten sein können. Abwechselnd zog ich meine Augenbrauen nach oben und stellte erstaunt fest, dass ich sie unabhängig voneinander bewegen konnte. Erst die linke, dann die rechte. Dann beide gleichzeitig. Anschließend wieder links, dann rechts. Links, rechts, links, rechts …
Erst jetzt fiel mein Blick auf das Armaturenbrett, an dem sich die Knöpfe für die etlichen Etagen befanden. Anscheinend hatte ich mich verdrückt, denn der Knopf ins OG war dunkel. Es leuchtete nur der vorletzte: 23. Etage. Mein Finger drückte erneut auf den entsprechenden Knopf, doch auch diesmal leuchtete meine Auswahl nicht. Anscheinend fuhr der Fahrstuhl nicht bis zum OG. Dann musste ich eben die Treppe vom vorletzten Stock ins OG nehmen. Solange der Auszug mich zumindest bis dorthin bringen würde, ist mir das letzte Stück auch egal.
Wieder richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den Spiegel und führte diverse Gesichtsakrobatiken und verzog es zu Fratzen, die lieber niemand sehen sollte. Geistesgegenwärtig sah ich zur Decke entdeckte eine schwarze Halbkugel an der Decke. Auch das noch! Kameraüberwacht. Hoffentlich reichte der Winkel nicht bis zum Spiegel und meine Grimassen waren unentdeckt geblieben. Und wenn nicht konnte ich es jetzt auch nicht mehr ändern. Wie erstarrt stand ich nun die nächsten Sekunden da und rührte mich nicht. Aber da das für Außenstehende sicherlich nicht so auffälliger sein würden, zog ich mein Handy aus der Hosentasche heraus und tippte kurz auf dem schwarzen Bildschirm herum, ohne es tatsächlich einzuschalten. Dann hielt ich es an mein Ohr und begann ein intensives Selbstgespräch zu führen.
Ich war so vertieft darin, dass mir erst Minuten später auffiel, dass sich der Aufzug erst im dritten Stock befand. Hatte er sich überhaupt bewegt, nachdem ich den Knopf erneut gedrückt hatte? Ich wusste es nicht mehr, aber bevor ich darüber nachdenken würde, musste ich vorerst mein Telefonat fortführen. Was sollte ich mein Gesprächspartner nur von mir halten, wenn ich mich nicht mehr mit ihm unterhalte? Es wäre unhöflich, und das will ich unter keinen Umständen seiner. Ich hob wieder das Handy an mein Ohr und plapperte pausenlos weiter. Ich ließ meinen Gesprächspartner gar nicht zu Wort kommen. Das war auch unhöflich. Hatte er überhaupt schon etwas gesagt?
Dann öffnete sich die Aufzugtüre und ein Mann stieg hinzu. Er telefonierte ebenfalls und schienen Michel gar nicht wahrzunehmen. Er schien durch mich hindurchzublicken. Dann wanderte sein Finger ebenfalls über die Knöpfe und als er seine Hand wieder wegzog, sah ich, dass der Knopf mit der Aufschrift OG leuchtete. Der Aufzug setzte sich wieder in Bewegung. Da legte der Mann unerwartet auf und steckte sein Smartphone in die Hosentasche. Dann sprach er mich unerwartet an.