Veröffentlicht: 18.08.2019. Rubrik: Unsortiert
Magneten und Kleber
Wie Pfeile bohrten sich die Fahrbahnmarkierungen während der Fahrt in mich hinein. Die Autobahn war leer, keine Menschenseele.
Nun ist es 03:35 Uhr. Vor einem kleinen Dorf habe ich mich in eine Einmündung zwischen die Felder gestellt. Die Hügellandschaft war magisch, wenn hinter ihr die Sonne unterging. Diesen Moment hatte ich leider verpasst. Stattdessen stehe ich jetzt hier, die Glut meiner Zigarette spendet mir ein kleines Licht. Zwischen dem Rauschen des Windes durch den Weizen hört man immer wieder ein Rascheln der Tiere.
03:35 Uhr. Eine Nacht voller Ereignisse soll genau hier ein Ende finden. Hier, an genau dieser Stelle. Diese Stelle war besonders.
Sie war markiert mit Erinnerungen. Wunderschönen und Einzigartigen. Mit ihr. Der Frau, mit welcher ich vor einigen Minuten die letzten gemeinsamen Minuten verbrachte. Die letzten Minuten voller liebevoller Worte, voller Vertrauen, das letzte Mal 'Ich liebe dich', bevor sie voller Eile zurück in ihre Wohnung rannte, wo ihr Partner und ihre Tochter auf sie warteten.
Die Anatomie der Liebe
Eine Beziehung funktioniert mit Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, mit Respekt, Rücksicht, Verständnis und Vertrauen. Am wichtigsten jedoch, und das ist die Grundsubstanz all dieser Dinge, ist Liebe. Ehrliche und bedingungslose Liebe, das ist der Kleber, der alles zusammenhält. Der Dauermagnet, an welchem alles haftet. Ohne ihr funktioniert es nicht. Nicht ehrlich.
Doch was man nicht vernachlässigen sollte sind all die Dinge, die man zusammenkleben möchte. Hat man diese Dinge nicht, klebt zwar alles, aber das, ohne glücklich dabei zu sein. Man heftet einen Menschen an sich, ohne ihn dabei glücklich zu machen. So wie die Anatomie der Liebe unvollständig ohne die Liebe ist, ist sie es auch ohne Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Respekt, Rücksicht, Verständnis und Vertrauen.
“Die Kunst des Fallens“
Fallen ist eine Sache, die einem das Leben höchstpersönlich beibringt. Es ist unvermeidbar und dennoch sind die Menschen überrascht, wenn es so weit ist. Viele versuchen sich davor zu schützen, sich zu verstecken, doch es ist wichtig zu fallen. Fallen lehrt uns Verletzlichkeit. Lehrt uns, dass wir und auch andere fehlerhaft sind und zeigt uns diese Fehler auf.
Für einen kurzen Moment fühlt sich fallen an wie fliegen, denn jeder Fall besitzt eine Grundessenz, einen Inhalt, der uns im Stehen, im Sitzen oder Liegen niemals bekannt werden würde. Wer fällt, der lernt. Doch wie zur Hölle fällt man richtig?
Die ersten Schritte zum Glück
Eine Person zu finden, welche einen ab dem ersten Moment wie ein fest gefahrener Anker im Herzen sitzt ist selten. Ein Wimpernaufschlag, ein verlegenes Kichern, Dinge, die man selbst mit jeder Pore seines Körpers aufnimmt, doch nur einzig und allein von dieser einen Person.
Jeder Atemhauch, jeder Duft und alles, was Assoziationen zu diesem Menschen weckt, verdient einen einzelnen Herzschlag und jeder Blick verdoppelt diesen.
Ein Moment, so pur wie das Glück selbst ergießt sich über dich, treffen eure Lippen zum ersten Mal aufeinander. Von nun an soll jeder Kuss dieses Gefühl wieder erwecken. Umhüllt von reinem Glück wird die Außenwelt abgeschottet. Nur noch zwei Personen inmitten vereint.
Eine Welle von Erregung über der ganzen Haut bei jeder Berührung. Geborgenheit und Wärme gleichzeitig mit dem Schauer aufsteigender Gänsehaut.
Worte sind persönlich auf dich zugeschnitten. Worte voller Emotionen. Niemand bewirkt mit Worten jemals wieder so viel. Niemand spricht je wieder so klangvoll und schön, wie dieser Mensch.
Glück wird durch so viele Dinge geschenkt, durch die unscheinbarsten und dennoch wertvollsten Dinge.
Der Weg zum Fall
Schmerzen. Immer wiederkehrende Schmerzen von der Person, welche einem Glück schenkt. Zuckerbrot und Peitsche. Eine fehlende Sache zum Haften, macht einen Dauermagneten ein Stück nutzloser. Er ist da, zieht mit aller Kraft, jedoch an einer Stelle ins Leere.
Taten stechen tiefer, treffen sie den Menschen, der einem am nahesten steht. Nach und nach rutschen die Dinge ab, die eben noch festklebten. Egal wie stark der Kleber ist, so sind diese Dinge nur einer bestimmten Anzahl an Taten gewachsen. Irgendwann gibt es nichts mehr zu kleben. Der Magnet zieht nur noch Luft an.
Wozu benötigt man einen Magneten, ohne etwas damit zu befestigen? Ein leerer Magnet hat nichts außer Anziehung. Und dennoch sind die Kräfte am stärksten, befindet sich nichts an ihm.
Ängste nach dem Aufprall
Wie geht es weiter? Ohne irgendwo zu haften. Was tut der Mensch, der einen einst mit Glück umhüllte nun, da er weg ist? Findet er stärkere Magneten? Einen, an dem mehr haftet? Der Schauer, die Wimpernschläge, der Wortklang, alles verloren an einen anderen Kleber? Der eigene Kleber hat sich gelockert, an ihm haftet nun nur noch wenig bis gar nichts. Alles was nun kommt muss mit viel zusätzlicher Kraft gehalten werden, damit es bleibt.
Das in Glück gehüllte Gefühl weicht einer Träufelung einiger Tropfen, aus der Gänsehaut wird ein vorsichtiges Zurückschrecken.
Worte wecken keine neuen Emotionen mehr, sondern Erinnerungen.
Der Aufprall nach einem Fall schmerzt, trotz aller Lehre im Flug, am meisten. Einige Schäden verheilen, andere bleiben irreparabel.
04:50 Uhr. Meine Fingerkuppen verlieren an Gefühl. Die Sonne geht auf. Ein kurzer Regen überrascht mich. Trotz der ersten Strahlen der Sonne bin ich nass. Mein kleines Licht verschwindet.
Ich bin nass. Muss warten, bis der Regen stoppt. Die dann anhaltende Nässe muss unter der Wärme der Sonne trocknen.
Vögel zwitschern. Ein erstes Auto fährt aus dem Horizont in meine Richtung. Der Tag beginnt. Ohne Skrupel, ohne einer Andeutung von dem, was diese Nacht vorgefallen war startet der Tag ganz normal.
Mit zitternder und nasser Hand führe ich den letzten Zug meiner erloschenen Zigarette an meine Lippen.
Das Auto fährt vorbei.
Ich blicke auf die Felder. Erinnerungen überfluten mich. Nie wieder werde ich von Glück umhüllt sein. Magische Momente werden in Zukunft höchstens zu tausendfach vorgeführten Taschenspielertricks.
Ein Schrei der Verzweiflung, der Wut, der Erschöpfung zieht über die Felder und findet kein Echo. Ein Entzug hat begonnen. Ein Entzug ohne Rückfallmöglichkeit. Dieser ist zu nutzen. So will es jeder, denn Sucht ist nicht gut.
Eine letzte Zigarette. Der Regen hat gestoppt, dafür ziehen Wolken auf und verhindern schnelles Trocknen.
Nie wieder. Diese Worte gehen mir durch den Kopf wie stete Rauchschwaden. Nie wieder. Niemals wieder. Endgültig.
Ich lege mich auf die kalt gewordene Motorhaube und beginne zu träumen.