Veröffentlicht: 27.05.2019. Rubrik: Unsortiert
Ich bin nicht das romantische Vorstadtmädchen ... oder ?!
Es war nichts außergewöhnliches. Zwei junge Menschen, eine junge Liebe. Vielleicht auch keine Liebe. Wer weiß das schon? Es war nicht perfekt und auch nicht filmreif, aber es war echt. So echt, wie noch nie etwas zuvor.
Ich bin nicht das romantische, verträumte Vorstadtmädchen. Leute sehen mich überall unterschiedlich. Meine Mutter sieht mich als sportlich und verantwortungsbewusst. Mein Dad als schlau, aber alltagsuntauglich. Meine Schwester als nervig und doch bewundernswert. Meine Oma sieht mich als hilfsbereites, fleißiges Mädchen. Mein Opa meint, ich wäre rhetorisch nicht unbegabt, aber ein bisschen frech. Meine Tante ist der Meinung, ich würde zu eintönig rumlaufen. Meine Cousine weiß, wie faul ich bin. Mein Cousin schätzt meine Vorliebe, gut zu feiern. Meine Freunde denken, ich bin spontan, launisch und immer gerade raus. Jeder kennt mich anders, aber niemand würde behaupten, ich sei das romantische Vorstadtmädchen.
Doch was, wenn doch?
Ich lebe in der kleinen Stadt, in der ich auch aufgewachsen bin und definitiv viel zu viele Leute kenne. Tag ein Tag aus stehe ich auf, verlasse ich die Stadt, um zur Schule zu gehen, komme nach Hause in mein Chaos von Zimmer, mach das nötigste an Schulaufgaben, durchstöbere die Welt von Netflix, verdiene mir meinen mickrigen Lohn mit Nachhilfe und Babysitten und gehe zum Training. Mein Leben ist strukturiert, der Ablauf eigentlich täglich der gleiche. So und nicht anders gefällt es mir. Am Wochenende bleibt genug Zeit, um betrunkene Nächte durchzumachen, zu tanzen bis die Sonne aufgeht und nicht zu bereuen mit den falschen Typen rumgemacht zu haben. Das mag alles klingen, wie ein einziges Wirrwarr, aber es hatte Struktur und es war einfach. Deswegen mochte ich es auch so sehr.
Doch es kam der Tag, an dem jemand diese nahezu perfekte Struktur meines chaotischen Lebens über Board warf. Und das schlimmste war, dass ich es nicht einmal bemerkte.
Seit Jahren gehe ich Woche für Woche zum Sport, mal mit mehr, mal mit weniger Leidenschaft. Und ich weiß, bis heute nicht, wie das funktioniert hat, aber Jahre lang habe ich ihn kaum wahrgenommen und plötzlich konnte ich die Augen nicht von ihm lassen. Ich weiß nicht, wann es anfing und ich weiß nicht, wie es anfing. Doch es kam der Tag, an dem ich merkte, dass ich mich in seinen braunen Augen verlor. Jeden Tag, den ich zum Training ging, hoffte ich, er wäre dort. Und wenn ich ihn dann sah, fühlte ich mich frei und sicher. Als könnte ich alles tun. Aber ich war mir so sicher, das durfte nur eine vorübergehende Verwirrung sein, denn er war irgendwie mein Trainer und damit absolut außerhalb des möglichen. Doch ich befürchtete mehr und mehr, dass es weder vorübergehend, noch eine Verwirrung war. Wenn sich seine Lippen bewegten, wusste ich kaum zu antworten und wenn seine Hände mich berührten, weil er mich korrigierte, erstarrte mein Körper. Nichts wollte ich mehr, als ihn bei mir haben, doch ich redete mir weiter ein, das ginge nicht. Bis zu dem Tag, an dem er fragte, ob ich mich mit ihm treffen möchte. Und das mag jetzt offensichtlich klingen, aber es war für mich alles andere als offensichtlich. Ich war mir so unsicher und wusste noch immer nicht, was seine Absichten waren. Und ich erinnere mich an unser ersten Treffen, als wäre es gestern gewesen. Er hat mich abgeholt. Er trug ein dunkelblaues Shirt und eine kurze Hose und ich stieg zu ihm ins Auto und war unsicher, ob ich ihn umarmen sollte, aber freute mich, ihn zu sehen. Auf der Fahrt zu ihm viel es uns schwer miteinander zu reden, obwohl das vorher nie ein Problem war. Doch wir fanden schnell zu alter Form zurück. Wir haben Spagetti gekocht, gemeinsam gegessen und einen Film geschaut. Und als wir so auf der Couch saßen, hoffte er würde seinen Arm, um mich legen oder mir irgendwas geben, was mich ein wenig sicher werden ließ, doch er tat es nicht. Noch am selben Tag als ich im Bett lag, hab ich ihn schon vermisst und ich habe mir gewünscht, es wäre nicht unser letztes Treffen gewesen. Das war es auch nicht. Als wir uns ein zweites mal trafen und spazieren gingen, hoffte ich bei jedem Schritt, er würde meine Hand nehmen, doch er tat es nicht. Als er mich nach Hause brachte, hoffte ich er würde mich küssen, doch er tat es nicht. Ich kam an den Punkt, wo ich mir sicher war, das war nicht einseitig. Er fühlte es ebenso, wie ich es tat. Ich war bereit so weit zu gehen. Ich wollte so weit gehen. Doch ich bekam mehr und mehr das Gefühl, er wollte das nicht. Und meine Zweifel um die ganze Sache wurden größer.
Natürlich erzählte ich meinen besten Freundinnen von Anfang an vom ihm, weil ich mir so sicher war, er wäre der richtige. Doch ich sah die Blicke meiner sonst immer optimistischen Freundin und ausgerechnet sie meinte, das wäre ein großer Fehler. Und mein Cousin meinte, ich solle mich nicht mehr mit ihm treffen, bevor ich ihn nicht vorgestellt habe. Und als wir uns eine Weile nicht sahen verflog das Gefühl. Der vorher so eindringliche Wunsch, er würde mich in den Arm nehmen, er würde nach meiner Hand greifen, er würde mich küssen… wie vom Winde verweht. Es gab Tage, an denen ich mir nichts sehnlicher wünschte als in seinen Armen einzuschlafen und deshalb tat es mir so unglaublich leid als dieses Gefühl unerklärlicher Weise verschwunden war. Ich konnte es nicht erklären. Ich wusste, er hatte eine Erklärung verdient. Nie war jemand zuvorkommender und aufrichtiger als er es war. Aber ich hatte keine Erklärung und es tat mir so weh, ihm das zu sagen, aber ich hatte keine Erklärung. Es waren nicht die Zweifel, die andere Leute verursachten. Davon habe ich mich nie beeinflussen lassen, weil ich immer selber wusste, was ich wollte und ich bekommen habe, was ich wollte, wenn ich dafür gekämpft habe. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, das sollte einfach nicht sein. Seine Bemühungen mich davon zu überzeugen, das sei ein Fehler, waren hoffnungslos. So gerne ich uns eine Chance gegeben hätte, so sehr war ich davon überzeugt, das mich mein Gefühl richtig entschieden ließ. Nie wollte ich ihm wehtun und ich weiß, ich tat es dennoch. Und es tat mir weh, zu wissen, dass ich ihn verletzt hatte.
Erst ein Jahr später, habe ich für mich erkannt, dass Entscheidung damals richtig war. Ich brauchte meinen Freiraum, um meine Erfahrungen zu sammeln, meinen langweiligen Alltag zu leben und betrunkene Nächte durchzutanzen.
Ich bin nunmal nicht das romantische Vorstadtmädchen und das ist nunmal nicht die Geschichte, von dem Mädchen, dass ihrem Herzen gefolgt und ist und so mit ihrem Traummann zusammen kam. Das ist die Geschichte, von dem Mädchen, das ihrem Herzen gefolgt ist, und erkannt hat, dass das Leben vieles bereit hält und man immer die Möglichkeit hat, Dinge zu ändern.