Veröffentlicht: 07.04.2025. Rubrik: Aktionen
*Märchenstunde /{April-Aktion 2025}
Als wir Kinder waren, mein Bruder Bertram und ich, hat meine Mutter uns nach dem Mittagessen immer Märchen vorgelesen; an jedem Wochentag, wenn wir zu dritt waren, sogar am Montag, ihrem Waschtag. Da war sie oft vom Waschen im Kessel und mit den verzinkten Wannen, vom Schleudern mit der wasserbetriebenen Presse, sowie vom Aufhängen im Garten so müde, dass sie während dem Vorlesen einschlief. Ihre Aussprache wurde dann verschwommener und undeutlicher, bis ihr Kopf herunternickte. Wir riefen dann empört: „Aber Mama!“, wovon sie hochschreckte, um tapfer das angefangene Märchen zu Ende zu lesen.
Alle bekannten Grimms Märchen kamen dran. Auch Kunstmärchen des dänischen Erzählers Hans Christian Andersen standen in meinem Märchenbuch, wie „Des Kaisers neue Kleider“. Ich, die vier Jahre Ältere, wünschte mir durchaus längere, anspruchsvollere Märchen, wie „Die Schneekönigin“, „Kalif Storch“ des schwäbischen Dichters Wilhelm Hauff, worin sich der Kalif dreimal gen Osten verneigen muss und das Wort „Mutabor“ sprechen, um sich zu verwandeln, oder „Die weiße Schlange“, ein selteneres Märchen der Gebrüder Grimm, das sich in einem alten, abgegriffenen Märchenbuch fand, noch aus der Kindheit meines Vaters, mit alten Buchstaben, die ich nur schwer entziffern konnte. Mein Brüderlein Berti wünschte sich dagegen tagtäglich den „Wolf und die sieben Geißlein“, das ich schon nicht mehr hören konnte, von meiner Mutter jedoch, gutmütig, wie sie war, stets abschließend zu Gehör gebracht wurde.
Als ich in die Grundschule ging, hielt an jedem Montag der Bücherbus vor unserer Schule, aus dem wir Schülerinnen und Schüler kostenlos Bücher ausleihen konnten; eine sehr gute Idee. Soweit ich weiß, kommt in München der Bücherbus heute noch immer an die Schulen, wo sich die Kids jetzt zudem CDs, DVDs , Blu-rays und Computerspiele ausborgen können. Ich habe mir damals nach und nach sämtliche Abenteuer von „Pünkelchen“ ausgeliehen, das dem niederländischen Kinderbuchautor Dick Laan offenbar seine Erlebnisse kundgetan hatte. Auch als ich lesen konnte, las meine Mutter weiterhin bereitwillig mittags vor. Uns gefiel das, wir mochten das gerne.
Als Letztes erinnere ich mich an die Romane von Johanna Spyri, einer schweizerischen Schriftstellerin, die von armen Kindern aus den Bergen handelten, von „Heidi“, die jeder kennt, aber auch vom „Rosenresli“, eine traurige Story, die meiner mitfühlenden Mama die Tränen über das Gesicht laufen ließ, oder die weniger bekannte Geschichte „Vom This der doch etwas wurde“.
Wie gerne haben wir doch gelauscht.

