Veröffentlicht: 19.07.2024. Rubrik: Aktionen
Diebstahl auf dem Flohmarkt
Am ersten Sonntag im Juni findet in unserer Stadt immer der große Flohmarkt statt. Neben den Antiquitäten, der Second-Kleidung und allerlei Krimskrams wird immer eine besondere Attraktion vorgeführt.
Im vergangenen Jahr war Herr Middelhoff mit seinen weißen Mäusen die Attraktion. Er trat als Zirkusdirektor auf, trug einen weinroten Frack, einen schwarzen Zylinder und weiße Handschuhe. Sein schwarzer Spitzbart verlieh ihm einen gewissen Zauber, der Macht über diese Mäuse zelebrierte.
Die Manege war auf einem großen Untergestell aufgebaut, nicht größer als ein Billardtisch. Middelhoff stand daneben und dirigierte mit einem Zeigestock die Mäuse. Diese zeigten bereitwillig ihr Können. Zwei Mäuse balancierten auf einer Wippe so lange, bis diese im Gleichgewicht war. Andere Mäuse turnten am Reck oder am Barren. Auf dem Tisch war ein hoher Turm errichtet worden, den die Mäuse bestiegen und von dort auf ein Tuch sprangen. Daneben stand ein großes Hamsterrad. In ihm rannte ein muskulöser Mäuserich, man konnte glauben, um sein Leben und trieb dieses Rad sehr kraftvoll an. Sofort strahlte eine kleine Lampe. Middelhoff hatte einen Dynamo an dieses Hamsterrad montiert und ließ so Strom erzeugen. Das rief natürlich eine große Begeisterung unter den Zuschauern hervor. Die Krönung aber: Herr Middelhoff stellte einen Wasserkocher neben das Lämpchen, schaltete diesen ein und wartete, bis das Wasser warm war. Dann goss er eine große Tasse Tee auf und trank davon.
Ich schwöre, es war echter Pfefferminztee.
In diesem Jahr hatte sich Herr Wonneberg angekündigt. Sein Flohzirkus ist in unserer Region sehr bekannt. Die Menschen strömen zuhauf in seine Vorstellungen.
Herr Wonneberg ist ein beleibter Mann mit buschigem Backenbart. Seine Vorliebe gilt gestreiften Anzügen und das Tragen einer Melone. Bei der Präsentation seines Flohzirkus setzt er immer ein Monokel auf und erklärt sehr gewichtig, was seine Flöhe alles können. Sehr überzeugend sagt er, dass diese auf winzigen Fahrrädern fahren und auch winzige Hanteln stemmen können. Natürlich glaubt niemand wirklich, dass die Flöhe diese Dinge tun, aber es ist interessant, Herrn Wonneberg zuzusehen, wie er mit großer Begeisterung seine Show inszeniert.
Während Herr Wonneberg seine Show abzog und die Zuschauer mit „Oh“ und „Ah“ reagierten, bewegte sich ein Mann betont unauffällig an seinen Stand. Es war Knott, ein stadtbekannter Kleinkrimineller und notorischer Dieb. Sein Konterfei hängt des Öfteren am Schwarzen Brett in unserem Aldi-Einkaufsmarkt. Sicher suchte er eine neue Herausforderung oder handelte im Auftrag. Mit geschickten Bewegungen entwendete er einen der Käfige, in denen die Flöhe untergebracht waren, und verschwand blitzschnell in der Menge. Herr Wonneberg bemerkte den Diebstahl erst, als er die nächste Attraktion ankündigen wollte.
„Meine Damen und Herren! Nun sehen Sie … äh ...“.
„Wo sind meine Flöhe?“, rief er entsetzt.
Ein Raunen ging durch die Menge, als klar wurde, dass der Flohzirkus beraubt worden war. Während Herr Wonneberg versuchte, die Polizei zu alarmieren, bekam Knott ganz andere Probleme. Er hatte die Flöhe in seine Jackentasche gesteckt, ohne zu ahnen, dass diese äußerst lebendig und aktiv waren. Es dauerte nicht lange, bis er ein Jucken verspürte. Ein intensives und unerträgliches Jucken.
Knott begab sich in die Schiffergasse, ein Gässchen am Markt, und wollte sich der Flöhe entledigen. Er begann sich zu kratzen und zu zappeln und zog sich aus. Das erregte die Aufmerksamkeit der Passanten. Die herbeigerufenen Polizisten brauchten nicht lange, um zu erkennen, dass dieser Kerl der Dieb sein musste.
Auch Herr Wonneberg freute sich über den schnellen Handlungserfolg der Polizisten. Er eilte hinzu und ließ seinen Frust an Knott ab. Dann begann er seine Flöhe zu suchen. Flehentlich rief er sie alle beim Namen. Allmählich kamen sie zurück in ihren Käfig. Beim Durchzählen seiner Flöhe stellte er fest, dass fünf seiner Flöhe fehlten. Da seine weitere Suche und sein Flehen erfolglos blieben, ging er sehr betrübt zu seinem Zirkusstand.
Knott stand deppert, nur mit Slips und Schuhen bekleidet, in der Schiffergasse. Er wollte oder konnte die Frage über den Verbleib der fehlenden Flöhe nicht beantworten.
Ein Polizist erklärte ihm, dass er wegen Erregung öffentlicher Ärgernisse und versuchten Diebstahl festgenommen sei. Er las ihm seine Rechte vor und setzte in das Polizeiauto. Auf Handschellen verzichtete der Polizist. Er wollte Knott das Recht, sich an seinem Allerwertesten zu kratzen, nicht verwehren.
Die fünf Flöhe wurden bis heute nicht gefunden. Herr Wonneberg erwägt, eine Vermisstenanzeige zu stellen und eine Belohnung auszusetzen. Die Polizei hat Herrn Wonneberg aber zugesagt, weiter nach den Flöhen zu suchen.
Ich könnte schwören, dass die Flöhe sich im Slip von Knott versteckt halten.