Veröffentlicht: 12.05.2024. Rubrik: Unsortiert
Habitat
Lil, 48Jahre alt, was man ihr auch ansieht. Bisschen abgerissen, aber gut riechend. Molly, zotteliges, wolfsfarbenes Hundewesen im besten Alter.
"Jetzt nen Kaffee", murmelt Lil während sie unauffällig die kleinen Scheine zählt und beschließt sich den Luxus heute mal zu leisten. Die Geschäfte liefen gut, fast alle Tütchen hatte sie an die Schulkids im Park vertickt. Gemütlich schlendern sie über die Wiese zum Parkcafé.
"Bimmeling" Molly schnüffelt in den Raum, Lil steuert den Tresen an, setzt sich auf einen Hocker. "Hab gehört, hier gibts den besten Kaffee in der Stadt.. mach mir doch bitte mal einen!" Sagt sie grinsend zu dem gutaussehenden Typen hinter der Theke, derweil sich Molly zwischen die Barhockerbeine klemmt.
Mal sehn obs hier irgendwo Wasser gibt - denkt Molly und richtet sich auf. Sich streckend saugt sie die Umgebungsluft ein, um irgendwelche Anzeichen einer Quelle zu orten. Durch die Duftmoleküle verschiedenster Waschmittel, Weichspüler und Parfüms hindurch, wittert sie den Weg zur Tränke, geht zielstrebig zum Spülbecken hinter der Theke, stellt sich auf die Hinterbeine und betätigt den Wasserhahn. Mit gestilltem Durst, gewahr der erstaunten Blicke, geht sie, ihre Flanke das Bein der mit dem Händi beschäftigten Frau streifend, zurück zu ihrer Gefährtin. --Was meinst du, sollen wir noch hierbleiben?-- --Ein bisschen noch-- antwortet Lil.
Eigentlich sollten sie sich bald mal auf den Rückweg machen, schließlich müssen die Vorbestellungen der Kids für morgen noch zubereitet werden. Der Unterschlupf im Wald ist eine gute Gehstunde entfernt.
Lil schaut sich um, Molly döst unterm Hocker. Zu ihrer Rechten lehnt sich eine Frau, geschäftig auf ihr Händi tippend, an den Tresen. Der Raum ist voller Menschen. Keine Uhr an der Wand zu entdecken. "Sorry, hast du mir mal die Uhrzeit?"
Lil bezahlt die Rechnung. Sie machen sich auf den Weg.
Hinterm Schwimmbad beginnt der Wald. Es ist Abend geworden, für Lil beinahe unmöglich im Zwielicht noch etwas vom Bruchkraut zu finden. Molly hingegen sammelt eifrig alles Mögliche.
--für den einen Jungen sollten wir noch an den halsstarrigen Knöterich denken--
Am Morgen: "Beim Odem!", ruft Lil aus, als ihr das Pulver auf den Waldboden fällt. Auf den Knien versucht sie zu retten was geht.
--müsste noch reichen-- meint Molly beruhigend, gerade dabei das Tütchen für das Mädchen mit den auffälligen Sommersprossen zu schließen. Auf dem Reibstein liegt noch die Dreischeibenwurz. Sorgfältig reibt der Stein. --jetzt nur noch den Knöterich, dann können wir los-- Die versiegelten und beschrifteten Zubereitungen für die Kunden werden im Beutel verstaut.
Ihr Dienstleistungsunternehmen für Gestresste ist in dieser Gegend sehr nachgefragt, weshalb sie zurzeit keinen Anlass haben weiter zu ziehen. Gerade die sehr jungen Wesen liegen ihnen besonders am Herzen.
Wie immer sind sie bemüht, außer Sichtweite des Spielplatzes, mit den argwöhnischen Kleinkindbetreuern, den Park zu betreten und steuern die Halfpipe an. Immerhin sieht es bei flüchtiger Betrachtung so aus, als würde eine Frau mit Hund spazieren gehn. Trotzdem sind Lil und Molly immer vorsichtig. Ihnen ist durchaus bewusst, dass Drogenverkauf an Jugendliche verboten ist und es gar nicht einfach wäre, ihr Tun zu rechtfertigen, das heißt, eigentlich schon, aber nur sehr schwer den Behörden zu vermitteln.
Vorbei am Treffpunkt der Kids lassen sich die Beiden am Stamm der 328-jährigen, weit ausladenden Buche nieder.
"Hey, wie geht's", das Sommersprossenmädchen hat Begleitung mitgebracht und bittet Molly sich ihre Freundin mal anzuschauen. Während Lil die individuellen Arzneizubereitungen verteilt, kümmert sich Molly um die neue Kundin. Wie so oft, geht es bei ihr um die Leistungsdruck-Problematik und Niedergeschlagenheit, worunter viele Schulkids leiden. Erschwerend dazu noch die Scheidung der Eltern und die scheiß Pickel, die überall sprießen.
Molly gibt ihr Bestes.
Kaum ist sie fertig, kommt der Schulschwänzer angerannt und wirft sich lachend auf sie, minutenlang balgen und knuddeln sich die beiden. Alle umstehenden lachen mit und Lil holt schon mal den Knöterich aus dem Beutel.
--ich will kaffee--
--mmrrn..-- grumelt Molly
--was?--
--du weist schon was ich meine--
--ooch, aber der ist so lecker--
'Bimmeling'
Lil setzt sich an den freien Tisch, grinst rüber zu den Leuten mit Kind.
Molly krabbelt in die Stuhlbeinhöhle. Sie genießen die Wärme.
Die Dreckspur aus ihrer Stiefelsohle betrachtend,
meint Lil nachdenklich --sollte ich mich mal neu einkleiden?--
Wieder ist es spät geworden. Sie sollten den Rückweg früher antreten, wollen sie ihn zur Erkundung neuer Sammelstrecken nutzen. Für Molly kein Problem, Lil hingegen hat in dunkeln Nächten Mühe, nicht über jede Wurzel, jeden Stein oder Ast der rumliegt zu stolpern. Wenn sie schnell vorankommen möchten, legt Lil ihre Hand auf Mollys Rücken.
Der Unterschlupf ist nichts weiter als ein überhängender Felsen an einer recht steilen Böschung, durch etwas Kletterei von seitlich oben her zugänglich. Darin ein Bettlager aus Fichtenzweigen und Laub, Lil’s Wolldecke, Feuerstelle, kleiner Topf und Reibstein. Man mag es kaum glauben wie wenig die Beiden benötigen. Seit einigen Wochen lagern sie hier, ein wunderschöner Ort.
Bei Kaffee und Kuchen kann Lil einfach nicht wiederstehn, trotz meist folgenden Magenproblemen. Molly hat es aufgegeben sie davon abhalten zu wollen. Es gibt halt Krankheiten, die nicht zu heilen sind – denkt sie, während Lil sich übergibt und streichelt ihren Nacken.