Veröffentlicht: 09.01.2024. Rubrik: Aktionen
Unterm Dach 'Juchhe' {Januar-Aktion: Fake}
In jungen Jahren erbauten sich meine Großeltern ein Haus regelrecht mit ihren eigenen Händen. Der Kurba (Korbinian) arbeitete auf dem Bau, seine Lina (Adeline) als fleißige Näherin in Heimarbeit, also nächtlich bei flimmerndem Licht. Es war ein ansehnliches Einfamilienhaus mit riesengroßem Garten, das sie sich errackert hatten und das noch abbezahlt werden wollte.
Jede Einnahmequelle wurde genutzt. Mein Opa hatte früher nebenher Kohlen ausgefahren mit seinem Ross, meine Oma Zimmer vermietet. Sie wohnten nicht weit vom Dornier-Werk und anfangs war dort in der Nähe die Wohnungsnot so groß, dass meine Oma manches Bett für Schichtarbeiter zweimal pro Tag vermieten konnte.
Diese Zeiten waren allerdings schon vorüber, als ich 1960 das Licht der Welt erblickte. Aber ich wurde inmitten einer Schar Zimmerherren groß. Oben unterm Dach wohnte der gutmütige Herr Möckl, es gab einen Herrn Moritz, den Poxleitner, dem gerne mal ein derber Fluch entschlüpfte, die Busenfreundin meiner Oma, die Frau Kornmann, die mitsamt ihrem karierten Taschentuch in der Nase bohrte, den Griechen Herrn Tiftikidis, der wie ein leises Wiesel die Treppenstufen hinunterhuschte und mit seiner Angetrauten, die durchaus mal im Negligé gesichtet wurde, vorübergehend unterm Juchhe wohnte, wie die enge Mansarde genannt wurde. Später gab es den langen Herrn Beuthan, ein junger Student, der sich mit ausgestreckten Beinen in seine Gaube setzte. Es gab auch Männer, die sich einmieteten und selten da schliefen, zum Beispiel den Herrn Hartl, vor dem meine Eltern immer meinten, mich warnen zu müssen, obwohl es nie einen Grund gegeben hat, sowie den norddeutschen Herrn Krings, der etwas Feines an sich hatte und dem meine Oma ihre Ehrerbietung entgegenbrachte.
Hinten in der Hütte wohnten der alternde Herr Bordes, ein Holländer, der sich eine Regentonne aufgestellt hatte, in der er sich täglich wusch und kneippte; im Winter schlug er einfach die Eisschicht ein, so abgehärtet war er. Außer ihm wohnte ein Russe drin, der Peter, ein gebrochener Mann, der eigentlich Feodor hieß. Im Krieg war er aus lauter Angst von den Russen zu den Deutschen übergelaufen und hatte sich danach nicht anders zu helfen gewusst hat, als hier zu bleiben, ungeachtet seiner vier Kinder, die er zurückgelassen haben soll. Mich hat seine Geschichte immer angerührt, gerade weil er kein Fake war. Es waren alles rechtschaffene Leute im Haus, oder doch nicht?
Eines Tages stand die Kriminalpolizei vor der Türe, um meine Oma rauszuklingeln. Ihr verehrter Herr Krings hatte sich als Heiratsschwindler in großem Stil entpuppt, doch meine Angehörigen konnten in diesem Krimi leider nicht weiterhelfen. Nichts, als ein einziges Album hatte er in seinem Zimmer zurückgelassen, in dem auf jeder Seite eine andere Frau unter ihrem Nickname vorgestellt wurde; jeweils mit Foto, mit kurzen Angaben was für ein Auto sie lenkt, über ihren Fahrstil, ob schneidig oder zurückhaltend, außerdem ihre Rauchgewohnheiten. Schade, dass mir nicht mehr über diesen Fake bekannt wurde.