Veröffentlicht: 07.06.2023. Rubrik: Nachdenkliches
Was für eine Spezies wir doch sind
Ich sitze im Zug und denke nach, während das Weiß des ersten Schnees an mir vorbei fliegt. Alles ist weiß. Der Himmel ist weiß, die nackten Baumkronen sind weiß, der Boden ist weiß. Ratternd fliegt der Zug durch den Wald und lässt meinen Kopf reisen. Die Energie, die nötig ist, um eine Stahlwanne wohlig warm durch die Gegend brettern zu lassen, ängstigt mich. Ich denke an Flugzeuge. Wegen Reparaturen muss ich nun umsteigen und habe eine halbe Stunde Wartezeit.
Ich sitze in der Kälte und denke nach. Ein Rabe tut sich gütlich an den Resten einer Pizza am Bahnsteig. Hinter mir fährt ein Zug vorbei. Ich komme durcheinander. In der Kälte lässt es sich nicht so gut denken. Ich sehne mich nach der Wärme im Zug. Ich sehne mich nach der Landschaft, die vorbeizieht und meine Gedanken fliegen lässt. Meine Finger werden kalt. Das schreiben fällt mir schwerer. Ein Auto fährt vorbei. Dann noch eins. Die kalte Luft hebt die Auspuffgase hervor. Die Energie, die nötig ist, um eine Stahlwanne wohlig warm durch die Gegend brettern zu lassen, ängstigt mich. Dann doch lieber Zug. Einmal wieder fällt mir auf, wie heuchlerisch mein Versuch, ökologisch zu leben, ist, wenn ich eben die Infrastruktur nutze, die unseren Planeten anzündet. Für den Fußabdruck, den ich hinterlasse, habe ich nicht genug Bäume gepflanzt – werde ich auch wahrscheinlich nie tun. Und doch denke ich, dass meine Philosophie eine ökologische wäre. Mein way of life, wie ich sagen würde, wenn ich soziale Netzwerke nutzen wollte. #thereisnoplanetb. Was ist ein Mensch, der von der Fridays for Future Demo zum Flughafen fürs Wochenende nach Malle fährt? Was für eine Spezies wir doch sind.
Sind nicht die besten Orte der Erde die noch von Menschen unveränderten? Armer Planet. So ein ausgeklügeltes Ökosystem und dann am Ende so was. Eine Horde wild gewordener Affen, die auf Grund des Pinzettengriffs und ein bisschen Grips denken, sie wären die herrschende Spezies, die sich alles zueigen machen kann. Und Pinzettengriff bedeutet Werkzeuge. Und Werkzeuge bei Menschen bedeutet erst mal Waffen. Also hat man alles zerfickt, was einem in die Quere kam, bis man sich in die Quere kam und sich gegenseitig zerfickt hat. [Pars pro toto – Bezug Fridays for Malle] Was für eine Spezies wir doch sind.
Und dann sind da noch die, die sagen, das ist auch alles gut so, ein Gott hat gesagt, das geht alles klar – ist alles meins. Dass aber ein liebender Gott gleichgültig zusieht, wie eine seiner Spezies tausende über tausende einer seiner anderen Spezies unter unwürdigsten Bedingungen einkerkert und in Massen industriell ermordet, erscheint mir mindestens zweifelhaft. Einen Schlonzer Weihwasser über das Spanferkel.
Ich sitze im Zug und denke nach. Meine Hände tauen auf. Der Hass lässt nach und die innere Kälte weicht wie die äußere. Ist ja alles halb so wild, wenn es einem gut geht. Was die Leute nicht alles an Grausamkeiten ertragen, wenn es ihnen dadurch gut geht. Ich denke an Amazon. Ich denke an Fernreisen. Ich denke an Inlandsflüge. Ich schaue mich um. Der Frau auf dem Plakat scheint es gut zu gehen. Sie grinst in ihrem unter menschenunwürdigen Bedingungen geschaffenen Pulli. Ich denke an Fast Fashion. Mir wird schlecht. All die Schiffe, die unterwegs sind, um Leuten Sachen zu bringen, die sie nicht wirklich brauchen. Die Energie, die nötig ist, um eine Stahlwanne tagelang durch den Widerstand von Wasser zu prügeln, ängstigt mich. Ich denke an Kreuzfahrten. Schweröl. Ich denke an Audio88: Zum Glück baut BP keine Atomkraftwerke – das bisschen Öl. Ich denke an Fukushima. Ich denke an Hiroshima. Ich denke an Nagasaki. Ich denke an Chernobyl. Ich denke an den Krieg in der Ukraine. Ich denke an den Krieg im Yemen. Ich denke an die Kriege der westlichen Welt, die die arabische Welt verwüstet haben. Ich denke an Afghanistan. Ich denke an die armen Afghanen und vor allem Afghaninnen. Ich denke an den Iran. Ich denke an Qatar. Ich mache einen glottalen Laut. Was für eine Spezies wir doch sind.