Veröffentlicht: 29.05.2023. Rubrik: Unsortiert
Das Mädchen im Café
Er saß an seinem Tisch und versteckte sich hinter seiner Zeitung. Niemals durfte sie erfahren, dass er sie heimlich beobachtete und nahezu jeder ihrer Freizeitaktivitäten verfolgte. Stalken? - Nein, so würde er das nicht bezeichnen. Für ihn, den unscheinbaren Jungen von nebenan, handelte es sich lediglich um Nachforschungen. Schließlich konnte er nichts dafür, dass sie so plötzlich, so unerwartet, in sein Leben trat. Ganz im Gegenteil, er malte sich aus, dass es sich bei diesem einzigartigen Zufall um Schicksal handeln musste.
Es begann alles an dem Tag, an dem sie in das Haus gegenüber gezogen war. Das Geheimnis um ihre Eltern hatte er bis heute nicht lösen können. Ab und an gingen zwar Erwachsene in dieser großen Villa, in der sie lebte, ein und aus, jedoch stets ohne sie, dem schönsten Mädchen der Welt. Vielleicht kümmerte sich eine Kinderdame um sie. Noch besser gefiel ihm die Vorstellung, dass sie, das Mädchen seiner Träume, ganz allein mit einer Unmenge von Angestellten zusammen wohnte. Die Beweise dafür existierten bis jetzt nur in seinem Kopf. Doch vielleicht fand er eines Tages des Mysterium Rätsels heraus. Doch zurück zu ihr.
Wie bereits erwähnt, lebte sie seit nicht allzu langer Zeit in dem Haus gegenüber. Er hatte es bis zu dem heutigen Tag nicht geschafft, ein Wort mit ihr zu wechseln. Seine Schüchternheit bewahrte ihn davor. Allerdings verzauberte ihn ihr Anblick. Ihr schwarzes, leicht gelocktes Haar, trug sie stets zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden, während ihre grüne Brille, ihrem schmalem Gesicht schmeichelte. Sie war nicht die Dünnste, was ihn, den zurückhaltenden Jungen, unter keinen Umständen störte.
Heute, an diesem wundervollen Sommertag, trug sie ein gelbes Sommerkleid, das sie umso mehr erstrahlen lies. Sie verbrachte den Tag mit ihren Freundinnen. So schlau und klug wie sie waren, lebten sie in einer Art Luftblase, ihrer eigenen kleinen Welt. Sie lachten, schauten sich Fotos an und liesen sich von nichts ablenken. Die anderen Menschen existierten nicht für sie. Sie genossen den Moment.
Woher er das alles wusste? Wie erzählt, beobachtete und verfolgte er ihre Freizeitaktivitäten, wobei es sich seiner Ansicht nach nicht um Stalking handelte. Er saß an einem Tisch, hinter einer Zeitung versteckt, in einem kleinen Café, in der Stadt, in der sie wohnten. Und sie? Sie saß zwei Tische weiter, ohne ihn zu bemerken.
Er war unscheinbar, unsichtbar, schüchtern. Vielleicht hatte er sich verliebt, vielleicht auch nicht. Vielleicht sollte er seine Nachforschungen einstellen, vielleicht auch nicht. Doch was wusste er schon vom Leben? Einmal würde er ein Geheimagent werden, da war er sich sicher, aber das dauerte noch ein paar Jahre. Schließlich war er gerade mal zwölf Jahre alt und sein Leben war gefüllt mit einzigartigen Träumen.