Veröffentlicht: 12.01.2023. Rubrik: Fantastisches
Auf dem Weg zum Mars
Dezember 2076
„Herzlichen Glückwunsch!" Frances hob ihr Glas und prostete ihrer besten Freundin Eve zu. „Freut mich außerordentlich, dass sie dich für die Marsmission ausgesucht haben."
„Und mich erst!" Eve grinste und trank einen Schluck. „Aber ich werde dich vermissen."
Frances seufzte. „Und ich dich erst! Man kann noch nicht mal mit sagen, wir sehen uns bald wieder."
„Ja, der Hinflug allein dauert sechzehn Monate. Danach muss der Mars erforscht, Proben entnommen und die Marsstation eingerichtet werden. Das wird seine Zeit brauchen. Mit der Rückkehr zur Erde wird erst in drei Jahren gerechnet. Ich beneide die Mondastronauten, die Zeitspanne, die sie im Weltall verbrachten, ist dagegen ein Klacks."
„Ist lange her, dass Menschen auf dem Mond waren."
„11. Dezember 1972, wenn ich mich nicht irre. Am 19. Dezember sind sie wieder auf der Erde gelandet, im Pazifik".
„Da waren sie wenigstens rechtzeitig zu Weihnachten zu Hause." Frances schwieg einen Moment. „Unter uns, hast du keine Angst, es könnte schief gehen? Apollo 13 wäre auch fast schief gegangen."
„Aber nur fast. Sie hatten eine wunderbare Mathematikerin, die sie da wieder runtergeholt hat. Für diesen Fall hatte sie alles im Voraus berechnet. So spektakulär, wie die Leute denken, war das gar nicht." Eve lächelte. „Du bist nach ihr benannt worden, nicht wahr?"
Frances nickte. „Es war bestimmt mein Schicksal, Raumfahrttechnikerin zu werden. Wenn ich mir das überlege ... damals arbeiteten sie noch mit Lochkarten."
Sie stellte ihr Glas auf dem Tisch ab. „Drehen wir noch eine Runde?"
Sie befanden sich in Frances' Wohnung im neu gebauten Wohnviertel von Cape Canaveral. Frances stand als Raumfahrttechnikerin eine von der Weltraumbehörde bereitgestellte und finanzierte Wohnung zur Verfügung. Abgesehen von dem riesigen Bildschirm ihres Computers und dem Haufen Papier, auf dem sie verschiedene Berechnungen aufgezeichnet hatte, unterschied sie sich nicht von der Wohnung einer anderen Junggesellin.
„Klar. Gerne." Eve folgte ihrem
Beispiel.
Eine halbe Stunde später standen sie vor dem Raumfahrzeug, das Eve und fünf andere Astronautinnen zum Mars und zurück fliegen sollte. Eine der Astronautinnen hatte eine ärztliche Ausbildung absolviert.
„Sollen wir mal reinklettern?", fragte Eve.
Frances schüttelte sich. „Um Himmels willen. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste da drin sitzen und zum Mars fliegen, ich würde auf der Stelle durchdrehen."
„Ach, stell dich nicht so an." Als Eve Frances' konsternierten Gesichtsausdruck sah, brach sie in Gelächter aus. „Du glaubst nicht wirklich, dass ich einfach so da reinspaziere, oder?"
„Ich hoffe nicht", wollte Frances sagen, doch sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Ein erfreuter Ruf erschallte hinter ihnen.
„Frances! Schön, dich zu treffen!" Ireen Fletcher, Verantwortliche für die Planung der Marsmission und Frances' Vorgesetzte, holte sie ein und wandte sich an Eve. „Woher hast du gewusst, dass ich dich gerade gut gebrauchen könnte? Ich komme mit der letzten Berechnung nicht weiter."
Ihr Blick fiel auf Eve. „Kannst du noch ruhig schlafen? Bald geht es los."
„Sicher", antwortete Eve. „Ich freue mich wahnsinnig drauf, aber gut schlafen kann ich immer."
„Du Glückliche! Na, du hast ja auch nicht die Verantwortung."
„Ich kann nur für immer auf dem Mars zurück bleiben, wenn es schief geht", antwortete Eve munter. „Das ist ja halb so schlimm. Wisst ihr, was ich vor kurzem gelesen habe? Bei der ersten Mondlandung - also in der Nacht davor - hatte eine Zeitung schon die Schlagzeile fertig: ‘Gestrandet' - auf dem Mond! Man rechnete also damit, dass sie nicht mehr zurück kommen würden."
Frances schüttelte sich. „Rede bitte nicht weiter. Mir wird ganz schummerig zumute, wenn ich mir das vorstelle."
„Wie hätte es dann weitergehen sollen? Die von der Zeitung haben sich das gar nicht überlegt. Man hätte die Astronauten schließlich nicht einfach da abholen können", sinnierte Eve.
„Du hast völlig recht", pflichtete Ireen ihr bei, „aber das ist lange her. Heute haben wir andere Möglichkeiten."
„Selbst, wenn es schief geht, können wir uns ja vermehren." Eve verzog das Gesicht. „Das ist das Einzige, was mir gegen den Strich geht. Eine tiefgefrorene Samenbank mitzuschleppen, für den Fall, dass wir nicht mehr wegkommen! Und diesen Blödsinn mussten wir auch noch unterschreiben!"
„Ach Eve! Wer sollte das denn kontrollieren?", fragte Ireen. „Den Quatsch kannst du getrost vergessen. Ich musste das auf Wunsch oder besser gesagt Befehl unserer oberen Behörde einbauen, sonst hätten sie nicht eingewilligt, dass ausschließlich Astronautinnen zum Mars fliegen."
„Eine Idiotie bleibt es trotzdem!", beharrte Eve.
„Ihr werdet es nicht brauchen", versuchte Frances zu vermitteln, „und ihr habt wirklich wichtigere Dinge zu tun als euch darüber den Kopf zu zerbrechen!" Sie wandte sich an Ireen. „Von welcher Berechnung hast du eben gesprochen?"
Zu ihrem Erstaunen wich Ireen der Frage aus. „Nicht so wichtig, ich habe einen blöden Rechenfehler gemacht, eben ist mir eingefallen, woran es liegen könnte."
„Soll ich dir nicht helfen?", fragte Frances verwundert.
„Ich glaube nicht." Ireen blieb stehen. „Ich denke, ich gehe nach Hause und rechne erst nochmal alles von A bis Z durch."
Sie verabschiedete sich. Die beiden Frauen sahen ihr nach, wie sie mit eiligen Schritten davon stapfte.
„Das gefällt mir gar nicht." Eves Stimme klang flach.
Frances klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde alles nochmal durchspielen, am Rechner und von Hand. Wie hieß es schon 1970: ‚Poppy keeps bringing astronauts home'".
„Wie könnte ich das vergessen." Eve lächelte. „Lass mich raten, dein zweiter Vorname ist..."
„Poppy. Woher weißt du das?"
Zwei Monate später fand der Flug der Astronautinnen zum Mars statt. Frances saß, äußerlich kühl, innerlich angespannt, im Kontrollzentrum und verfolgte mit ihren Kolleginnen und Kollegen den Start. Sie atmete erst auf, als die Rakete im Weltraum auf ihrem Kurs war.
„Dass wir das einmal schaffen würden", sagte jemand neben ihr.
„Ja", antwortete sie nur.