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geschrieben von As'a hel.
Veröffentlicht: 07.02.2022. Rubrik: Unsortiert


Das Leben eines Schafes

Grünes Gras. Alles, was ich kannte, war grünes, saftiges Gras.

In immer kürzeren Abständen kommen große Schafe, die uns kleineren Schafen freundlich erklären, dass ihnen alles gehören würde; nicht nur das Gras, sondern auch unsere Wolle, unsere Milch und unser Fleisch. Ich habe das nie verstanden, aber den anderen Schafen ist das egal, die leben nur für Fressen und Paaren.

Irgendwann traf ich ein kluges Schaf, das mir sagte, dass die großen Schafe Lügner wären, die sich zu unseren Lasten ein einfaches Leben machen würden. Ich glaubte das nicht, doch aus Neugierde sah ich manchmal in eine andere Richtung als die Leittiere und die Herde.

Mit der Zeit fiel mir auf, dass die großen Schafe die Zäune unserer Weide regelmäßig enger setzen, sodass deren Land immer größer wird; zudem häufen sie einen gewaltigen Berg aus Schafwolle, Schafmilch und Schaffleisch auf; und obwohl es unübersehbar ist, erkannte ich erst jetzt, dass die großen Schafe in Wahrheit Wölfe aus der Steppe sind, die sich mit der Wolle zu Schafen verkleiden und vom Fleisch ernähren. Mit lähmendem Entsetzen musste ich außerdem feststellen, dass alle Leittiere, die oft so tun, als ob sie unterschiedlicher Meinung wären, ebenfalls verkleidete Wölfe sind. Ich fürchtete mich sehr und erzählte meinen Freunden und Verwandten davon, aber die verstanden nichts und lachten mich aus.

Ich begann mich immer mehr von der Herde abzusondern und beobachtete die Wölfe. Eines Nachts sah ich große vogelähnliche Kreaturen; die Wölfe beten sie an und opfern ihnen Schafmilch; im Gegenzug erhalten sie Macht, Reichtum und Ruhm;
die stärksten Wölfe werden sogar eins mit ihren Göttern: innen Kreatur - außen Wolf.

Nun verwandelte sich meine Furcht in große Angst; ich weiß, dass Schlachtung und Tod zu einem Schafleben gehören, aber das mit den Kreaturen geht zu weit. Zitternd fragte ich das weise Schaf um Rat und das erzählte mir von einem schwachen Lämmchen, das einst auf dieser Weide war und dem alles hier gehört; eines Tages wird es als das stärkste Schaf aller Zeiten zurückkehren und jedem geben, was er verdient.

Anfangs verstand ich das nicht, doch allmählich erkannte ich, dass ich nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen denken muss. Das gesegnete Schaf lehrte mich, stets auf das vorbildhafte Lämmchen zu schauen und ihm in allem nachzueifern.
Egal, was die anderen Schafe, die Wölfe oder die vogelähnlichen Kreaturen sagen oder tun, nichts kann mich vom Lämmchen trennen, wenn ich es nicht zulasse.

Je mehr ich lebe wie mein geliebtes Lämmchen, umso freier werde ich;
das Fressen, das Paaren, die Angst, alles verliert seine Macht über mich. Inzwischen kann ich sogar anderen Schafen helfen, wie mir das erwählte Schaf half. Ich möchte in allem sein wie das Lämmchen, alles andere ist nicht wirklich wichtig.

Manchmal stelle ich mir vor, wie es sein wird, wenn das stärkste Schaf aller Zeiten auf die Weide kommt: Dann werden die Vogelähnlichen in Flammen aufgehen, die Wölfe werden winselnd auf dem Boden kriechen und die meisten Schafe werden mit großen Augen erkennen, dass es auf dieser Weide nicht nur um Fressen und Paaren geht.

An diesem Tag werde ich hüpfen wie ein Jungschaf und ich werde mich an das starke Schaf kuscheln und nie wieder von ihm getrennt sein.

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