Veröffentlicht: 19.04.2018. Rubrik: Unsortiert
Baku
Baku – ein Name wie aus tausendundeiner Nacht. Seit ich „Ali und Nino“ gelesen habe, möchte ich dorthin. Die Stadt liegt nicht weit von Tbilisi entfernt und so beschließe ich, mich auf den Weg zu machen.
Mein erster Versuch, per Zug von Tbilisi, endet an der aserbaidschanischen Grenze. Ich werde von zwei Grenzbeamten, denen es sichtlich leid tut, aus dem Zug geholt und zurück nach Georgien gebracht. Grund ist, dass mein Visum erst ab dem nächsten Tag gültig ist. Sie spendieren mir Plow und Cola und bringen mich an die Grenze.
Am nächsten Tag erfolgte der nächste Versuch, diesmal mit dem Bus. An der Grenze müssen alle zu Fuß auf die andere Seite. Mein Pass wird argwöhnisch begutachtet: was habe ich denn in Armenien gemacht? Ob ich denn nicht wüsste, dass Armenien total gefährlich ist? Ob ich denn am Ende sogar Armenier kennen würde? Ich solle mich in Acht nehmen, die Armenier wären alles Vergewaltiger, die nur darauf warten würden, jungen Europäern ein Messer durch das Herz zu stechen. Mädchen, nimm Dich in Acht.
Sie lassen mich passieren und ich steige in den Bus zurück. Er fährt ungefähr acht Stunden durch Steppe und Halbwüste und je weiter Georgien hinter uns liegt, desto morgenländischer wird die Umgebung.
Menschen steigen ein, andere steigen aus, Moscheen und Basare ziehen vorbei, an den Haltestellen in der Pampa werden Essen und Trinken gegen Geld getauscht.
In Ganja steigt ein freundlicher, alter Man hinzu, der fortan mein Sitznachbar sein wird und mich fortwährend mit Kuchen versorgt. Er ist polygott; er spricht Aseri, Georgisch, Russisch, Französisch und etwas Deutsch; er erzählt von vergangenen Zeiten: als junger Mann war er in Dresden stationiert, hatte eine deutsche Freundin, er war Zuschauer bei den Olympischen Spielen in Moskau und hat vier Kinder und 10 Enkelkinder.
Sein Atem riecht nach altem Mann, auf seinem kahlen Kopf trägt er eine Schafsellmütze. Sein Gesicht ziert ein grauer Schnauzbart, den er alle paar Minuten mit den Fingern der rechten Hand zwirbelt. Um seine dunklen Augen liegen Lachfalten und in seiner Flasche hat er eine Flasche Hochprozentiges. Wir trinken, er beginnt, dann reicht er die Flasche an mich, ich trinke, reiche die Flasche dem jungen Studenten hinter mir, er reicht sie weiter und irgendwann ist sie leer.
Zwei Reihen vor mir sitzen zwei Frauen mit langen, schwarzen Haaren. Sie beginnen, azerische Lieder zu singen und mein Sitznachbar fällt in den Gesang ein. Schließlich singen alle um mich herum und da ich den Text nicht kenne und außerdem nicht singen kann, summe ich die Melodie mit.
Ein Mütterchen mit Goldzähnen erzählt Witze, alle lachen und ich lache mit. Der Großvater neben mir übersetzt mir die Witze, sie sind leicht versaut.
In Baku angekommen mache ich mich auf die Suche nach meinem Hostel. Es trägt den klangvollen Namen „Oil-Boom 1891“ und liegt unweit des Kaspischen Meeres. Im Schlafsaal im Keller gibt es riesige Ventilatoren, die für eine konstante Raumtemperatur von 22 Grad sorgen. Sie machen höllischen Lärm, aber der Raum ist angenehm kühl. Die Außentemperatur beträgt jetzt in der Nacht 30 Grad, tagsüber sollen es 40 Grad sein, was ziemlich heiß ist.
Ich habe schon in Tbilisi befürchtet, dass es in Baku etwas heißer sein würde, aber 40 Grad in echt zu erleben ist schon ziemlich schweißtreibend.
Das Kaspische Meer selbst ist in Baku eine ziemliche Drecksplörre; ein bläulich grüner Ölfilm schimmert auf dem Wasser, in der Ferne sind die Ölfördertürme zu sehen. Am Boulevard stehen Fischer und ich wundere mich, dass dort überhaupt Fische überleben können.
Riesige Containerschiffe ziehen vorbei, ein leichter Ölgeruch liegt in der Luft.
Mir gefällt Baku trotzdem, die kleinen Boutiken, die niedlichen Gaststätten, die Eisdiele, die Lachs-Eis und Kaviar-Eis verkauft. Es scheint, die Azeri sind ein Volk von Fischliebhabern.
Am Abend beginnt die wahre Magie der Stadt; es wird ziemlich schnell dunkel und die historischen und neueren Gebäude werden in unterschiedlichen Farben bestrahlt. Es gibt die Aserian Towers, die in den Nationalfarben erstrahlen, junges Volk tummelt sich auf der Promenade, Zauberer und Scharlatane zeigen Kunst, chinesische Touristen stehen im Weg. Ich setze mich an ein Lagerfeuer am Strand, Bier macht die Runde und die jungen Studenten fragen mich alles mögliche. Lustigerweise studieren zwei von ihnen ebenfalle in Tbilisi, wir tauschen unsere Handynummern und essen Paprika. Diese Nacht scheint nie zu enden.
Zurück im Hostel ist mir kalt, da der Raum mittlerweile auf 18 Grad hinuntergekühlt ist und ich bitte an der Rezeption um eine dickere Decke.
Am nächsten Tag möchte ich nach Yanar Dag, dort soll ein Feuer sein, dass seit dem Altertum brennt. Es wird als „Tor zur Hölle“ bezeichnet und es kommt dort immer wieder zu spontanen Entflammungen.
Im Bus drängt sich Mensch gegen Mensch, die 40-Grad Außentemperatur lassen den Geruch im Innern zu einem interessanten Gemisch verkommen. Die Außenbezirke Bakus ähneln Marzahn und Hellersdorf und ich fühle mich zu Hause.
Menschen steigen ein, andere steigen aus oder um, ein Zicklein wird durchs Fenster gereicht, eine Großmutter nimmt es entgegen und strahlt mich an. Ich lächle zurück und sie streicht mir über den Kopf. Sie schreit ihrer Bekannten, die weiter vorne sitzt, etwas zu und streicht mir erneut durchs Haar. Lächeln, immer schön lächeln. Vielleicht bin ich ja die erste Ausländerin, die sie sieht. Die Bekannte reicht Bonbons durch den Bus, sie werden an mich weitergereicht. Die Großmutter nimmt einen Bonbon, entfernt das Papier und reicht ihn mir. Ich sage „shokran“ und esse ihn, Großmutter strahlt und ruft ihrer Bekannten etwas zu und streichelt wieder meinen Kopf. Egal ich habe Bonbons bekommen.
In Yanar Dag selbst steht ein kleines Museum, das über den Ort informiert und den Besucher ermahnt, auch ja nicht den Weg zu verlassen, da dies lebensgefährlich sei. Der Weg führt über ein Feld, hin und wieder flammt ein Feuerchen, an zwei Stellen brennt ein größeres Feuer, aber im Großen und Ganzen bin ich enttäuscht. Ich hatte mir ein großes, gewaltiges Feuer vorgestellt, dass Zarathustra würdig ist, aber nicht diese mickrigen Flämmchen.
Neben dem abgesperrten Bereich sitzt ein Hirte, er bewacht seine drei Pferde. Er setzt mich auf das schwarze Pferd und los geht es über Stock und Stein. Ich schreie und lache gleichzeitig. Zurück am Ausgangsort fragt mich der Hirte „Ukraina“ und ich sage „Germania“. Er nickt wissend und sagt „Gitler kaputt“.
Zurück in Baku mache ich mich auf den Weg zu „Ali und Nino“, das ist eine Buchhandlung im Zentrum, in der es die Werke Lew Nussimbaums in sämtlichen Übersetzungen gibt. Ich kaufe „Blut und Öl im Orient“ und „Das Mädchen vom Goldenen Horn“, die unter Nussimbaums Pseudonym Essad Bey veröffentlicht wurden.
Überhaupt, Nussimbaum, einer der interessantesten Schriftsteller, die leider zu wenig Beachtung fanden.
Ich ziehe durch die nächtlichen Straßen Bakus Richtung Seilbahn, lasse mich hinauffahren auf einen Hügel und blicke hinab auf die sich vor mir erstreckende Stadt. Auf einer Liste stehen noch der Schirwandschah-Palast , der Feuertempel Ateshgah und der Mädelturm.
Und vielleicht ein gemeinsamer Boulevardspaziergang mit dem hübschen, schwarzhaarigen Literaturstudenten aus dem Cafe. Ich lächle ihm zu, er lächelt zurück, Bingo, wir haben ein Date.