Veröffentlicht: 07.07.2021. Rubrik: Unsortiert
Eine oberflächliche Begegnung
Nun ist es soweit: Die erste Kurzgeschichte, die ich geschrieben habe. Diese Seite, die anderen Autoren auf dieser Seite und ein Freund haben mich inspiriert. Vielen Dank dafür. Ich freue mich über gut gemeinte Kritik - wie gesagt, es ist mein erstes Mal. :)
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Völlig abgehetzt kam ich in die muffige Halle, meine Freundin wartete ungeduldig an der Theke. Ihre Kletterschuhe hatte sie an den Sicherheitsgurt um ihre Hüften gehängt. 'Da bist du ja, kannst du mit deinen 21 Jahren immer noch keine Uhrzeit lesen?' fragte sie schnippisch. Ich konnte es ihr nicht verdenken, Pünktlichkeit war schon seit ein paar Wochen nicht gerade meine Stärke. 'Tut mir leid, ich lade dich später auf einen Drink ein.' versuchte ich sie wieder versöhnlicher zu stimmen. Es klappte, sie lächelte mich an und meinte: 'Na gut, aber beeil dich beim umziehen. Rein in die Kletterschuhe und los geht’s.' Ich meldete mich an, schlüpfte in der Umkleide in meine Sportsachen und wir gingen in die große, mit Matten ausgelegte Halle. Der Geruch von Schweiß, Staub und Chalk stieg mir in die Nase und ich betrachtete die Wände voller bunter Griffe und Kletterrouten. Hier war mein Lieblingsort, endlich abschalten vom Studium und den Problemen mit meinen Eltern. 'Und, wie läuft's mit dem Studium?' - Zu früh gefreut. 'Es geht. Lass uns klettern.' antwortete ich knapp, um dem wieder zu entfliehen, doch meine Freundin ließ nicht locker. 'Tobi hat dir doch geraten, dich mit der Studienberatung zu treffen, hast du das gemacht? Die soll echt gut und hilfreich sein.' Sie zwinkerte mir zu. 'Nee, ich brauch keine Hilfe, das schaffe ich alleine.' antwortete ich mürrisch. Ich hatte alles bisher alleine geschafft. Meinen kleinen Bruder großzuziehen, weil meine Eltern ihre Karriere wichtiger fanden, mein Abitur, eine eigene Wohnung neben dem Studium zu unterhalten. Da werde ich auch damit fertig, dass meine Eltern sich scheiden lassen. 'Komm schon, du bist voll anders in letzter Zeit. Du hast mich diesen Monat schon zweimal versetzt, das kam sonst nie vor. Und du bist durch die letzte Prüfung gerasselt, obwohl das dein Lieblingsfach ist.' Sie sah mich besorgt an. 'Hol dir professionelle Hilfe, wenn du schon keine freundschaftliche annimmst.' fügte sie hinzu und ich sah ihr an, dass sie verletzt war. Insgeheim wusste ich, dass sie recht hatte. In letzter Zeit hatte ich keinen Kopf für das Studium, kam zu spät, schrieb schlechte Noten, hatte das Gefühl, dass mir alles zu viel ist. Die Studienberatung könnte mir vielleicht Möglichkeiten aufzeigen, wie ich weniger Stress habe. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen schossen, fast hätte ich ihr mein Herz ausgeschüttet, all die Ängste und die große Belastung einfach rauslassen... doch ich schüttelte meinen Kopf, riss mich zusammen und meinte 'Ich überleg's mir.'. Sie wusste, dass das ein Nein war und ich ein Sturkopf. 'Na dann, lass uns die Route vom letzten Mal versuchen.' lenkte schließlich sie ein.
Wir waren schon fast zwei Stunden in der Halle, ich konnte meine Energie und den Frust an den Routen rauslassen und abschalten, als wir an einer besonders kniffligen Route saßen. Schon fünf Mal war ich an dem selben Griff gescheitert, meine Freundin kam gar nicht so weit. Mein Ehrgeiz ließ mich einfach nicht aufgeben, obwohl meine Kraft in den Händen langsam nachließ. Zwei andere Kletterer setzten sich neben uns, ein Mann und eine junge Frau, und sahen sich die selbe Route an. Nachdem meine Freundin wieder gescheitert war, versuchte der Mann es und schaffte die Route auf Anhieb. So ein Mist, dachte ich, wie macht der das nur? Ich war sofort angespornt, es zu schaffen. Es klappte schon viel besser als die ersten Versuche, doch am selben Griff rutschte ich wieder ab. Der Mann hatte sich wieder auf die Matte gesetzt und mir zugesehen. Beschämt und erschöpft setzte ich mich daneben. 'Wenn du deinen Fuß an dem kleinen Griff drehst, kannst du deinen Körper näher an die Wand bringen. So schaffst du es vielleicht.' meinte der Mann neben mir freundlich. Ermunternd sahen mich die beiden fremden Kletterer an. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. 'Ich schaffe das alleine!' schrie es in mir. Meine Freundin lächelte den beiden zu und versuchte es: sie kam an ein paar für sie knifflige Stellen, auch hier gab der Mann Tipps und unterstütze sie. Nach zwei Versuchen schaffte sie es schließlich. 'Danke für die Hilfe!', sagte sie, 'Ohne die Tipps hätte ich es nicht geschafft' meinte sie mit einem zwinkern zu mir. Sollte ich wirklich meinen Stolz hinter mir lassen, der Stolz, der mich bisher so weit gebracht hat? Sollte ich die Hilfe annehmen, von einem Fremden? Auf der anderen Seite ging es um nicht viel, eine Route unter vielen. Ich gab mir einen Ruck. Den Anfang der Route konnte ich mittlerweile wahrscheinlich im Schlaf, doch als der knifflige Griff kam, spürte ich meine Schweißdrüsen schneller arbeiten. Den Fuß drehen, wie soll das gehen? Unelegant und mit wackligen Knien brachte ich meinen Fuß dazu, sich zu drehen – und hatte plötzlich einen viel sicheren Stand und musste weniger Kraft für meine Hände aufbringen. Ich schaffte die Route nun endlich. Etwas stolz und dem Mann dankbar setzte ich mich erschöpft neben die drei anderen. Wir kletterten noch ein paar Routen zusammen und halfen uns gegenseitig. Es war ein toller Nachmittag und wir verabschiedeten uns mit dem Wunsch, dass unsere Wege sich hoffentlich mal wieder kreuzen.
Nun ist es Nacht. Ich liege im Bett und denke über diese kurze, oberflächliche Begegnung nach. Ich kenne nicht einmal die Namen der beiden Kletterer. Und doch bin ich ihnen dankbar, etwas neues gelernt zu haben: Manchmal – aber bestimmt nur ganz manchmal, meint mein Stolz dazu – ist es einfach nötig, Hilfe anzunehmen. Sollte ich die Studienberatung doch mal anfragen? Was habe ich zu verlieren?