Veröffentlicht: 08.11.2020. Rubrik: Spannung
Der Ring
"Der Stein, glatt poliert wie eine Platte, ich kann keine Vertiefungen spüren."
Pater Gregor’s Finger gleiten immer wieder über alle Wände und suchen nach Anzeichen für einen geheimen Mechanismus.
"Ist es eine Tür zu einem Raum, oder doch nur eine Art Schrein die sich offenbart?"
Gregor ist voll konzentriert und geht systematisch vor. Seit mehr als als dreißig Jahren sucht er ihn, den Ring des Heiligen Nicolaus.
"Spinner haben sie mich genannt, Reliquienjäger oder Einen der Kindergeschichten glaubt. Der Ring soll vor Unglück und Krankheiten schützen, auch wenn der Wunsch für Andere ausgesprochen wird."
Seine Glaubensbrüder haben nur ein Kopfschütteln für ihn übrig und es gab mehr als einmal Bestrebungen ihn von der Kirche auszuschließen.
"Mein Glück, einen so mächtigen Freund im Vatikan zu haben, der seine Hand schützend über mich hält." Gregor lächelt, "In der Bibliothek des Vatikans habe ich in einem alten Buch von der Existenz des Ringes gelesen und seitdem bestimmt die Suche mein Leben. Ich spüre es, heute ist der Tag der Tage, Gott wird mir helfen."
"Was ist das?" Eine verschwommene Bewegung, drei Meter vor ihm, lässt Gregor das Blut in den Adern gefrieren. Er kann es nicht genau erkennen, aber er spürt die Anwesenheit eines Tieres im Raum. Langsam fährt seine rechte Hand in die Hosentasche und er holt das Handy raus. Zwei mal tippen und das Licht am Gerät ist an.
Eine Cobra, aufgerichtet blickt sie drohend zu ihm rüber.
"Jetzt keinen Fehler machen, sonst war es mein Letzter."
Die Schlange wippt und zischt bedrohlich.
Langsam gleitet seine linke Hand Stück für Stück nach hinten, während er mit dem Handy in der Rechten, weiterhin in Richtung des Tieres leuchtet.
Eine Klinge zerschneidet geräuschlos die Luft, bevor sie in der Schlange, unterhalb des Kopfes stecken bleibt.
"Auf diese Entfernung treffe ich mit dem Messer alles, selbst eine Fliege."
Dann tastet er weiter die Wand ab.
"Der erste Ort, an dem ich den Ring versteckt glaubte, die französische Basilika, in der auch ein Finger vom Heiligen Nicolaus liegt. Das wäre viel zu einfach gewesen, so leicht lässt sich so ein Heiligtum nicht finden. Den Heiligen Gral hat bisher auch noch niemand geborgen."
Viele Bücher hatte Gregor gelesen und mit noch mehr Menschen gesprochen, die ihm Hinweise für seine Suche geben sollten.
"Dr. Jones, diese großartige und bekannte Archäologe, der selbst auf der Suche nach Schätzen ist, hat mich schwer enttäuscht.
‚Artefakte haben Geheimnisse, manchmal ist es besser sie nicht weiter zu suchen und da zu lassen, wo sie sind‘, hat Jones gesagt und ist selbst der größte Jäger."
Seine Hand gleitet über die Wand.
"Ein Raum von fast zehntausend, der in der Verbotenen Stadt liegt, mitten in Peking. Es war ein Wunder die Genehmigung zum Besuch zu erhalten."
Gregor’s Hand stoppt, bleibt in der Bewegung stehen.
"Etwas ist auf meiner Hand."
Ganz still steht er, die Minuten kommen ihm wie eine Ewigkeit vor. Erst als wieder dieses Etwas vom Handrücken weg ist, macht er zum zweiten Mal das Licht an seinem Handy an.
Er sieht noch, wie ein Skorpion im Dunkel des Palastzimmers verschwindet.
Noch mehr Zeit vergeht, Gregor ist kurz vorm Aufgeben, als seine Finger über eine nur zwei Zentimeter große, kreisförmige Vertiefung in der Wand rutschen. Er zögert keine Sekunde und drückt fest darauf. Dann ist Reiben von Stein auf Stein zu hören und eine Tür in der Wand geht auf.
Ihm schlägt modriger Geruch entgegen.
Gregor zündet sich, eine extra für diesen Augenblick, mitgebrachte Fackel an.
"Wenn sie erlischt muss ich raus."
Vierzig Stufen sind es bis zum Ende der Treppe. Ein Keller, dreißig mal dreißig Meter liegt unter der Erde. Als er durch den Raum läuft, fliegen zahlreiche Fledermäuse an seinem Kopf und Körper vorbei, streifen ihn, bevor sie durch ein Loch in der Decke verschwinden, durch dass, das fahle Licht des Mondes scheint.
Skulpturen, Gefäße aus Ton, goldene Ketten und andere archäologische Schätze liegen herum.
"Endlich, das muss er sein. Ein Ring mit eingravierten Kreuzen in einer schlichten Steinschale."
Zufrieden steckt sich Gregor den Ring an den Finger und verlässt den verborgenen Keller, im verbotenen Palast.
Was er nicht weiß, ein Virus hängt an ihm, der später den Namen Corona bekommen wird.