Veröffentlicht: 15.09.2020. Rubrik: Märchenhaftes
AUSRANGIERT
für LOBBER
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Vieles lässt sich aufhalten. Nicht aber der Fortschritt.
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Vorsichtig sah sich die alte Schreibmaschine um.
„Wo bin ich?“, dachte sie.
Alles um sie herum war in finsterste Dunkelheit gehüllt. Der Geruch von Technik aber war unverkennbar. Schritte und ein plötzlicher Lichteinfall ließen sie aufschrecken. Blitzartig versuchte sie die Umgebung zu erforschen. Das Ergebnis war niederschmetternd. Sie befand sich in einer riesigen Tonne mit Schrott. Man hatte sie von heute auf morgen ausrangiert. Einfach ausrangiert. Einfach so.
„Hey, Kumpel! Kopf hoch“, hörte sie da eine Stimme sagen.
„Noch ist nicht aller Tage Abend.“
„Wer spricht da?“, fragte die Schreibmaschine.
„Ich bins Mann, das beste Wortergänzungsprogramm aller Zeiten!“
Dummschwätzer mochte die Schreibmaschine am liebsten.
„Das Beste aller Zeiten, also. Aber wieso hat man dich dann ausrangiert?!
„Die neuen Comps passten einfach nicht zu mir. Waren halt nicht kompatibel.“
Die Schreibmaschine lächelte. Große Klappe, aber irgendwie nett der Kleine.
„Ruhe, ihr da! Es geht nicht allen so gut wie euch zwei.“
Die Schreibmaschine und das Wortergänzungsprogramm verstummten. Neugierig sahen sie sich um. Mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, offenbarte sich ihnen unvorstellbares Leid. Manch anderen hatte man wirklich böse mitgespielt. Die sahen wahrhaftig so aus, als hätte man sie gegen die Wand geworfen oder wäre längere Zeit auf ihnen herum gesprungen.
„Komm Kleiner, lass uns ein bisschen schlafen. Danach geht es uns bestimmt gleich besser.“
Die Schreibmaschine hatte gelogen und sie wusste es. Nur allzu oft schon hatte sie von diesen riesigen Verschrottungsanlagen gehört, in denen alles auf langen Fließbändern unter mächtigen Betonwalzen innerhalb von Minuten in ihre kleinsten Bestandteile zerlegt wird. Trotz des Stöhnens der Angeschlagenen schliefen die beiden bald darauf ein.
Ein Ruckeln und Poltern weckte sie. Die Tonne wurde auf die Ladefläche eines Autos verladen und abtransportiert. Die Fahrt war holprig und lang, die Hitze unerträglich.
Dann, endlich! Der Wagen stoppte, der Deckel wurde entfernt und der gesamte Inhalt in stählerne Behälter gekippt. Ängstlich hielt sich das Wortergänzungsprogramm an der Schreibmaschine fest. Anschließend wurden sie sortiert. Hoffnung keimte in der alten Schreibmaschine auf. Das Wortergänzungsprogramm war in der Zwischenzeit tief in sie hineingekrochen, hatte sich in ihr versteckt.
„Ziemlich clever, der Kleine“, dachte die Schreibmaschine, sagte aber nichts.
Früh am nächsten Morgen nahmen sie samtige Hände hoch, trugen sie hinaus und stellten sie auf einen einfachen Holztisch. Das Wortergänzungsprogramm aber bekam von alldem nichts mit. Ratzte, was das Zeug hielt.
„Hoffentlich hört den Kleinen keiner“, dachte die Schreibmaschine und lächelte.
Die Kirchturmuhr hatte soeben sieben geschlagen, als sich quietschend die Tore öffneten und Menschenmassen über den Platz auf sie zu rannten. Ein Knabe, um die zehn, war der schnellste von ihnen. Kaum, dass er die Schreibmaschine erblickt hatte, bekam er große Augen. Sofort nahm er sie in seine Arme und rief:
„Die hier, Opa! Die hier! Das ist genau die Richtige! Die will ich haben.“
Der Knabe stöhnte. Großvater war wie immer der Letzte. Ein kurzer Handel und der Knabe konnte die Schreibmaschine als sein Eigentum betrachten.
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Sein Vater hatte von der Firma einen neuen Computer bekommen und seinen Alten daraufhin Großvater geschenkt, für den dieser auf Grund dessen fortschreitenden Arthritis eine große Erleichterung darstellte.
„Endlich! Nie mehr Bleistiftspitzen!“,
hatte Großvater erfreut gesagt und alle hatten gelacht, außer dem Knaben. Hatte er doch fest mit Vaters altem Computer gerechnet.
Mit verweinten Augen war er eingeschlafen. Aber gemeckert hatte er nicht. Seiner Mutter war es allerdings nicht entgangen uns so wurde Tags darauf der Familienrat einberufen. Schnell war man sich einig. Der Knabe sollte eine Schreibmaschine bekommen. So hatte sein Vater schließlich auch damals angefangen.
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Vorsichtig nahm der Knabe die Schreibmaschine aus der Kiste und stellte sie auf den Tisch. Voller Stolz betrachtete er sie. Und alsbald glänzte sie wie an ihrem ersten Tag. Fortan hegte und pflegte er die alte Schreibmaschine, als wäre sie etwas ganz besonderes. Aber genau das war sie. Denn immer wenn der Knabe mal nicht mehr weiterwusste, mittendrin ein Wort vergaß und angestrengt versuchte sich dessen Rest ins Gedächtnis zu rufen, tippte die alte Schreibmaschine auf irgendwie magische Art einfach weiter. Und ehe sich der Knabe versah, konnte er fortfahren. In der sicheren Gewissheit, dass es sich hier nur um einen Zauber handeln konnte, schwieg der Knabe und behielt sein Geheimnis für sich.
Das Wortergänzungsprogramm und die Schreibmaschine aber blieben für immer Freunde, und wenn sie nicht verschrottet wurden, so schreiben sie noch heute.
BECU