Veröffentlicht: 30.12.2017. Rubrik: Spannung
Kommissar Kuhlmann und das Krähendorf
Kommissar Kuhlmann war in der Verbrecherwelt seiner rheinischen Großstadt gefürchtet. Er pflegte jede Lüge zu entlarven, was er nicht nur seiner langen Berufserfahrung verdankte, sondern oft auch seiner breitgefächerten Allgemeinbildung.
Wieder einmal saß er einem festgenommenen Mordverdächtigen gegenüber. „Ich war’s nicht!“, behauptete dieser. „Ich war zu der fraglichen Zeit überhaupt nicht hier, sondern in einem kleinen Dorf bei Berlin.“ Er nannte den Namen und fügte hinzu: „Bei den Einheimischen heißt es nur Krähendorf. Meine Schwester ist vor kurzem dort hingezogen, und eigentlich wollte ich sie besuchen, aber leider war sie nicht da. Das war aber nicht so schlimm, denn vor allem interessierten mich die Krähen. Von denen wimmelt es da nur so.“
„Krähen?“, fragte der Kommissar. „Wie sahen die denn aus?“
„Nun, wie Krähen eben aussehen! Kennen Sie diese schönen pechschwarzen Vögel nicht?“
„Rabenkrähen? Doch, die gibt es in dem Park, an dem ich wohne, auch.“
„Ich liebe diese Tiere!“, schwärmte der Festgenommene. „Sie sind nicht nur wunderschön, sondern auch sehr klug –“
„Wahrscheinlich klüger als Sie!“, unterbrach Kuhlmann ihn brüsk. „Hören Sie jetzt auf mit Ihrem Märchen vom Krähendorf.“
„Wieso Märchen?“, entrüstete sich der Verdächtigte. „Sie können im Internet nachsehen, das Krähendorf gibt es wirklich!“
„Nicht nötig. Es mag ja sein, dass dieses Dorf existiert und dass Ihre Schwester dort hingezogen ist. Aber SIE sind niemals dort gewesen.“
„Wie können Sie so etwas behaupten?!?“
Kommissar Kuhlmann konnte sich ein maliziöses Grinsen nicht verkneifen. „Weil Sie von pechschwarzen Vögeln sprachen. Wenn Sie tatsächlich in einem Krähendorf bei Berlin gewesen wären, wüssten Sie, dass die Krähen dort nicht pechschwarz sind. Die Rabenkrähe, die wir hier im Rheinland kennen, gibt es nur westlich der Elbe. Ihre Zwillingsart östlich der Elbe ist grau-schwarz und heißt Nebelkrähe.“