Veröffentlicht: 13.12.2017. Rubrik: Persönliches
Ego-Shooter
Folgen sie dem Panzer bis zur südlichen Station, positionieren sie sich dann hinter dem markiertem Gebäude. Warten sie auf weitere Befehle.
Ich befolgte die Aufgabe und klickte wild auf meine linke Taste der Maus und steuerte meinen Charakter in seiner tarnfarbenen Garnitur durch die Wüste. Die Pfeiltasten auf meiner Tastatur wurden regelrecht misshandelt, so stark hämmerte Ich drauf los. Ich positionierte meinen Charakter Minuten später wie in der Aufgabe lautete hinter dem markierten Gebäude. Ich wartete auf den nächsten Befehl.
Sehr gut Soldat! Suchen sie nun das Waffenlager, lassen sie sich nicht erwischen, wir legen unsere ganze Hoffnung in Sie.
Ich nahm einen Schluck von meiner Coca Cola Dose und begann auch diese Aufgabe zu erledigen. Ich steuerte also meinen Soldat hinter die Barriere und hinter dieses Fahrzeug und hinter diesen Stein und hinter...
Terminiert! Sie haben die Aufgabe leider nicht geschafft. Letzter Speicherpunkt wird geladen... Folgen sie dem Panzer bis zur südlichen Station, positionieren sie sich dann hinter dem markiertem Gebäude. Warten sie auf weitere Befehle.
Ich schmiss die Maus beiseite und starrte auf meinen Soldat der dem wegfahrenden Panzer hinterher sah. Ich war jetzt schon gefühlte 5.Stunden dabei diese Aufgabe zu erledigen. Ich nahm wieder einen Schluck aus der Cola Dose und sah meinen Soldaten von allen Seiten an. Eben war seine Kleidung noch von wenigen Blutflecken bedeckt und kaum wird man wiederbelebt in diesem Spiel ist alles so als wäre nichts gewesen.
Ich holte tief Luft und zündete mir eine Zigarette an. Mir gingen in diesem Moment viele Gedanken durch den Kopf. Wieso spielt man eigentlich sowas? Wieso schießt man Menschen tot? Wieso kommst du nur im Spiel weiter wenn du tötest? Und wieso überhaupt endet das Spiel nicht, wenn du stirbst? Natürlich, die Antwort ist, es ist ja nur ein Spiel! Und was ist wenn es das nicht wäre? Wie wäre es im richtigen Leben mit einer Waffe in der Hand in tarnfarbenen Garnitur hinter einem Panzer in der heißen Wüste hinterher zu rennen und aufzupassen, dass man nicht erschossen wird? Mir wurde kurz schlecht bei diesem Gedanken. Was ist eigentlich wenn du erschossen wirst? Du bist tot. Einfach tot. Du wirst liegen gelassen in der Wüste, keiner der sich um deinen Tod schert. Und du wirst nicht jedesmal wiederbelebt und fängst bei 0 wieder an oder besser gesagt, bei deinem letzten Speicherpunkt. Du wirst von den Geiern gefressen. Deine Augen werden dir rausgepickt und deine Innereien werden den Wüstenboden überdecken.
Ich erhob mich und drückte den ESC-Knopf meiner Tastatur und das Hauptmenü öffnete sich. Ich klickte auf Beenden und fuhr den PC runter. Ich fand keine anderen Gedanken mehr, als mein Spiel mit der Realität zu vergleichen. Was wäre wenn...
Was mussten die Soldaten im Krieg ertragen ohne die Hoffnung wieder aufzuerstehen und neu anfangen zu können und nicht sterben zu können. Nie sterben zu können... Wenn du erschossen wurdest, warst du tot und fertig aus und welche Ängste mussten sie haben erschossen zu werden, welche Qualen mussten sie ertragen, wenn sie getroffen wurden und elendig verendeten. Wie erfuhren es ihre Familien, die Eltern? erfuhren sie es überhaupt? Gab es eine Todesliste der gefallenen Soldaten? Ich war gerade mal 18 Jahre jung und machte mir über sowas einen Kopf.
Ich machte mich fürs Bett fertig und legte mich hinein. Nach einiger Zeit stand ich wieder auf und machte meinen PC an. Ich versuchte wieder meine Mission zu schaffen, diesmal mit dem Gedanken, du stirbst und bist tot und kannst nicht mehr neu starten. Ich wäre 100x gestorben im richtigen Leben. Ich wäre ein schlechter Soldat gewesen, ging es mir durch den Kopf und ich beendete mein Spiel wieder. Ich öffnete Google und tippte über die Bildersuche tote Soldaten ein. Die Bilder die mir vor die Augen kamen waren schrecklich. Beinlose junge Männer am Boden, junge Männer, deren Gesichtshälften von Granatsplittern entstellt waren. Junge Männer deren Bauchräume aufgesprengt waren. Männer mit mehreren Schusswunden am ganzen Körper. Die Männer waren tot und konnte nicht wieder neu anfangen am letzten Speicherpunkt des Lebens. Es gab ja nicht mal einen Speicherpunkt des Lebens.
Meiner wäre wohl der gewesen, bevor ich diese Bilder aufgerufen hätte. Meine Alpträume waren vorprogrammiert. Nein Danke dachte ich mir und schaltete den TV ein. Es gab eine Doku über den Krieg. Als ob mich das Thema sogar danach verfolgen würde. Und die Batterie meiner Fernbedienung gab auch den Geist auf. Also um überhaupt mich zu beschäftigen, sah ich mir die Doku an. Hier ein Toter, da ein Toter, überall Tote. Ich machte nach geschätzten 30 Minuten den TV aus und legte meinen Kopf ins weiche Kissen ab und schloss meine Augen. Die Bilder der entstellten Soldaten schossen mir direkt wieder in den Kopf. Verdammt nochmal, wieso bringt man sowas nicht in die +18 Ego-Shooter Spiele mit ein? Ganz einfach, es würde die Welt schocken! Aber den Charakter sterben zu sehen im Spiel oder deine Mitmenschen die du erschießen musst, um überhaupt weiterzukommen ist ok? Im Spiel hast du keine Art Gefühle nichts ist so wie die reale Welt und dahinter versteckte ich mich jahrelang, bis ich diese Gedankengänge bekam.
Ich gedenke allen toten Soldaten auch wenn ich keinen einzigen Namen kenne und nicht weiß, wie sie umkamen und wie lange sie noch geatmet haben, bevor auch ihr Herz aufhörte zu schlagen.
Als ich meine Augen wieder öffnete, stand mein Opa vor mir, in seiner tarnfarbenen Garnitur und seiner Waffe in der Hand. Hübscher junger Soldat war er, gefallen im Krieg, getroffen von 4 Kugeln die ihn zu Boden zerrten. Er stand nicht wieder auf und durfte wieder bei 0 anfangen wie der junge Soldat in meinem Ego-Shooter Spiel...