Kurzgeschichten-Stories
Autor
Schreib, wie du willst!
Startseite - Registrieren - Login - Kontakt - Impressum
Menu anzeigenMenu anzeigen
hab ich gern gelesen
geschrieben 2013 von John Martinsky.
Veröffentlicht: 12.07.2020. Rubrik: Unsortiert


Die bedenkungslose Kunst

Eine Sprachkantate:
Für Sprechsoli und gemischten Doppelsprachchor

„Die bedenkungslose Kunst“

Chor der kunstkritischen Journalisten und erster Solist

Einst war er ein Trottel und hat sich geplagt!
Nun ist er ein Fachmann und weiß was er sagt!

Er spricht von der Psyche, von Freud und von Mann!
Er ist der Große, der all das ersann!

Der Künstler ist glücklich! Nun weiß er genau,
was er da geschaffen, in grün, rot oder blau!

Der Kleine, der Stinker, ist fett wie ein Schwein!
„Ich bin doch das Kunstwerk! Nur ich ganz allein!“

Sie schütten mit Eimer den blutigen Schleim!
Er wälzt in der Gülle – wie ein suhlendes Schwein!

Dann bespringt er die Leinwand, wie ein brünstiger Stier!
„Ich bin ja sein Pinsel! Ich bin ja das Tier!“

Die Leute, sie jubeln! Sie freuen sich sehr!
Die Presse, sie filmt sie! Nun sind sie auch wer!

Die Kritiker schreiben; Transzendent sei das Werk!
Die Entartung vollkommen! Sie ruht auf dem Berg!


Rezitativ und Arie des ersten Solisten:

„Meine Kunst ist doch Scheiße! Nur das allein zählt!
Ich liebe die Menschen, vor allem ihr Geld“.

„Ich spucke, ich pinkle, ich liebe den Dreck!
Die Leinwand muss stinken, wie faulender Speck!“

„Dem Pöbel die Arbeit! Mir gebt das Geld!
Ich bin ja ein Künstler, ein Gott dieser Welt!“

„Warum soll ich denn schwitzen? Ich bin doch nicht dumm!
Ich schaffe ja Kunstwerk und das Drumherum!“

„Ich saufe und hure und zähle mein Geld!
Ich bin ja ein Künstler! Ein Liebling der Welt!“

„Mein Werk ist gottähnlich! Seht ihr das nicht?
Dann fehlt euch die Weisheit, das göttliche Licht!“

„Ich schmiere, ich spuke, im psychischen Wahn!
Das Werk ist entstanden, wie ich es ersann!“

„Ich lüge genauso, genauso wie ihr!
Kauft meine Bilder oder verpisst euch von hier!“


Chor der kunstkritischen Journalisten:

Das Bild ist nun fertig! Nun wird es bedacht!
‚Was hat denn der Meister da wirklich gedacht?’

Er nahm viele Bücher! Er las auch darin!
Dann war es gefunden! Nun verstand er den Sinn!

Er beschreibt nun sein Schaffen! Das muss auch so sein!
Nur so bleibt das Kunstwerk auch makellos rein!


Refrain: Chor der Kunstschaffenden:

Die Kunst ist ja göttlich! Die Kunst muss so sein!
Sie verlangt doch kein Denken! Nur Schauen allein!

Das Schauen ist wichtig! Dann kommt auch das Geld!
So schaffen wir Werke! So liebt uns die Welt!

Ob sinnvoll, ob sinnlos! Danach fragt doch kein Schwein!
Für uns zählt nur eines! Euer Geld – ganz allein!


Rezitativ und Arie des zweiten Solisten:

‚Die Pejorative, sie war plötzlich da!
Sie inaugurierte! Sie sprach und ich sah!’

‚Ich sah das Unerfahrbare! Ich sah auch den Schein!
Mein Selbstmissverständnis! Das muss auch so sein!’

‚Der Verstand hat verwunden! Die Differenz war nun da!
Ich malte mit Farben, die ich niemals sah!’

‚Die Pejorative! Sie führte die Hand!
Sie lenkte mein Sinnen und auch den Verstand!’

‚Ich wurde ihr Diener, ich kniete vor ihr!
Das Werk ist gelungen! Ihr sehr es ja hier!’


Chor der kunstkritischen Journalisten:

Sie malt mit dem Pinsel Elegant und grazil!
Das Nichts will sie malen! Das Nichts ist ihr Ziel!

Das Werk ist vollendet! Die Leinwand blieb rein!
Das Nichts sieht nach nichts aus! So muss es auch sein!


Arie des Erzählers:

Gelogen wird mächtig! Betrogen wird viel!
Das ist nicht nur in der Kunst ein gängiger Stil!

Die Leute, sie glauben, sie fressen den Schrott!
Der Meister, der Große! Er ist nun ihr Gott!

Sie leiden mit ihm, wenn stuhlieren nicht geht!
Ihr Künstler! Der Arme! Da hilft nur Gebet!


Refrain: Chor der Kunstschaffenden:

Die Kunst ist ja göttlich! Die Kunst muss so sein!
Sie verlangt doch kein Denken! Nur Schauen allein!

Das Schauen ist wichtig! Dann kommt auch das Geld!
So schaffen wir Werke! So liebt uns die Welt!

Ob sinnvoll, ob sinnlos! Danach fragt doch kein Schwein!
Für uns zählt nur eines! Euer Geld – ganz allein!


Chor der kunstkritischen Journalisten:

Ein Pünktchen im Zentrum! Ein Strichlein ganz fein!
Ein Loch in der Leinwand! So muss es auch sein!

Dann kommt noch ein Pflaster! Großmächtig und rot!
Das Werk ist vollkommen! Es heißt nun: „der Tod“!

Die Leute, sie staunen und fassen es nicht!
Was der Meister geschaffen, durch göttliche Sicht!


Refrain: Chor der Kunstschaffenden:

Die Kunst ist ja göttlich! Die Kunst muss so sein!
Sie verlangt doch kein Denken! Nur Schauen allein!

Das Schauen ist wichtig! Dann kommt auch das Geld!
So schaffen wir Werke! So liebt uns die Welt!

Ob sinnvoll, ob sinnlos! Danach fragt doch kein Schwein!
Für uns zählt nur eines! Euer Geld – ganz allein!


Chor der kunstkritischen Journalisten:

Der Junge schon Meister! Er sticht mit der Hand!
Löchlein für Löchlein und das mit Verstand!

Die Leinwand ist löchrig! Bepinkelt noch nicht!
Das wird dann getätigt! Aus mystischer Sicht!


Arie des Erzählers:

Sie kommen und staunen und verstehen es kaum!
Was da entstanden, im psychischen Traum.

Die Händler, die Sammler, sie kommen daher!
Sie kaufen und kaufen, bald gibt es nichts mehr!

Ob groß oder schmierig! Ob leer und ganz klein!
So hat auch ein Kunstwerk beschaffen zu sein!

Der Meister, er freut sich, er reibt sich die Hand.
Er malt nach Bedürfnis, er schafft mit Verstand!

Die Gottheit gekommen! Der Mob jubelt sehr!
Die Nähe zur Gottheit! „Was willst du noch mehr?“

Der Schein überm Kopfe! Das zeichnet ihn aus!
„Jauchzet und singet! Dann spendet Applaus!“


Arie des Meisters:

„Wir haben die Freiheit, die ihr nie bekommt!
Wir sind eure Träume! Betet und frommt!

Ihr kniet vor dem Bilde? Ich hab es gemacht!
Ihr glaubt an den Inhalt? Das ist doch gelacht!

Ich malte die Gottheit! Nackt war die Frau!
Ich malte, ich geilte! Ich weiß es genau!

Wir kämpften, wir rangen! Wir stöhnten gar sehr!
Dann war es vorbei! Wir konnten nicht mehr!

Das Werk war dann fertig! Wir staunten nicht schlecht!
Ich nannte es „Geilheit“! Das ist auch mein Recht!

Nun kniet ihr vor dem da! Ich hab ihn gemacht!
Ich hab ihn gemalen! Mit bombastischer Pracht!


Refrain: Chor der Kunstschaffenden:

Die Kunst ist doch göttlich! Die Kunst muss so sein!
Sie verlangt auch kein Denken! Nur Schauen allein!

Das Schauen ist wichtig! Dann kommt auch das Geld!
So schaffen wir Werke! So liebt uns die Welt!
Ob sinnvoll, ob sinnlos! Danach fragt doch kein Schwein!
Für uns zählt nur eines! Euer Geld – ganz allein!


Die Stimme der Meister:

Der Pöbel, die Sammler, sie öden mich an!
Sie kaufen die Werke, weil ich sie ersann!

„Lass sie doch kaufen, so ist doch die Welt!
Sie wollen die Bilder, wir dann ihr Geld!“


Chor der kunstkritischen Journalisten:

Der Meister, er nagelt die Stifte hinein.
Die Leinwand zerrissen, das muss auch so sein!

Die Nägel verrosten! Sie rosten dahin!
Das ist dann ein Kunstwerk! Verborgen ihr Sinn!

Nun ruht es im Tempel! Museum genannt!
Der Kustos erklärt es! Spricht mit Verstand!


Refrain: Chor der Kunstschaffenden:

Die Kunst ist doch göttlich! Die Kunst muss so sein!
Sie verlangt auch kein Denken! Nur Schauen allein!

Das Schauen ist wichtig! Dann kommt auch das Geld!
So schaffen wir Werke! So liebt uns die Welt!

Ob sinnvoll, ob sinnlos! Danach fragt doch kein Schwein!
Für uns zählt nur eines! Euer Geld – ganz allein!


Monolog des Erzählers:

Ob Papst oder Mao! Ob groß oder klein!
Die Welt, die sie lieben! Will doch betrogen sein!

So schaffen sie weiter! In heiliger Pflicht!
Mit Finger, mit Pinsel! Im göttlichen Licht!

Der Eine verwendet den knackigen Po!
Er sitzet und presset, wie auf dem Klo!

Sein Abbild ist mächtig! Das Bildnis ist groß!
Der Kunde, der kauft es! ‚Was denkt er da bloß?‘

Der Dicke, er pinkelt! Er pinkelt ganz fein!
„Das Werk ist vollkommen!“ „So soll es auch sein!“

Der Dünne, der Meister, er spuckt einfach hin!
„Das ist ja fast heilig! Welch göttlicher Sinn!“

Dann gibt es den einen! Legt Holz auf den Stein!
‚Oh göttliche Kunst! So musst Du auch sein!‘

Er, dieser Denker, er denkt Es nur bloß!
Der Sammler, er kauft Es! Nun ist er Es los!


Refrain: Chor der Kunstschaffenden:

Die Kunst ist ja göttlich! Die Kunst muss so sein!
Sie verlangt doch kein Denken! Nur Schauen allein!

Das Schauen ist wichtig! Dann kommt auch das Geld!
So schaffen wir Werke! So liebt uns die Welt!

Ob sinnvoll, ob sinnlos! Danach fragt doch kein Schwein!
Für uns zählt nur eines! Euer Geld – ganz allein!


Monolog des Erzählers:

Der Gelbe, der Dürre, er kratzt seinen Po!
Damit malt er das Bild dann und nennte es „das Klo!“

Die Nächste im Bunde, sie nimmt Seife-ganz-fein!
Sie wäscht so die Leinwand! Das Bild heißt dann „rein!“

Der Draht ist gebogen! Nun klebt er am Stein!
„Was soll das bedeuten?“ Das weiß Gott allein!

Der Meister entfremdet! Er weiß noch nicht was!
Er malt die Entfremdung und das macht ihm Spaß!

Der Künstler zersägt ihn, den Stuhl mit Bedacht!
Dann nennt er sein Kunstwerk: „Es ist nun vollbracht!“

Der Dunkle, Berühmte, er malt einfach los!
Das Werk ist entstanden! „Wie heißt es denn bloß?“

Die Wanne zum Baden! Ein Werk! Kolossal!
„Siehst Du den Rost? Er ist überall!“

Der Rost ist das Kunstwerk! Der Rost ganz allein!
„Welch tolle Idee!“ Das muss auch so sein!

Siehst du das Auge? Mittig geklebt!
Das Aug‘ ist entfremdet! Drum blickt es gequält!

Schön sind die Brüste! Doch da sind ja Drei?
Die Anzahl pro Busen, sind doch nur zwei?

Der Künstler blickt tiefer! Sieht Dinge allein!
Du kannst das nie sehen! Das muss es auch sein!


Refrain: Chor der Kunstschaffenden:

Die Kunst ist ja göttlich! Die Kunst muss so sein!
Sie verlangt doch kein Denken! Nur Schauen allein!

Das Schauen ist wichtig! Dann kommt auch das Geld!
So schaffen wir Werke! So liebt uns die Welt!

Ob sinnvoll, ob sinnlos! Danach fragt doch kein Schwein!
Für uns zählt nur eines! Euer Geld – ganz allein!


Monolog des Erzählers:

„Er betrachtet den Nachttopf!“ Dies Foto zeigt’s an!
Es kostet Millionen! „Du zweifelst daran?“

Was macht es so teuer? Das Werk ist es nicht!
Es ist nur sein Name! Im göttlichen Licht!

Sie lesen und glauben! So muss es auch sein!
Die Dummen, die Blöden? Sie sind nie allein!

„Je größer mein Name, desto höher der Preis!
Was ich auch mach! Ist doch bloß nur Scheiß!“

Die Leute, sie kaufen! Sie zahlen sehr viel!
Es ist wie im Lotto! Ein phantastisches Spiel!

Dann gibt es die Wahren, die Großen der Welt.
Sie wurden geschaffen, von Menschen mit Geld!

Die sagen, was Kunst ist! Das glaubt jeder gern!
Die Künstler, die Götter? Sind ja so fern!

So kommen die Käufer und zahlen viel Geld!
„Ob Schrott oder Blödsinn! So ist doch die Welt!“

Ein Phallus wird Kunstwerk! Er ist nicht allein!
Im ‚Museum moderne‘ „Geh‘ nur hinein!“

„Du siehst hier das eine! Das Ding heißt „gemein“!“
Es steht auf dem Sockel! So muss es auch sein!

Dort fragte ein Kleiner: „Was soll denn das sein?“
„Das weiß nur der Meister! Seine Gottheit allein!“

„Ich bin auch ein Künstler, genauso wie er!“
Auch wenn er dies ruft! Seine Kassa bleibt leer!

So tümpeln die Kleinen leer durch die Welt!
Die Wahren, die Großen, sie haben das Geld!

Der Verstand ist verschwunden! „War er je hier?“
Das ist nun die Frage! „Stelle sie dir!“

„Blick in den Spiegel! Was siehst du darin?“
Das ist die Frage! „Ja, was seh‘ ich darin?“


Refrain: Chor der Kunstschaffenden:

Die Kunst ist ja göttlich! Die Kunst muss so sein!
Sie verlangt doch kein Denken! Nur Schauen allein!

Das Schauen ist wichtig! Dann kommt auch das Geld!
So schaffen wir Werke! So liebt uns die Welt!

Ob sinnvoll, ob sinnlos! Danach fragt doch kein Schwein!
Für uns zählt nur eines! Euer Geld – ganz allein!


Abschiedsarie des Erzählers:

Wer weiß schon was Kunst ist? Mann oder Frau?
Keiner weiß wirklich! Niemand genau!

So sei jeder Künstler! Ob groß oder klein!
Sein Geist ist der Schöpfer! Das muss auch so sein!

Die Presse, die Gute, sie erwählt ihren Gott!
Der Pöbel nimmt dankbar diesen geistigen Schrott!

Die Affektion eines Künstlers, ist das, was er schafft!
Ist Rezeption! In passiver Pracht!

So ist auch verstehbar! Verwiesen sein Sein!
Das Berührtwerdenkönnen erkennt er allein!

So schwebt er in Sphären! Göttlich! Mit Schein!
So hat auch ein Künstler, der Künstler zu sein!

Da wird alles heilig und auch nicht bedacht!
Die Werke! Das Neue! Das Geld hat die Macht!

Dann ist er gestorben! Im Wahn und allein!
Es sei ihm gedankt! So muss es auch sein!

Der Wert seiner Werke steigt phänomenal!
Die Sammler, sie kaufen! Sie sind überall!

Das sind die wahren! Die großen der Welt!
Sie krepieren elendig! Doch bringen sie Geld!

Wir trauern, wir weinen, wir fühlen die Not!
Der Meister, der Arme! Nun ist er doch tot!

Der Sinn seines Lebens? Wen kümmert das wohl?
Er wollte so leben! Soll er doch, soll!

Es interessiert keinen Menschen! Der tiefere Sinn?
Was soll ich da fragen? Er ist ja schon hin!


Schlusschor aller Beteiligten:

Singt Halleluja! Preiset die Welt!
Lobet die Künstler! Und her mit dem Geld!

Öffnet die Börsen! Öffnet sie weit!
Dann werden wir Künstler! Zum Schaffen bereit!

Bereit für das Kunstwerk, geboren in Dir!
Für dich – mein süß Lämmchen – bin ich ja nun hier!

Amen oder so!

counterhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

Weitere Kurzgeschichten von diesem Autor:

Die Scheidung