Veröffentlicht: 18.04.2020. Rubrik: Menschliches
Neulich an der Tanke - Karolines Missgeschick
„Also, was ich dir noch erzählen wollte,“ begann meine Kollegin Karoline. Der erste Kundenandrang war vorbei und nun hatte ich die Ruhe und Nerven zuzuhören. Eine nette Geschichte war sogar eine willkommene Abwechslung nach diesem turbulenten Vormittag.
Denn es ging heute immerzu weiter.
Kunden rein Kunden raus, Kunden rein, Kunden raus.
„Bitteschön? Was kann ich für sie tun? Die 2 oder 4? Nein, ich meine welche Zapfsäule? (Was hat er wohl gedacht, was ich mit 2 oder 4 meine?) Haben sie Payback?
Kaffee schwarz? Milch, Zucker? Wie viel? Entschuldigen sie, wie viel Milch und Zucker? Zwei Milch? Ach doch drei? Ach so, vier, in Ordnung. Ach so, vier Zucker und doch drei Milch. Nein, zwei? Bitteschön. Payback? 2,20. Da fehlt noch ein Euro. Nein das ist kein Zweieurostück. (meine Nerven sind heute morgen scheinbar nicht so stark)
Vier Mettbrötchen, drei Käse und drei Salami? Nein, auf den Käsebrötchen ist nur Butter. Ach so, lieber Remoulade?“ (Warum immer diese Extrawünsche? Kann man nicht einfach das essen was angeboten wird? Manches mal überkommt mich einfach so die Lust Weitwurf mit Brötchen zu spielen) Ein kurzer Blick auf die Schlange die sich bis zum Ausgang schlängelt. Kurze Feststellung dass die Brötchen gleich aus sind. „Kommen sofort.“ Im Turbo, begleitet von ächzenden und raunenden Lauten aus der Menge, zaubere ich drei Käsebrötchen mit Remoulade. „Auch eine Paybackkarte?“
„Zwei Marshmallow für skrikk,“ verstehe ich. (ich glaube ich brauche dringend eine Pause) „Bitte?“ „Michellinreifen für skrakk“ „Latte Macchiato?“ Ich gehe zur Kaffeemaschine und schaue den Kunden ratlos an. „No, No. Marsupilami für skrukk,“ zeigt er wild gestikulierend zum Zigarettenregal. Nacheinander zeige ich auf die verschiedenen Marken die in den Reihen stehen. Dann endlich. Volltreffer! „Ja, Ja! Machu Picchu! Machu Picchu!“ hüpft er in die Hände klatschend. „Ach so, Marlboro,“ erleichtert tupfe ich mir die Stirn. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung ist von der Schlange stehende Menschenmenge zu hören. „Welche Größe?“ Zur Anschauung halte ich ihm zwei Schachteln hin. „Acht oder zehn Euro?“ „Skrikk, skrikk!“ „Also die Zehner. Zweimal?“ Ich nehme zwei Schachteln. „ No,No!“ kommt es wieder. Die ausladenden Handbewegungen lassen mich raten dass es sich um zwei Stangen handelt. In veranschaulichender Geste mit den Händen, als wenn ich Maß nehmen würde frage ich laut und langsam „STANGEN?“ Leuchtende Augen. „Ja,ja!“Ich flitze ins Lager, greife mit der einen Hand zwei Stangen Marlboro, mit der anderen reiße ich den Froster auf und ergreife eine Tüte tiefgefrorene Brötchen. Renne zurück, schmeiße die Tüte im Vorbeiflug auf die Arbeitsplatte.
„Bitteschön, der Nächste.“ „Da hinten.“ Der ältere Herr hat den Blick fest auf die Eingangstür gerichtet und deutet mit den Fingern auf ein in der Ferne liegendes Objekt. „Sie haben getankt?“ mutmaße ich. „Jaja, dahinten.“ „Vielleicht die 7?“ „Nein, nein. Der Rote.“ Ein Blick nach draußen. Drei rote Autos. Also Taktik ist gefragt. „Kann es die 4 sein?“ Ich zeige ganz bewusst in Richtung der Zapfsäule. „Jaja. Vier.“ „Die 4 ist mir,“ meldet sich ein junger Mann, brav den Finger hebend, aus der Reihe. Bleiben noch die Nummer 2 und 6 zur Auswahl. „Dann vielleicht die 2?“ Der ältere Herr lächelt mich nickend an. Vorsichtshalber frage ich in die Menge „Hat jemand die 2 ?“ Eine junge Frau in der Schlange meiner Kollegin hebt die Hand, „die habe ich. Soll ich rüber kommen?“ „Nein,nein. Alles gut.“ Ausschlussverfahren beendet. Die 6 hat gewonnen. „Das macht 47,68. Payback?“ „Was soll ich?“ „Ob sie eine Paybackkarte haben wollte ich wissen.“ „Nein, so was habe ich nicht. Aber ich habe es klein. Sie brauchen doch sicher Kleingeld hier.“ Ehe ich etwas sagen kann ist der Inhalt des Portemonnaies schon auf den Ablageteller gekippt. „68 Cent?,“ er fängt umständlich an zu zählen, „ Fünf, zehn, fünfzehn...“ Ein verzweifelter Blick des dahinter stehenden Kunden, der zu sagen scheint: 'Rette mich' erhascht mich.
Meine Chance. Ich stürze zur Arbeitsplatte, verteile in aller Eile die Brötchen auf Bleche und schiebe sie in den Ofen. „66,“ vernehme ich just in diesem Moment. „Ich habe nur 66 Cent.“ Bestürzte Blicke aus der Kundenschlange richten sich auf mich. „Ist nicht schlimm,“ rette ich die Situation. „Aber es fehlen noch zwei Cent.“ „Das macht nichts. Es ist in Ordnung.“ Ich beende den Verkaufsvorgang und überreiche dem alten Herrn den Beleg. Er sucht jedoch noch in seinem Portemonnaie herum und zeigt mir dann eine Karte. „Ich habe aber noch Playback.“ „Das geht jetzt nicht mehr. Ich habe sie doch vorhin nach einer Paybackkarte gefragt.“ „Warum warten sie denn nicht? Ich war doch noch nicht fertig. Sie hätten mich doch fragen können,“ kommt es entrüstet. Einen kurzen Moment überlege ich ob ich mich auf eine Diskussion einlasse, ein Blick in die lynch süchtigen Augen der Menge verriet mir, dass die Stimmung deutlich zu kippen drohte und es gesünder wäre dies zu unterlassen.
Karoline warf mir einen mitleidigen Blick zu, ihre hervorquellenden Augen ließen aber darauf deuten, dass sie auch schon das Level 'ich packe gleich meine Sachen und gehe einfach nachhause' erreicht hat.
„Ich brauche jetzt erst mal einen Kaffee,“ schnauft Karoline als der erste Kundenandrang nachgelassen hat. „Und Nervennahrung.“ Mit den Worten schüttet sie das fünfte Päckchen Zucker in den Kaffee setzt noch eine Extraportion Milchschaum darauf. Sie schließt den Deckel und schlürft genüsslich ihren Kaffee während ich versuche das leergefegte Bistro wieder aufzufüllen.
„Also, was ich dir noch erzählen wollte,“ Karoline kam wieder nicht zu ihrer Geschichte. „Ein Kaffee,“ brummte jemand vor ihrer Kasse. „Das muss ich dir unbedingt erzählen. Du glaubst nicht was mir schon wieder passiert ist,“ flüstert sie mir zu, dann zum Kunden gewandt, „groß, mittel, klein? Zucker, Milch?“ „Mittel, schwarz und ohne Deckel.“ Während ich die Mettbrötchen mit Zwiebelringen und Schnittlauch garniere nehme ich aus dem Augenwinkel wahr wie der Kunde seinen Kaffeebecher in Empfang nimmt ihn ausdrucksstark von der Seite beäugt und dann kopfschüttelnd zum Ausgang geht.
Ich kichere, Karoline hat offensichtlich doch einen Deckel auf den Becher gemacht. Ich spinkse über die Bistrovitrine und sehe wie der Mann im Hinausgehen einen großen Schluck aus dem Becher nimmt. Wieder skeptisches Beäugen und Kopfschütteln. Im Außenbereich die gleiche Prozedur: trinken, zweifelnd den Becher betrachten, kopfschütteln. Dann geht er seines Weges.
„Also,“ beginnt Karoline, „du glaubst ja nicht wer mich letzte Woche angerufen hat.“ Dabei läuft sie unruhig ihren Kassenbereich auf und ab. „Ich war so überrascht, dass ich gar nicht wusste was ich sagen sollte,“ nun wurde sie etwas nervöser, „und das einfach so. Nach so langer Zeit. Tut so als wenn nix gewesen wäre.“ Jetzt springt sie wie ein aufgebrachtes Huhn herum, lugt in die Ecke, bückt sich in die Regale und schreitet suchend die Schränke unter dem Zigarettenbereich ab. „ Das gibt es doch nicht. Wo habe ich denn meinen Kaffee hin getan?“ Ich drehe mich um zur Kaffeemaschine. Da steht ein Kaffee, mittel, schwarz und ohne Deckel. Karoline folgt meinem Blick, hebt die Hände ins Gesicht „Um Gottes Willen! Ich habe dem Mann doch glatt meinen Kaffee verkauft!“