Veröffentlicht: 28.03.2020. Rubrik: Persönliches
Sei doch kein Frosch
Sportlich war ich eigentlich immer – nicht nur des Berufes wegen. Joggen gehört seit 50 Jahren zu meinen liebsten Freizeitaktivitäten. Es macht mich gedanklich frei und sorgt gleichzeitig dafür, dass meine Jeansgröße seit etlichen Jahrzehnten 33/32 lautet. Vor kurzem habe ich online bei einem Discounter zu einem guten Preis auch noch ein Ergometer erworben. „Ziemlich praktisch, wenn es draußen regnet“, so mein Eindruck.
Und seit kurzem habe ich auch wieder zum Wasser zurückgefunden. In den 90er-Jahren war ich Stammgast im Hallenbad und habe mit großer Ausdauer zwei Jahre lang täglich mindestens 30 Minuten lang meine Bahnen geschwommen. Dann endete die Karriere, weil meine damals schon grauen Haare durch den Chlorgehalt einen Grünstich annahmen, was zu großem Gelächter bei meiner besseren Hälfte führte. Wenn ich so weitermachen würde, wäre ich bald ein Frosch, lautete ihre Prophezeiung.
Jetzt im Ruhestand schöpfe ich neuen Mut, zumal die Therme gerade einmal fünf Fußminuten von unserem Haus entfernt ist. Eine weitere Motivationshilfe: Unsere Jüngste, Katharina, hatte mir drei Gutscheine zu einem jeweils zweistündigen Besuch zum Berufsende geschenkt.
Ich betrete also die Räumlichkeiten der Therme und sofort sind Erinnerungen von früher wieder präsent: die feuchtwarme Luft in der Eingangshalle. Ansonsten hat sich auf dem Weg zu den Schwimmbecken nicht viel verändert. Die Umkleidekabinen sind immer noch eng, aber erstaunlicherweise mit noch nicht abgerissenen Spiegeln versehen. Die Kleidungsstücke werden auch heute noch in einem schmalen Spind deponiert, der nicht mehr mit einem Schlüssel, sondern mit einem Chip verschlossen wird. Gleich vom ersten Augenblick fällt mir im Badebereich ein großer Unterschied zu früher auf. Während meiner ersten Schwimmphase sind die Menschen des Schwimmens wegen in die Badeanstalt gegangen. Heute, in Zeiten des Wellness-Booms, entwickelt sich der Besuch einer Therme zu einer langwierigen Angelegenheit. Man soll sich entspannen. Im und außerhalb des Wassers. Die verschiedenen Attraktionen in den modernen Wasserwelten interessieren mich allerdings weniger. Ich will nur schwimmen. Mehr nicht. Erstaunt stelle ich fest, dass meine Mitstreiter im Wasser allesamt noch einige Jahre mehr auf dem Buckel haben als ich.
„Badetag für die Grauen Panther“, sage ich mir und werde gleich von einem Mitschwimmer angesprochen.
„Auch schon in der Sauna gewesen?“
Ich verneine, während mir mein Badefreund erzählt, zur Kur in der Stadt zu sein und aus Dortmund stammt.
„Aha“ sage ich und ergänze: „Ich bin von hier weg.“
„Interessant“, so die Antwort, die ich nicht nachvollziehen kann.
Ich frage aber nicht nach, da ich nur schwimmen will. Meine Small-Talk-Abneigung zeigt Wirkung. Der Kurgast aus dem Revier wendet sich einem anderen „Grauen Wolf“ zu.
„Haben Sie auch Rücken?“
Der Angesprochene, sichtlich hocherfreut über die Abwechslung, sagt „Ja“.
Ich entferne mich mit kräftigen Zügen von den Beiden und stelle fünf Minuten später fest, dass ihr Redefluss weiter ungebremst verläuft. Da haben sich zwei Gleichgesinnte gefunden, denke ich mir. Einige Meter entfernt bildet eine Gruppe von sechs Hausfrauen ein Hindernis auf meiner geplanten Bahn. Ich bin neugierig geworden, schwimme auf der Stelle und frage mich, ob sie auch Rücken haben. Eher nicht, muss ich feststellen. Sie lachen fast die ganze Zeit, lästern über ihre Männer und geben sich gegenseitig Ratschläge, was denn mittags auf den Tisch kommen könnte. Etwa zehn Meter von mir entfernt fällt mir ein junges Paar auf, das zu dieser vormittäglichen Stunde so gar nicht in diesen Kreis passt. Mit strahlenden Gesichtern sind sie liebevoll mit ihrem Kleinkind beschäftigt, das mit Schwimmflügeln erste Erfahrungen mit dem nassen Element Wasser macht. Bei diesem Anblick lächele auch ich und werde ein wenig wehmütig. Es ist schon so lange her, dass Alina und Katharina diese Erfahrungen gemacht haben. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Ich muss mich sputen, um die Zwei-Stunden-Marke nicht zu überschreiten. Wieder daheim stelle ich fest, dass mir der Thermebesuch sehr gut gefallen hat. Es waren zwei kurzweilige Stunden. Weitere Besuche werden folgen, zumal Kirsten am Abend bei mir keinen Grünstich im Haar feststellt. Den Frosch hat sie diesmal – aufgrund einer leichten Erkältung im Hals.