Veröffentlicht: 31.08.2017. Rubrik: Lustiges
Die Hühner der Söhne Noahs
VORWORT FÜR KRITISCHE LESER: Es ist unwahrscheinlich, dass Noahs Söhne tatsächlich Hühner hielten. Erst um das Jahr 2000 v.Chr. herum trafen die ersten Exemplare des domestizierten Bankivahuhns, der südostasiatischen Urform aller Haushühner, im Orient ein. Die biblische Sintflut dagegen fand, unterschiedlichen Datierungen zufolge, irgendwann zwischen 3268 und 2282 v. Chr. statt. Man betrachte es jedoch als dichterische Freiheit! Diese hat sich gerade im Zusammenhang mit der Arche Noah schon immer ausgetobt…
„Noah“, fragte die Ehefrau des Archebauers, „stimmt es wirklich, dass nur EIN Hahn und EINE Henne in die Arche dürfen?“
„Ja, das weißt du doch“, brummte der Angesprochene, ohne von seiner Bautätigkeit aufzusehen.
„Aber was sollen denn unsere Söhne mit ihrem Federvieh machen? Jeder von ihnen hat doch einen Hahn und sechs Hennen. Die Tiere von Sem sind alle weiß, die von Ham schwarz und die von Jafet braun. Welche zwei sollen denn überleben?“
„Diejenige Henne, die die meisten Eier legt. Und der dazugehörige Hahn.“
Seufzend ging Noahs Frau zu ihren Söhnen, um ihnen diese Auskunft mitzuteilen. Man wusste schon, dass die weißen Hühner am legefreudigsten waren. Also war Sems Hahn bereits für die Arche vorgemerkt. Welche seiner sechs Damen ihn würde begleiten dürfen, das würde erst kurz vorm Einzug feststehen. Sem und seine Frau erhielten den Auftrag, die Legeleistung ihrer Hennen genau zu überwachen. Zum Glück ahnte keiner der weißen, schwarzen und braunen Scharrer etwas von seinem bevorstehenden Schicksal.
Wenige Tage vor dem Einzug in die Arche war schließlich die Siegerin gekürt. Sie hatte nicht nur die meisten, sondern auch die größten Eier gelegt. Es war gut, dass ihre Gene in die Nach-Sintflut-Zeit hinübergerettet werden konnten. Dennoch hätten Sem, Ham und Jafet sowie ihre Gattinnen auch die übrigen Tiere gern behalten.
In der Arche bezog jedes der vier Ehepaare einen separaten Raum. Sem und seine Frau wollten Hahn und Henne bei sich wohnen lassen. Da man damals in puncto Hygiene noch nicht so pingelig war, hatte niemand etwas dagegen.
Drei Wochen später tat Sem sehr geheimnisvoll, als er den Raum seiner Eltern betrat. „Kommt mal mit! Ihr werdet nicht glauben, was ihr seht!“
Als Noah und seine Frau ihm folgten und er ihnen die Tür zu seinem Reich öffnete, stockte ihnen tatsächlich der Atem. Ihre beiden anderen Söhne sowie alle drei Schwiegertöchter standen dort und zeigten strahlend auf die weiße Henne, die in einer Ecke auf einem großen Nest thronte. Ihr Gefährte stand daneben und schien nicht recht zu wissen, was los war. Denn unter ihren Flügeln lugten neun kleine Wesen hervor. Noahs Frau fing sich als erste. „Das sind ja Küken! Warum habt ihr uns nie gesagt, dass sie brütet?“
„Das war unser Geheimnis“, lachte Sem. „Aber es gibt noch eine viel größere Überraschung. Stellt euch mal hier hin, von hier aus könnt ihr die Kleinen besser sehen. Fällt euch was auf?“
Seine Eltern folgten seinem Rat, aber da sie nie Hühner gehalten hatten, wussten sie zunächst nicht, was er meinte. „Irgendwas ist seltsam, aber ich komme nicht drauf, was es ist“, sagte Noah.
„Nun“, erwiderte Sem, „guck dir mal die Farben an. Normalerweise wären die Küken von zwei weißen Elterntieren doch alle hell –"
„Ja, stimmt! Und hier ist das anders! Die beiden hier vorne sind tatsächlich hell, aber das da ist braun, und das sogar schwarz… Woher kommt das?“
Ham und Jafet lachten. „Vater“, sagte Ham, „Gott hatte zwar bestimmt, dass nicht mehr als zwei Haushühner, Hahn und Henne, in die Arche durften. Aber er sagte nichts von BRUTEIERN…“
Staunend lauschten Noah und seine Frau dem Bericht ihrer Söhne. Als sich einen Tag vor dem Einzug in die Arche gezeigt hatte, dass die weiße Henne brütig war, hatte Sem nicht nur drei Eier seiner eigenen Hühner, sondern auch je drei Eier von Hams und Jafets Tieren mitgenommen. Es war nicht ganz einfach gewesen, die Glucke in die Arche zu verfrachten, aber alles hatte geklappt.
Gott hat den Eierschmuggel nie kommentiert. Er hat ihn weder gerügt noch gelobt. Aber er ließ die dunklen Küken und ihre Nachkommen ebenso gedeihen wie die hellen. Im Laufe der Jahrtausende kamen durch Kreuzung noch weitere Varianten hinzu. Die Vielfarbigkeit unserer heutigen Haushühner verdanken wir somit letzten Endes den Söhnen Noahs, denn ohne ihre Pfiffigkeit gäbe es nur noch weiße.