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geschrieben von Manfred Ende (Manfred Ende).
Veröffentlicht: 17.02.2020. Rubrik: Historisches


Der Landfilm kommt

Der Landfilm kommt...
Das Gasthaus stand in der Mitte des Dorfes. Protzig, aber mit graugelbem, schmutzigen Putz, - es sah aus wie einer, der sich seit hundert Jahren nicht gewaschen hat. Fugen und blass rote Steine wurden sichtbar, Flecken, die riesigen Landkarten ähnelten. Der Krieg hatte sie bemalt, und jetzt, fünf Jahre danach, waren die runden Geschosseinschläge noch immer zu sehen. Drinnen, vom Gastraum durch eine Schiebetür getrennt, befand sich der große Saal, der im Winter mit zwei eisernen Öfen beheizt wurde. Durch die Tür links neben der Bühne zwängte man sich in eine winzige Herrentoilette. Dort ging es so eng zu, dass vornehmlich an den Dorftanzabenden, die alkoholisierten Männer Mühe hatten, ihrem Nebenmann nicht auf die Hosenbeine zu pinkeln. Die Tür rechts neben der Bühne führte in die Künstlergarderobe. Hier entkleideten und verkleideten sich die Kleindarsteller, Schulkinder mit Theateraufführungen und die ehemals Berühmten aus der Großstadt, die sich in diesen Zeiten nicht zu fein waren, für eine Kiepe Kartoffeln aufzutreten. Hunger macht demütig, und wenn sich der alte, zerschlissene, faltenreiche Vorhang für sie öffnete, waren alle Bewohner des Dorfes im Saal und vergaßen für ein paar Stunden Not und Ärmlichkeit.
Wir Kinder freuten uns auf einen ganz besonderen Tag in der Woche, auf den Freitag. Denn da kam der Landfilm ins Dorf. Es wurden die riesigen Fenster mit Bettlaken und Pferdedecken verhangen, damit es kein Lichtstrahl wagte, unser Kinoerlebnis zu stören. Fast war es wie im Krieg, als die Fenster wegen der feindlichen Flieger verdunkelt werden mussten.
   Der Kintopp-Fritze, wie wir den Herrn Filmvorführer nannten, kam nie pünktlich und manchmal kam er überhaupt nicht. Wir hatten, neben dem Eintrittsgeld von einer Mark, eine Menge Geduld mitzubringen. Kino war ein unkalkulierbares Risiko in jener Zeit und die Frage: Kommt er oder kommt er nicht, stellten wir uns alle paar Minuten.
Wenn er endlich auftauchte, mit seinem dreirädrigen Auto, das wir die Dreikantfeile nannten, entlud sich ein heller Schrei aus vierzig, fünfzig Kinderkehlen.
   »Hurra, Kintopp-Fritz is da! Der Kintopp-Fritze!«, schrien wir.
   Die Antwort war ein Pfiff auf der Trillerpfeife, was soviel bedeutete, wie: Alle Kinder ran, wir haben keine Zeit zu verlieren. Denn zwei Stunden später bereits war die nächste Vorstellung im Nachbarort.
   Wir luden also eilig die Kisten und Schachteln vom Auto, behängten die Fenster, rückten Holzbänke zurecht und sorgten dafür, dass der Herr Vorführer sein Erfrischungsbier bekam. Er hatte schließlich, wie er jedes Mal erzählte, unterwegs einen Reifen flicken müssen. Ja, das Material in dieser Zeit. Der Filmnachmittag wäre nicht normal verlaufen, gewesen, Wäre nicht wenigstens viermal in der Vorstellung der Film gerissen.
   Unser dann abklingendes oooooooooch, wenn die Blitze kreuz und quer über die Leinwand zuckten, war so normal, wie der Hunger, der uns regelmäßig plagte.    Dem Vorführer hatten wir ein neues Bier zu bringen, während er den Film flickte.
Die zehn Minuten Zwangspause nutzten wir Jungen, um unseren weißen Mäusen, die wir in der Hosentasche hatten, einen zwischenzeitlichen Auftritt zu gestatten.    Und während die Tierchen munter auf ihr Dasein aufmerksam machten, die Mädchen kreischend auf den Tischen und Bänken standen, schrillte wieder die Trillerpfeife. Der Mann hinterm Vorführgerät hatte erheblich Mühe, wieder Ordnung im Kinosaal einkehren zu lassen. Er schrie, pfiff, drohte mit Abbruch, warf mit Bierdeckeln nach uns und verteilte zu guter Letzt Ohrfeigen, um uns wieder in den Griff zu kriegen.
   Wir sammelten wieder die Mäuse ein, zogen hier und da noch mal an den Zöpfen der Mädchen, was die mit hellem Geschrei quittierten. Endlich herrschte wieder einigermaßen Ruhe im Saal und der nun schon leicht beschwipste Vorführer brachte wieder seinen Apparat zum Surren. Der Film, meist ein russischer Märchenfilm, fand seine Fortsetzung, bis zum garantiert nächsten Filmriss.
Ja, so war das damals mit dem Dorfkino....

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