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1xhab ich gern gelesen
geschrieben von Weißehex.
Veröffentlicht: 09.01.2020. Rubrik: Unsortiert


ZAZ-Geschichten

Ich erinnere mich: Die Bibliothekarin hatte ein Wort dafür. Ich war wohl 13 oder 14 Jahre alt, schon zu alt für Kinderbücher. So las ich die Erwachsenenromane, die ich nicht immer verstand. War etwas allzu verstörend, redete ich mit der Bibliothekarin, einer netten und verständnisvollen alten Dame darüber, wenn ich das Buch zurück gab.
„Das Buch hat mir aber gar nicht gefallen! So traurig.... die Frau wird von ihrem Mann verlassen, dann stirbt auch noch ihr Kind. Und am Schluss kommt sie mit ihrem Mann wieder zusammen. Warum sind sie dann erst auseinander gegangen?"
Die Bibliothekarin nickte. „Ja, das sind solche Geschichten, die gibt es öfters. Ich nenne sie O-Bein-Geschichten." Sie zeichnete mit den Händen in der Luft ein Bild. „Erst sind sie zusammen." Die Hände verharrten in der Stellung nebeneinander. „Dann geht es auseinander." Jede Hand machte eine ausladende Bewegung zu der jeweiligen Seite. „Dann kommen sie wieder zusammen." Sie legte die Hände wieder nebeneinander und lächelte mich an. Ich lächelte zurück, fühlte mich verstanden und dachte auf dem Heimweg über O-Bein-Geschichten nach.

Heutzutage nennt man das Konflikt und heutzutage sollte eine Geschichte einen Konflikt enthalten, mit denen die Protagonisten sich auseinandersetzen müssen. Vielleicht sollten sie ihn auch lösen. Am Konzept, das die Bibliothekarin damals gut durchschaute, hat sich nichts geändert: erst zusammen, dann auseinander, dann wieder zusammen. ZAZ-Geschichten: zusammen, auseinander, zusammen. Kann man auf Geschichten über Paare anwenden, muss man aber nicht. Freundschaft passt auch. Erst Freunde, dann Feinde, dann wieder Freunde. Oder umgekehrt. Auf alle Fälle ist erst einmal alles in Ordnung. Dann werden sich die Protagonisten über etwas nicht einig, streiten sich und werden zu Gegnern. Und wenn der Autor friedliebend ist, kommen sie am Schluss der Geschichte wieder zusammen. Und wenn nicht, bleiben sie Gegner und es kommt zu vielen Fortsetzungen. Bis der Autor die Nase voll hat und einen von beiden sterben lässt. Oder erwachsen werden lässt. Das sind zwar keine ZAZ-Geschichten, sondern ZAG-Geschichten: Zusammen, auseinander, Gegner. Aber die Formel kann man sich trotzdem merken.

Die Bibliothekarin lebt natürlich schon lange nicht mehr. Aber in meinem Gedächtnis hat sie einen Ehrenplatz. Damals fing ich an, intensiv über Geschichten nachzudenken.

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