Veröffentlicht: 02.11.2019. Rubrik: Unsortiert
Eine Liebe für immer
Es war eine schöne Hochzeit. Das ganze Dorf feierte mit. Edi strahlte und seine Emma mit. Man konnte beiden ihre unendliche Freude anmerken. Ja, die rassige Braut war auch eine Ausnahme in der ganzen Gegend. Dunkles Haar, fast schwarze und fröhliche Augen und volle Lippen ließen manche blonde Schönheit in ihrer Umgebung ganz schön blass aussehen. Treu ihrem südländischen Äußeren war auch Emmas Temperament. Mancher junge Mann könnte über ihre Ausbrüche Romane schreiben. Edi war auch deswegen auf seine Emma stolz. Ihre Geradlinigkeit und Aufrichtigkeit schätzte er besonders. Heute war seine Begeisterung nicht ganz so groß. Wieder einmal gab es Streit. Vieles änderte sich im Laufe der letzten Jahre, nur das Temperament von Emma nicht. Eigentlich schon, und zwar, was die Ausdrucksweise anging. Hier konnte man eine enorme Steigerung feststellen.
„ Hör endlich auf!“,bat Edi. Seine Bitten, Beteuerungen und Versprechen prallten an seiner Emma regelrecht ab. Alles, was er eigentlich wollte, war seine Ruhe.
„Du bist der größte Versager, den ich in meinem Leben kennen gelernt habe!“, schrie sie. „Wo wäre ich heute ohne dich!“
„Wahrscheinlich in der Gosse, wo du hingehörst!“ Die Reaktion von Edi war auch für Emma ziemlich heftig. Es folgte eine kurze Pause, in der die temperamentvolle junge Frau nach neuen Angriffspunkten suchte, um ihren Mann zu beleidigen. Bevor sie weiter reden konnte, war Edi bereits draußen im Gang und lief die Treppe hinunter. Die Dorfwirtschaft war nicht zu weit und so endete der Streit bei einigen Gläsern Bier und Schnaps in der alten Gaststätte.
„ Wo hast du deine Frau gelassen?“, wollten einige Saufkumpane von ihm wissen. Doch niemand kam auf die Idee, dass das glücklichste Ehepaar in der Gemeinde im Streit leben könnte. Edi überspielte alles mit einigen lustigen Bemerkungen, bestellte ein paar Runden auf seine Rechnung. In seinem stets logisch denkenden Gehirn reifte bereits zu diesem Zeitpunkt ein Plan, der sein künftiges Leben verändern sollte. Spät in der Nacht dieses besonders kühlen Monats Februar kam Edi nach Hause. Die Stille im Haus war fast erdrückend, doch nur gefühlsmäßig. Es war eher die Anspannung, die Edi nur falsch interpretierte. Seine Frau lag im Bett, halb aufgedeckt und leicht schnarchend. Ihre linke Brust lag entblößt neben der leichten Decke. Eigentlich schade, dachte Edi. Emma war, abgesehen von ihrer stets schlechten Laune, eine Augenweide für jeden gesunden Mann. Die Gedanken unterbrach plötzlich Emmas verschlafene Stimme: „Bis du auch mal da?“ Dann bemerkte sie, dass er ihre Brust anstarrte. „Davon kannst du ab jetzt nur noch träumen, du Depp!“ Sie wusste eben, dass sie noch für viele Männer der Inbegriff von Schönheit und Erotik war. Sie drehte sich um und so blieb Edi nur noch eins und zwar das gemeinsame Schlafzimmer zu verlassen. Nach mancher durchzechten Nacht schlief er meistens im Wohnzimmer. Die bequeme Couch bot genug Platz sogar für zwei. Früher endete der Tag für die zwei mit einem wilden Sexspiel hier im Wohnzimmer. Heute konnte Edi nicht schlafen. Bis in die Morgenstunden saß er auf der Couch und dachte über seinen Plan nach. Draußen zeigte die Sonne nach mehreren Tagen, dass sie noch da ist und Edi war endlich am Ziel.
Der Schlag, den er ihr versetzte, unterbrach abrupt nicht nur Edis Gedanken. Auch Emma schlief nicht mehr, denn sie lag nun bewusstlos in ihrem zerwühlten Bett. Kein Tropfen Blut floss aus der Kopfstelle, die sie Edis brutalem Schlag verdankte. Nur nicht jetzt die Fassung verlieren! Dieser Satz schwirrte zum wiederholten Mal durch Edis Kopf. Um auf Nummer sicher zu gehen, drückte er Emmas Kehle mit seiner linken Hand richtig zu. Er war schon immer sehr stolz auf die Kraft in seinen Fingern. Dann holte er aus Emmas Kommode ein paar Kleidungsstücke heraus und fing an, Emma anzuziehen. Während dessen stellte er zufrieden fest, dass er ganze Arbeit geleistet hatte. Emma rührte sich nicht. Langsam veränderte sich ihre Haut. Seltsam, dachte Edi, jetzt sieht sie nicht einmal besonders anziehend aus. Zum Schluss überlegte er nur noch, ob er Emmas Wintermantel oder ihre neue Jacke mit Kapuze anziehen sollte. Er entschied sich für die Jacke. Nur die Kapuze störte ihn und so entfernte er mit einem Ruck die mit einem breiten Klettverschluss befestigte Kopfbedeckung. Er warf Emma wie einen Sack über die Schulter und lief die Treppe hinunter. Niemand konnte ihn sehen. Praktisch, wie er war, baute er vor einigen Jahren seine Garage so, dass er sie vom Flur aus erreichen konnte. Vor allem an regnerischen Tagen war diese Bauweise sehr vom Vorteil. Und heute regnete es zwar noch nicht, doch die Aussicht auf einen schönen Tag bestand durch den immer mehr grau werdenden Himmel nicht. Während der Fahrt zum Fluss schaltete Edi das Radio ein und konnte gerade noch das Ende des Wetterberichts mitbekommen Der andauernde Regen der letzten Tage ließ den Wasserpegel der Flüsse bis auf eine bis Dato nicht dagewesene Höhe ansteigen. Alles spielte heute richtig mit. Edi kannte eine besondere Stelle am Ufer des nun sehr gefährlich gewordenen Flusses. An dieser Stelle konnte er auch von zufällig vorbeilaufenden Joggern unsichtbar bleiben.
Hier am Ufer konnte man kaum noch richtig stehen. Seit Tagen stieg das Wasser um mehrere Meter und verwandelte einen harmlosen Bach in eine reißende Bestie, die alles mitnahm, was hinunterfiel. Es war für Edi daher gar nicht einfach, seine Emma herzubringen. Sie lag auf der einzigen trockenen Stelle und blickte zum immer schwärzer werdenden Himmel, als wäre es die letzte Chance für sie, ein paar Lichtstrahlen und die von der aufgehenden Sonne immer schwächer werdende Wärme aufzunehmen und zu speichern. Es war mit Sicherheit eine der letzten Möglichkeiten und der Winter beherrschte nicht nur sprichwörtlich die ganze Natur Gottes. Emma sah so aus, als hätte sie noch einmal mit voller Kraft einatmen wollen. Zur Freude von Edi hatte es nur den Anschein einer Atmung, weil Emma eben zu diesem Zeitpunkt bereits tot war. Die Kälte wurde allmählich unerträglich. Edi fror erbärmlich, vor allem deshalb, weil er beim Tragen der Toten ein bisschen schwitzen musste.
Hier an dieser schmalen Uferstelle wollte er sich des unerwünschten Körpers seiner ehemaligen großen Liebe entledigen. In einigen Minuten war es soweit. Er nahm den schweren Körper hoch und trug ihn ans Ufer.Es war ja höchste Zeit. Nur noch hier war der Fluss wegen des steigenden Wassers zu Fuß erreichbar. Edi legte den schweren Körper auf den nassen Untergrund, dann bückte er sich und versuchte Emma ins Wasser zu rollen. Der weiche Boden und der fehlende Halt für seine Füße zwangen ihn jedoch anders vorzugehen. Fast zärtlich umarmte er seine Emma wie in früheren Zeiten, hob ihren Oberkörper hoch und schob sie mit dem Knie näher ans Wasser. Plötzlich stockte ihm der Atem. War da nicht ein bisschen Glanz in Emmas Augen? Edi hätte schwören können, dass ihn seine Frau beobachtete. Auch ihr Mund verzog sich eigenartig, als hätte ihn ein Lächeln umspielt. Eben dieses Lächeln, das er so hasste, weil es so manche Demütigung dann seitens seiner Emma zu Folge hatte. „Lang wirst du mich nicht angrinsen!, dachte Edi und warf mit letzter Kraft den toten Körper seiner Emma ins Wasser. ……. Der Klettverschluss war wirklich von bester Qualität. Edis Ärmel löste sich nicht von Emmas Kragen und so fielen beide Körper in das kalte Wasser. Dies war nur bei Emma ohne Bedeutung. Beim Edi sah die Situation etwas anders aus. Sein schwaches Herz erstarrte durch die tiefe Temperatur und wie von einer eisigen Hand umklammert zog es ihn in die Tiefe. Sein linker Arm lag immer noch um den Hals von Emma wie in alten Zeiten, als die zwei fast jeden Tag ihre Liebe in die Praxis umgesetzt hatten. Sein letzter verzweifelter Blick galt dem Gesicht seiner Frau, die in dieser festen Umklammerung mit ihm zusammen unterging. Auch im eiskalten Wasser grinste Emma ihren Edi an und drückte ihre Nase gegen seine Stirn. Wie zwei Verliebte schwebten ihre Körper im Fluss und die Strömung trieb beide bis ans gegenüberliegende Ufer.
Dr. Lehmann brauchte nicht lange. Tod durch Ertrinken bei beiden, lautete seine Diagnose. Wahrscheinlich sind Edi und Emma beim Spaziergang entlang des Flusses ausgerutscht und ins Wasser gefallen. „Wie es aussieht, versuchte der Ehemann, seine Frau zu retten. Deswegen hat er den Arm um ihren Hals gelegt. Leider hat sie ihn dadurch mit ins Wasser gezogen!“ So stand es sinngemäß im polizeilichen Protokoll und keiner zweifelte an der Version. Ihre Liebe war stärker als ihr Tod! Nun sind sie für immer vereint. Nur die Liebe währt auf ewig…. So und ähnlich wurde in der kleinen Gemeinde der unglücklichen zwei gedacht und manche Träne floss bei dem Gedanken an Emma und Edi.
Auch der Pfarrer sprach bei der Beerdigung von unendlicher Liebe über den Tod hinaus.
Und niemand ahnte, dass noch stärker als die Liebe der Klettverschluss war,der eine unterbezahlte Schneiderin in Hongkong sorgfältig angenäht hatte.