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3xhab ich gern gelesen
geschrieben von rubber sole.
Veröffentlicht: 03.05.2024. Rubrik: Unsortiert


Worttransfer

Eine Wolke der Entspanntheit liegt über der Siedlung, über Gärten und Terrassen. So etwas gefällt mir. Ich fühle mich inzwischen wieder heimisch in diesem Vorort-Milieu einer Kleinstadt, in die ich nach vielen Jahren des Großstadtlebens - inzwischen als Ruheständler - zurückgekehrt bin, in das Haus meiner frühen Jugend. Dass sich in dieser Umgebung das Gefühl von gelebter Normalität so zügig bei mir entwickeln konnte, hat viel mit meinem Nachbarn Bodo zu tun, ein Freund seit frühesten Kindheits- und Jugendtagen. Als ob wir nie getrennt gewesen wären, verstehen wir uns prächtig, wenn wir entweder bei ihm oder bei mir zusammensitzen, bei schönem Wetter gerne im Garten oder auf der Terrasse, um mehr oder minder wichtige Geschehnisse zu bereden und Anekdotisches durchzuhecheln - häufig bis tief in die Nacht hinein. Diese 'Sitzungen' bedeuten mir viel.

Bodo ist ein unterhaltsamer Zeitgenosse, für den ich mitunter den Stichwortgeber spiele, und er dann das Leben aus seiner Sichtweise erklärt. Ich höre ihm gerne zu. Nur eine Angewohnheit mag ich nicht an ihm, die häufige Verwendung von angesagten Floskeln, wie 'Alles gut, alles gut', o.ä. Schlimmer ist für mich nur noch seine mitunter von englischen Begriffen überfrachtete Art der Sprache. So geht ihm zum Beispiel ein „Das Briefing wurde gecancelt“ unfallfrei über die Lippen. Und das ausgerechnet mir gegenüber, einem Sprachpuristen, der fast noch versucht ist, längst eingedeutschte Wörter wie Baby, T-Shirt oder Jeans umständlich ins Deutsche übersetzen zu wollen, und für den 'to go' immer noch 'zum Mitnehmen' heißt und Kinder nicht als 'Kids' bezeichnet werden müssten. Kurz gesagt, ich bin ein entschiedener Gegner des 'Denglisch'.

Doch kürzlich hat mich mein Freund Bodo überrascht. Er erzählte von seinem Aufenthalt im Wartezimmer einer Arztpraxis, wo er in diversen Zeitschriften blätterte, unter anderem in einem als anspruchsvoll bekannten Magazin. In diesem war die Rede von deutschen Lehnwörtern in der englischen Sprache. Bodo besitzt nur rudimentäre Fremdsprachenkenntnisse, wusste jedoch, dass das Wort 'Kindergarten', eins zu eins unübersetzt im Englischen benutzt wird. Von den vielen anderen Lehnwörtern hatte er dies nicht gewusst, und sich einige davon gemerkt, total überrascht, wie viele es tatsächlich gibt: Blitzkrieg, Götterdämmerung, Weltschmerz Berufsverbot oder auch Kummerspeck. Diese haben eines gemeinsam, sie sind nicht ohne Umschreibung zu übersetzen, weil sie neben dem reinen Wort auch einen sprachlich-emotionalen Hintergrund transportieren.

Noch erstaunter war Bodo, als der Autor eine lange Liste von deutschen Wörtern anführte, bei denen es sich zwar um keine Lehnwörter handelt, die aber ebenfalls nicht zu übersetzen sind. Von diesen blieben Schadenfreude, Torschlusspanik, Geschmacksverirrung, Fernweh oder auch Verschlimmbessern bei ihm besonders haften. Nach der Lektüre dieses Artikels war Bodo nachdenklich geworden. Nun, einige Tage und mehrere Gläser Rotwein später, versprach er mir, mit dem Gebrauch von Anglizismen, so nannte er sie tatsächlich, sparsamer umzugehen. Seine einzige Bedingung, er würde mich weiterhin mit meinem Spitznamen 'Rubber' im 'Originalton' auf Englisch ansprechen wollen; der ins Deutsche übersetzte Begriff würde ihm in dem Zusammenhang nicht über die Zunge kommen.

counter3xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Bad Letters am 04.05.2024:
Kommentar gern gelesen.
Hallo rubber sole,
die Vermischung der Sprache lässt sich nicht aufhalten. Besonders die Werbefachleute scheinen kein deutsches Wort mehr zu finden, was cool genug für ein neues Produkt ist. Aber was soll man sich beschweren, wenn man im Glashaus sitzt 😉

MfG
Bad Letters





geschrieben von rubber sole am 04.05.2024:

So ist es, Bad Letters,
Spracherneuerung, Sprachverschiebung, das gab es immer, meistens um eine Sprache zu bereinigen, zu vereinfachen. Voraussetzung ist, die Ausgangssprache sollte beherrscht werden; ein pseudo-modernes Kauderwelsch macht schlichte Gemüter noch schlichter. Was Werbefritzen hier allerdings abliefern, ist fast schon zu bewundern, wie sie in Köpfe nachhaltig eindringen.
l.g.r.s.




geschrieben von Bad Letters am 04.05.2024:
Kommentar gern gelesen.
Jede Generation scheint auf der Suche nach Abgrenzung und Eigenständigkeit ihre Einflüsse in der Sprache geltend machen zu wollen rubber sole. Zum Wohl der Sprache scheint das, meiner Meinung nach, nicht immer zu sein, aber immer noch besser, als sie von oben herab diktieren zu wollen, wie es beim Gendern geschieht. Was die Werbung angeht, die Psychologie des Menschen ist längst ein offenes Buch und wird nur noch vom Kommerz vergewaltigt.

MfG
Bad Letters





geschrieben von RudiRatlos am 04.05.2024:
Kommentar gern gelesen.
immer noch besser eine 'Rubbersole' als ne fernöstliche SilikonSohle. Gummi ist einfach langlebiger ...




geschrieben von rubber sole am 04.05.2024:

>RudiRatlos:
(...)Stimmt Rudi, Gummi ist besser, weil fest und sicher, wird aus Kautschuk gemacht, genau wie Latex, davon kann man gar nicht genug haben...
l.g.r.s




geschrieben von rubber sole am 04.05.2024:

>Bad Letters:
Interessant, dein Ausflug in das ernste Fach – darin finde ich eine etwas skurrile Aussage: Gendern wäre irgendwo DA OBEN erdacht worden und wird von dort verordnet. Das klingt nach 'Verschwörungstheorie light'. Tatsächlich entstand dieser Sprachanspruch in den Sechzigerjahren in der Frauenbewegung, also ziemlich weit UNTEN und kam sukzessive unter den Regierungen Kohl, Schröder und Merkel nach OBEN, von wo immer auf Machbarkeit nach UNTEN geschielt wurde, wg. Wählerstimmen. DIE DA OBEN, das kommt immer gut, aber autokratische Verordnungsmechanismen gehen anders. Ich persönlich halte die Diskussion ums Gendern für stark überzogen, fühle mich aber nicht von DENEN DA OBEN bedroht.
l.g.r.s.




geschrieben von Bad Letters am 04.05.2024:
Kommentar gern gelesen.
Deine Ausführungen sind vollkommen richtig rubber sole, meine Aussage bezog sich auf die heutige Situation und ich habe den Entstehungsprozess nicht mitbeleuchtet. Dass wäre ratsam gewesen, um einen verständnisvolleren Kommentar zu liefern mit weniger Interpretationsspielraum. Dein „in der Frauenbewegung, also ziemlich weit UNTEN“, birgt aus dem Kontext gerissen aber auch eine Menge Sprengstoff, je nachdem wer es liest und wie, ersiees verstehen möchte! 😉 Ich denke, in der Sache verstehen wir uns in etwa, ohne Abhandlungen in Romanform liefern zu müssen. Danke für das anregende Gespräch. 😊

MfG
Bad Letters


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