Veröffentlicht: 03.05.2017. Rubrik: Unsortiert
Die wahre Liebe?!
„… und dann küsste die junge, hübsche Prinzessin den kleinen, ekeligen Frosch. Augenblicklich verwandelte sich dieser in einen netten, gutaussehenden Prinzen. Die beiden verliebten sich unsterblich in einander und kurze Zeit darauf wurde eine prachtvolle Hochzeit am Königshof gefeiert. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich und zufrieden auf diesem besagten Schloss. Ende“, schloss ich meine Märchenstunde im Kindergarten der Marktgemeinde Oberndorf. Ich verbrachte sehr gerne meine Freizeit dort, um mich mit den Kindern zu beschäftigen. Ich liebte es ihre vor Freude strahlenden Augen zu beobachten. Wie leicht man doch etwas Glück mit anderen teilen und Kinder zum Lachen bringen konnte. Schon alleine den Kleinen im Kindergarten Geschichten und Märchen zu erzählen, ihnen Bücher vorzulesen oder einfach mit ihnen zu spielen und Zeit mit ihnen zu verbringen, bereitete mir viel Spaß. Außerdem war es nach einem anstrengenden Schultag genau das, was ich am Meisten brauchte. Auch heute lief ich nach meinem lustigen Nachmittag mit den Kids nach Hause. Da es schon Anfang November war dämmerte es bereits. Gott sei Dank hatte ich keinen weiten Weg zu laufen, denn als ich in meiner Straße ankam begann es schon zu Nieseln. Da ich nicht nass werden wollte beschleunigte ich meine Schritte. Gerade wollte ich die Haustüre aufsperren, als mir ein rotes, an mich adressiertes, Kuvert ins Auge stach. Schnellen Schrittes lief ich zum Briefkasten und zog den Umschlag heraus. „Merkwürdig“, dachte ich, „kein Absender. Von wem der wohl sein mag?“ Von Neugierde geweckt rannte ich auf schnellstem Wege in mein Zimmer. Auf der Treppe wäre ich beinahe mit meinem großen Bruder Luke und seiner neuen Eroberung, die sich gerade ausgiebig küssten, zusammengestoßen. Automatisch stöhnte ich genervt auf und verdrehte meine Augen. Konnten die zwei dabei, wenn sie schon nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wussten, nicht einfach in sein Zimmer verschwinden. Zwar fand ich es nicht sonderlich schlimm, dass mein Bruder so offen mit dem Thema „Beziehung“ umging, jedoch glaubte ich nicht an die große Liebe. Meiner Meinung nach existierten Prinzen eben nur in Märchen und dass wirklich zwei Personen für einander bestimmt waren, konnte ich mir kaum vorstellen. Die Tatsache, dass Luke ständig ein anderes Mädchen mit nach Hause brachte und unseren Eltern als seine neue Freundin vorstellte, bestätigte mir nur was ich schon lange wusste. Angesäuert stampfte ich an den beiden vorbei und marschierte in mein Zimmer. Dort angekommen ließ ich mich auf mein Bett nieder. Vorsichtig und darauf bedacht nichts zu zerreißen öffnete ich den Briefumschlag. Jedoch als ich einen weiteren Blick auf den Brief warf, stöhnte ich zum zweiten Mal genervt auf und wusste, dass ich mir die Mühe auch sparen hätte können. Augenrollend knüllte ich das Blattpapier in meinen Händen zusammen und warf es in den Mistkübel. Schlecht gelaunt setzte ich mich an den Schreibtisch und kramte meine Schulbücher heraus. Um meine Laune wieder zu heben beschloss ich mit meiner Mathehausübung zu beginnen, da dies immer schon mein Lieblingsfach gewesen war. Auch an diesem Abend waren die Rechenaufgaben ein Kinderspiel für mich. Jedoch der Gedanke an den Lateintext, den ich noch zu übersetzen hatte, lies mich verzagen. Gerade wollte ich den ersten Satz niederschreiben, als mich die Stimme meiner Mutter aus meinen Gedanken riss: „Tessa, Liebling komm bitte zum Abendbrot. Es gibt Kartoffelauflauf mit Schinken und Lauch.“ „Na toll“, dachte ich mir mit viel Ironie, „mein Lieblingsgericht.“ Miesmutig trampelte ich die Stiege hinunter in die Küche. Während Luke nur Augen für seine neue Flamme hatte, durfte ich mal wieder den Tisch decken. Schleppend langsam holte ich noch Gläser und schenkte jedem frisch gepressten Orangensaft ein. Mit schmollendem Gesicht nahm ich mir etwas von dem Auflauf und stocherte lustlos darin herum. Gedankenversunken vernahm ich die tägliche Leier meiner Eltern: „Na, wie war´s heute in der Schule? Tessa, was gibt’s neues bei uns im Kindergarten? Gab es heute irgendwelche spannenden Ereignisse?“ Ohne jeglicher Begeisterung verneinte ich die Fragen meiner Eltern und versuchte zumindest ein paar Bissen hinunter zu würgen. „Ach, Schwesterherz wir wollen doch an so schönen Tagen wie heute kein Trübsal blasen“, zog mich mein nerviger Bruder auf. Stöhnend stand ich auf, räumte meinen Teller in die Spülmaschine und verlies fluchtartig den Raum. Außer Atem kam ich wieder in meinem Zimmer an und versuchte mich abermals auf Latein zu konzentrieren. Jedoch vernahm ich auf einmal ein leises Geräusch. „Was ist das?“, erschreckte ich mich leicht. Es klang, als ob Kieselsteinchen gegen etwas geworfen werden würden. „Blödsinn“, dachte ich mir im Stillen, „das kann doch nicht sein.“ Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, hörte ich es aber erneut. Etwas verunsichert schlich ich zu meinem Zimmerfenster und öffnete es sachte. Unten stand Chris, ein Junge aus meiner Parallelklasse. Zu gegeben eigentlich fand ich ihn ja ganz süß, aber ich dachte nicht das daraus jemals mehr werden könnte. Vor allem glaubte ich gar nicht an die große Liebe. Trotzdem schnappte ich mir meine Stiefel, streifte mir schnell eine Jacke über und sprintete hinaus in unseren Garten. Total überrumpelt stand ich wie ein steifes Brett in der Gegend herum, als Chris mich in eine gefühlvolle Umarmung zog. Überrascht starrte ich in sein grinsendes Gesicht und musste unwillkürlich lachen. „Tessa, es tut mir leid, dass ich dich hier so überfalle, aber lass mich bitte erklären.“ Schüchtern lächelnd hörte ich zu, was er zu sagen hatte: „Ich bin bis gerade eben aufgelöst in meinem Zimmer gesessen und wusste nicht wie ich mich ablenken sollte, ich konnte mich nicht einmal auf meine Hausaufgaben konzentrieren. Auch konnte ich nicht aufhören über dich nachzudenken. Es hat mich wahnsinnig gemacht keine Antwort von dir erhalten zu haben, dabei hatte ich noch extra meine Nummer unter den Brief geschrieben. Ich weiß du glaubst nicht an die wahre Liebe und so, jedoch hatte ich gehofft, dass es für uns beide vielleicht doch noch eine Chance geben würde. Eigentlich wollte ich dich erst Morgen darauf ansprechen, aber ich hab es nicht mehr ausgehalten. Ich musste dich einfach sehen!“ Während des ganzen Redeschwalls hatte ich ihn kein einziges Mal unterbrochen, erst jetzt hob er den Kopf und sah mich abwartend an. Sein Blick schweifte über den Garten zum Haus und blieb am Briefkasten hängen. Ausdruckslos starrte er weiter auf denselben Fleck und plötzlich spiegelte sich blanker Schmerz in seinen Augen wieder. Verletzt stammelte er: „ Oh! Ich merke, du hast den Brief erhalten. Ich kann verstehen, dass dich mein Gerede nicht interessiert. Tut mir leid für die nächtliche Störung.“ Enttäuscht wandte er sich dem Tor zu, um wieder zu gehen. Jedoch hielt ich ihn zurück. Überrascht von mir selbst machte ich einen Schritt auf den süßen Jungen zu und ehe ich mich versah lagen auf einmal meine Lippen auf seinen. Hatte ich mich vielleicht geirrt? Gab es vielleicht die große Liebe doch und war ich jetzt am Ende meinem Traumprinzen aus dem Märchenbuch doch noch begegnet? Wenn die Zeit gekommen war, würde ich wahrscheinlich die Antwort auf diese Fragen auch noch finden.